Cheats: die Kultur des Schummelns - Special, Unternehmen, Spielkultur

Cheats: die Kultur des Schummelns
18.03.2005, Jörg Luibl

Special: Cheats: die Kultur des Schummelns

Julian Kücklich: Ich beschäftige mich mittlerweile seit gut 5 Jahren aus wissenschaftlicher Perspektive mit Computerspielen. Meine ersten Erfahrungen mit dem Medium machte ich allerdings schon viel früher: Die Adventures von Sierra und LucasArts und die Ultima-Serie waren ein wichtiger Teil meiner Sozialisierung. In der ersten Hälfte der 90er Jahre habe ich allerdings so gut wie gar keine Videospiele gespielt - als ich dann die PlayStation entdeckte war ich hin und weg. Zu dieser Zeit begann ich gerade mein Literaturstudium in München - und nach einiger Zeit reifte dann der Gedanke, mich mal mit literaturwissenschaftlichem Handwerkszeug an Computerspiele heranzuwagen. Daraus entstand mein erster Artikel zum Thema 'Computerspielphilologie'. Da das Thema damals noch so neu war, war es für mich relativ einfach, meine Arbeit vor einem internationalen Fachpublikum zu präsentieren und so entstanden bald weitere Publikationen. Mittlerweile gibt es ja schon so viele wissenschaftliche Veranstaltungen zum Thema Games, dass man gar nicht mehr alle besuchen kann - erstaunlich, was sich innerhalb dieser kurzen Zeit alles getan hat. Ich denke, dass Computerspiele so etwas wie das 'Leitmedium' des 21. Jahrhunderts sind - oder zumindest auf dem Weg dazu sind. Insofern finde ich es interessant, die Wechselwirkungen zwischen Spielen und ihren Kontexten zu untersuchen.

Interview mit Julian Kücklich

Zum Interview empfehlen wir:

Porträt: Wer ist Julian Kücklich?

Gastbeitrag: Die Lust am Mogeln.

Kolumne: Cheater, Schmarotzer, Entzauberer

Bilderserie: Kleine Cheat-Geschichte.

4Players: Sie sind 31 und haben bereits einige interessante Vorträge zum Thema Games gehalten. Seit wann verknüpfen Sie Spielelust und Wissenschaft?

Julian Kücklich: Ich wollte eigentlich in München promovieren - aber in Deutschland ist es nicht einfach, Fördermittel für Computerspielforschung lockerzumachen. Durch eine Kollegin in Dublin ergab sich dann 2003 die Möglichkeit, für ein Jahr an die Dublin City University zu gehen und von dort aus begann ich mich auf verschiedene Doktorandenstellen zu bewerben. Dass ich dann an das Centre for Media Research an der University of Ulster gekommen bin, ist mehr Zufall als Absicht. Der Standort Nordirland hat allerdings den Vorteil, dass ich von hier aus Zugang zum Game-Studies-Netzwerk im Vereinigten Königreich habe - die Briten sind dem Thema Spiele gegenüber ja viel aufgeschlossener als die Deutschen.

4Players. Sie forschen an einer Universität in Ulster. Was hat Sie nach Irland getrieben? Kommt der junge Forschungsbereich der Game Studies dort besser voran?

Julian Kücklich: Nein, das ist mir neu. Aber ich kann bestätigen, dass die Iren ziemliche Schlitzohren sind. Manche schrecken nicht einmal davor zurück, beim Pub Quiz per Mobiltelefon die Antworten auf knifflige Fragen einzuholen. Und von dem irischen Nationalhelden Finn McCool wird berichtet, dass er den schottischen Riesen Cucullin in die Flucht schlug, indem er sich als sein eigener Sohn ausgab: als der Riese sah, wie groß das vermeintliche Kind McCools war, bekam er es mit der Angst zu tun und trollte sich schleunigst.

4Players: Apropos Irland und Schummeln: Die alten Kelten waren Meister der gepflegten Cheats. Wussten Sie, dass ihre Druiden die ersten Wallhacks nutzten, um in die Hügel der Anderwelt zu schauen?

Julian Kücklich: Nicht wirklich, aber ein bisschen gemogelt habe ich schon: für den Kampf in der Arena habe ich mir vorher auf gamefaqs.com die Liste der Gegner angeschaut, damit ich wusste, was auf mich zukommt. Sonst hätte ich diesen Kampfmarathon sicherlich nicht überstanden.

4Players: Das waren ja richtige Cheater! Sie spielen gerade Fable. Haben Sie schon mal für eine Quest geschummelt?

Julian Kücklich: Nein, nicht wirklich. Ein schlechtes Gefühl habe ich eigentlich nur, wenn ich einen Walkthrough konsultiere, nur um festzustellen, dass die Lösung lächerlich einfach ist. Das passiert mir immer wieder, weil ich ein ziemlich ungeduldiger Mensch bin. Aber wenn ich das Gefühl habe, dass eine Spielsequenz nur dazu dient, die Spielzeit künstlich zu verlängern, habe ich keine Probleme damit zu mogeln.

4Players: Und hatten Sie dabei ein schlechtes Gewissen?

Julian Kücklich: Cheats gibt es ja in den unterschiedlichsten Formen. In vielen Fällen entstehen durch das Mogeln neue Spielweisen oder kulturelle Artefakte. Ich bin beispielsweise immer wieder davon überrascht, wie viel Arbeit in Walkthroughs steckt. Oft müssen die Verfasser das betreffende Spiel ja mehrere Male durchspielen, um alle Sidequests und alle Collectibles zu beschreiben. Cheater werden oft als Spieler wahrgenommen, die zu faul sind, sich auf die Komplexität eines Spiels einzulassen - aber oft ist genau das Gegenteil der Fall: viele Cheater lernen ein Spiel besser kennen, als jemand der nicht mogelt.

4Players: Warum ist das Mogeln ein wichtiger Teil der Spielkultur?

      

Julian Kücklich: Nintendo hat ja damals bei Einführung des NES die ersten Helplines eingerichtet, bei denen sich die Spieler Rat holen konnten, wenn sie in einem Spiel nicht weiterkamen. Seitdem ist das Mogeln zu einer riesigen Industrie geworden. In den meisten Videospielläden stehen ja die Hochglanz-'Game Guides' gleich neben den Neuerscheinungen und viele Videospielmagazine scheinen sich in erster Linie mit Cheats zu vermarkten. Das schafft natürlich auch Probleme: wenn ein Spielentwickler davon ausgeht, dass der Spieler mogelt, braucht er sich nicht anstrengen, die Hindernisse im Spiel so zu gestalten, dass der Spieler sie auch ohne fremde Hilfe bewältigen kann. Das Resultat ist dann oft schlechtes Spiel-Design. Aber es gibt natürlich auch eine große Zahl von nicht kommerziellen Cheats und das sind oft die Interessanteren: zum Beispiel Cheats, die gezielt bestimmte Schlupflöcher im Game Design ausnutzen. In einem Vortrag im Rahmen der "Computer Games and Digital Cultures"-Konferenz, erzählte Warren Spector zum Beispiel einmal begeistert von der Kreativität der Spieler, die das 'proximity mine climbing' in Deus Ex entdeckt hatten.

 4Players: In den 80ern galten Cheats noch als Frucht anarchistischer Hartnäckigkeit. Es war cool, wenn man Mogelcodes knacken konnte. Sind Cheats heute nicht schon gesellschaftlich abgesegneter Konsum?

4Players: An einer Stelle in Ihrem Gastbeitrag musste ich schmunzeln: Sie überlegen, ob CounterStrike nicht als Cheat von Half-Life betrachtet werden könnte. Sie verwerfen das schnell wieder, aber trifft das nicht sogar den Kern? CS hat die Terrorbekämpfung in das Shooter-Genre geschmuggelt…

Julian Kücklich: Stimmt schon, Counter-Strike ist ein faszinierender Teil der Spielkultur. Interessant ist ja vor allem, dass die Rollenverteilung in CS völlig relativ ist: anders als etwa in America's Army sind die Bösen nicht immer die anderen. Das ist, denke ich, die eigentliche Innovation. Dass CS im Terrormilieu spielt, ist wohl eher ein glücklicher - oder unglücklicher - Zufall. Durch die zeitliche Nähe zu den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde CS so etwas wie das inoffizielle Spiel zum War on Terror. Das ist vielleicht weniger ein Cheat als ein Hack: durch die Relativität der Rollenverteilung wird deutlich, dass Gut und Böse immer ideologische Konstrukte sind. Aber das wird jetzt vielleicht zu politisch …

Julian Kücklich: Tut mir leid, da ist der systemtheoretische Gaul ein wenig mit mir durchgegangen. Die Systemtheorie geht ja davon aus, dass sich soziale Systeme dadurch definieren, dass sie sich von ihrer Umwelt abgrenzen und dann immer autonomer werden. Man kann das vielleicht mit der Bildung von sozialen Gruppierungen wie z.B. Punks vergleichen: man gibt den anderen durch Aussehen und Verhalten zu verstehen, dass man anders ist und mit der Zeit entsteht daraus eigene Subkultur, die eigene Regeln und Werte entwickelt. Ein Spiel funktioniert insofern ähnlich, als durch Spielregeln ein Raum geschaffen wird, in dem die Regeln der Umwelt nur bedingt gelten. In einem Boxring ist es beispielsweise erlaubt, einen anderen Menschen zu verletzen - ein Verhalten, dass normalerweise in der Gesellschaft nicht toleriert wird.

4Players: Sie möchten "Spiele als kybernetische Systeme" betrachten, "(…) in denen das Mogeln einen Wiedereintritt der Umwelt in das Spielsystem selbst ermöglicht." - was meinen Sie damit?

Der Spieltheoretiker Johan Huizinga hat das mit der Metapher des 'magischen Zirkels' beschrieben. Aber Huizinga idealisiert den 'magischen Zirkel' meiner Ansicht nach ein wenig zu sehr - bestimmte Regeln der Umwelt bleiben immer auch im Spiel bestehen. Aber Spiele schaffen trotzdem immer einen 'sicheren' Raum, in dem die Willkür des täglichen Lebens in kontrollierte Bahnen gelenkt wird. In Computerspielen äußert sich das meist so, dass man nur durch eigenes Verschulden verlieren kann: Lara Croft stirbt nicht einfach an einem Herzinfarkt, sie schafft es nicht rechtzeitig, einem Giftpfeil auszuweichen. Aber im realen Leben gelten diese Regeln nicht: man kann ohne eigenes Verschulden in einen Autounfall verwickelt werden und das war es dann. In Multiplayer-Spielen führen Cheats diese Kontingenz wieder in das Spiel ein - denn gegen einen Counterstrike-Spieler mit Zielautomatik kommt selbst der beste Schütze nicht an.

Julian Kücklich: Ich glaube nicht, dass es sich dabei tatsächlich um eine neue Entwicklung handelt. Das Phänomen des Mogelns ist ja so alt wie das Spiel selbst. Tatsächlich mache ich mir in letzter Zeit Gedanken darüber, eine Spieltheorie zu formulieren, die nicht von der Regeltreue als Normalfall ausgeht, sondern vom Regelbruch. Leider bin ich noch nicht dazu gekommen, das genauer auszuformulieren. Aber ganz grob gesagt, ist die zu Grunde liegende Annahme, dass ein Spiel, dessen Regeln nicht gebrochen werden können, kein Spiel ist.

4Players: Das Geschäft mit Lösungsbüchern boomt. Punkbuster rettet die CounterStrike-Balance. Das Cheaten scheint ein Motor der Spielewelt zu sein. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Eine neue Entwicklung sehe ich allerdings in dem enormen kommerziellen Potenzial von Cheats. Anti-Cheating-Software und -Consulting sind ja echte Wachstumsbranchen. Während Spielentwickler vor ein paar Jahren noch ganz unbedarft an die Sache herangingen - wie zum Beispiel beim Launch von Diablo - machen sich die Developer jetzt schon vor dem eigentlichen Entwicklungsstadium Gedanken darüber, wie sie den Schaden, den Cheater anrichten, begrenzen können. Aus ökonomischer Perspektive ist das sicherlich sinnvoll. Aber aus kultureller Perspektive erscheint mir die Einstellung der Spielindustrie geradezu schizophren: mit Hotlines und Lösungsbüchern wird Profit gemacht, aber in Multiplayer-Spielen werden die Cheater verteufelt. Im Forum von America's Army wurde den Cheatern ja kürzlich sogar gedroht, dass sie nach dem 'Cyberterrorism Act' verurteilt werden könnten, da sie sich am Eigentum der US-Armee vergreifen würden …

Julian Kücklich: Zunächst muss dazu gesagt werden, dass jeder für sich selbst entscheiden muss, ob und wann er oder sie Cheats einsetzt. Und bloß weil jemand mogelt, heißt das noch lange nicht, dass er ein dummer Spieler ist. Wie heißt es so schön in dem Moldy-Peaches-Song Anyone Else But You? - "Up, up, down, down, left, right, left, right, B, A, start

4Players: Sie schreiben, dass "(…) die Freude am Spiel nur dadurch wieder hergestellt werden kann, dass der Spieler mogelt." Sorgen Cheats dann nicht in letzter Konsequenz für eine Verdummung des Spielers?

Aber ernsthaft: wenn sich jemand durch ein komplettes Spiel mogelt, wird er oder sie nicht viel Freude daran haben. Aber wenn ein Spieler in einem Spiel nichts weiter kommt, sehe ich nichts Falsches daran, einen Walkthrough zu konsultieren. In manchen Fällen mag es sogar vertretbar sein, wenn ein Spieler in einem Deathmatch gegen andere Spieler schummelt - etwa um die Teamstärke auszugleichen. Und auch in MMOGs mag es gute Gründe geben zu mogeln - ein beeindruckendes Beispiel ist die Kreativität, mit der sich die Entertainer in Star Wars Galaxies gegen die Benachteiligung ihrer Charakterklasse wehren.

just because we use cheats doesn't mean we're not smart."

Wie so oft ist dies eine Frage des richtigen Maßes - und das muss jeder für sich selbst entscheiden. Die Gefahr einer Verdummung der Spieler sehe ich eher auf der Seite der Spielindustrie: dort werden immer wieder dieselben Spielprinzipien mit neuem Content gefüllt, weil man anscheinend annimmt, dass zu viel Innovation die Spieler überfordern würde.

4Players: In Online-Rollenspielen gibt es professionell organisierte Gilden, die Monster und Gegenstände "farmen". Items werden zusammengerottet, Quests kollektiv abgegrast. Zeigt diese fast schon mechanische Ausnutzung der Ressourcen, wie wenig es den Spielern um die Seele eines Spiels geht? Sind Cheats nicht die Guillotinen der Phantasie?

Julian Kücklich: Das ist sicherlich ein Problem für viele Online-Rollenspiele. Seit man virtuelle Gegenstände für echtes Geld verkaufen kann, scheinen viele Spieler MMOGs vor allem als Möglichkeit zu sehen, ihr Einkommen aufzubessern. Aber auch hier sehe ich in erster Linie die Industrie in der Schuld: die Spieler unterschreiben ja mit manchen EULAs wahre Knebelverträge, die es ihnen untersagen, die Früchte ihrer Arbeit unter eigenem Namen zu vermarkten. Die australische Spielwissenschaftlerin Sal Humphries hat kürzlich auf der Other-Players-Konferenz in Kopenhagen ausgeführt, dass das zu Grunde liegende Problem eigentlich darin besteht, dass MMOGs unter die gleichen Copyright-Gesetze fallen wie Bücher oder Filme - samt der Annahme, dass diese Spiele aus der Feder eines 'Autors' stammen. Aber Online-Rollenspiele sind nun mal ein kollektives, prozedurales Erzeugnis, bei dem im Idealfall alle für den Spielspaß aller anderen verantwortlich sind. Aber solange dies nicht auf eine solide rechtliche Grundlage gestellt wird - wie etwa im Fall von Second Life, wo die Spieler ihre Erzeugnisse unter einer Creative-Commons-Lizenz verbreiten dürfen - wird das Problem der Ausbeutung von MMOG-Ressourcen bestehen bleiben. Man kann nur dann Verantwortungsbewusstsein von Spielern erwarten, wenn sie in der virtuellen Welt nicht nur Pflichten sondern auch Rechte haben.

4Players: Dieser Abschnitt ihres Gastbeitrags war höchst interessant: "In Diablo wurde der Albtraum einer jeden kapitalistischen Gesellschaft Wirklichkeit: die Massen bemächtigten sich der Produktionsmittel und diese benutzten sie dazu, die sorgfältig austarierte Ökonomie der Spielwelt aus dem Gleichgewicht zu bringen." Das hörte sich fast an, wie das ludologische Manifest von Marx. Ist das Cheaten mit dem Phänomen des gut organisierten Kommunismus zu vergleichen?

Julian Kücklich: Mogeln in Online-Spielen ist genauso wenig 'kommunistisch' wie Peer-to-Peer-Netzwerke oder Open-Source-Software. Aber bestimmte Formen von Cheats stellen die ideologischen Grundlagen der Spiele, in denen sie Anwendung finden in Frage. Computerspiele sind Erzeugnisse des Spätkapitalismus neoliberaler Ausprägung und das merkt man ihnen auch an. Ich habe mir kürzlich in einem Artikel über Online-Rollenspiele darüber Gedanken gemacht, worin eigentlich der 'Realismus' dieser Spiele besteht. Die Antwort darauf ist meines Erachtens, dass MMOGs vor Augen führen, welche Auswirkungen eine völlig unregulierte Marktwirtschaft auf die Gesellschaft haben.

Die meisten Online-Rollenspiele sind ja neoliberale Utopien: alles vom Gesundheitssystem bis zum Bildungssystem ist privatisiert und alle befinden sich im Wettbewerb mit allen. Jeder Avatar seine eigene Ich-AG, sozusagen. Und das Resultat? Völlig unkontrollierter Abbau natürlicher Ressourcen, eine "Friss-oder-Stirb"-Mentalität und ungebremster Materialismus. MMOGs sind eigentlich groteske Parodien westlicher Gesellschaften - komisch und erschreckend zugleich. Aber darin liegt natürlich auch eine Chance: wir könnten diese Spiele dazu benutzen, alternative soziale Szenarien durchzuspielen …

Julian Kücklich: In meiner Forschungsarbeit geht es in erster Linie um das Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Spiel und welche Konsequenzen dies für die Gesellschaft hat. Ein Beispiel ist das bereits angesprochene 'Farmen' von Ressourcen in MMOGs: es werden ja immer wieder Gerüchte laut, dass es mittlerweile in einigen Entwicklungsländern 'Sweatshops', gibt, in denen Spieler für minimalen Lohn virtuelle Rohstoffe abbauen, die dann auf IGE verkauft werden.

4Players: Sie arbeiten gerade an ihrer Dissertation "The Politics of Play in New Media". Worum geht es da?

Aber dieses Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Spiel lässt sich auch in der realen Welt feststellen - man denke nur an die Art und Weise, wie die Arbeit von Spielentwicklern in den Medien dargestellt wird. Das Problem daran ist: die Darstellung der Spielindustrie als spielerische Industrie ermöglicht es, junge idealistische Spieler zu rekrutieren und nach Strich und Faden auszubeuten. Wohin das führen kann, hat man bei der jüngsten Diskussion um die Arbeitsbedingungen bei EA gesehen: 80-Stunden-Arbeitswochen, kein Privatleben und Burnout mit 35. Das ist aber eine gesamtgesellschaftliche Tendenz, die ebenfalls mit der bereits angesprochenen neoliberalen Ideologie zusammenhängt: in der Neuen-Medien-Branche ist diese Tendenz nur am stärksten ausgeprägt und lässt sich daher hier am besten untersuchen.

Julian Kücklich: Ich finde, dass der Bossfight generell ein völlig überstrapaziertes spielerisches Stilmittel ist. Es ist doch so: Bossfights beruhen darauf, die Schwäche eines Gegners zu erkennen und auszunutzen. Daran ist auch nichts Falsches. Nur dass es dann immer so lange dauert, bis der Endgegner überwunden ist, finde ich nervtötend. Wenn ich schon weiß, wo die Achillesferse des Gegners liegt, warum muss ich sie dann 27 Mal treffen, bis er endlich in die Knie geht? Das kann mir die schönsten Spiele versauern: wirklich unnötig waren zum Beispiel die Bossfights in Ico und Prince of Persia: The Sands of Time. Bei Star Wars: Knights of the Old Republic hätte ich kurz vor Schluss fast aufgegeben, weil der abschließende Kampf sich so in die Länge zog.

4Players: In Ihrem Porträt kann man nachlesen, dass sie Spiele verabscheuen, "(…)die ihre Schwächen mit Bossfights kaschieren." Welche meinen Sie?

Julian Kücklich: Ich habe die EDGE abonniert und lese häufig die Rezensionen auf eurogamer.net. Daran wird schon deutlich: ich bin kein Freund von Prozentwertungen - ob ein Spiel 73% Prozent oder 77% erhält ist mir herzlich egal. Mich interessieren eher Aspekte, die sich nicht so leicht quantifizieren lassen: Atmosphäre, origineller Stil, innovative Spielkonzepte und Humor.

4Players: Oh ja, der war lang und fordernd. Was halten Sie von Spieletests? Nutzen Sie Print- oder Online-Magazine, um sich vor dem Kauf zu informieren?

Julian Kücklich: Leider warte ich im Centre for Media Research immer noch auf meine neue Grafikkarte - währenddessen kann ich leider keine aktuellen PC-Spiele spielen. Erfahrungen mit Half-Life 2 konnte ich daher nur bei einem Besuch im Game Lab der Universität von Tampere sammeln - dafür aber in Höchstauflösung, 16:9 und Dolby Surround. Das allein war die weite Reise nach Finnland wert.

4Players: Stellen Sie sich vor, Sie müssten aus der Hüfte drei Prozentwertungen abschießen. Im Visier sind Halo 2, Fable und Half-Life 2…

Julian Kücklich: Prozentwertungen kann ich aus Prinzip nicht abgeben, aber ich versuche mal eine Bewertung auf der 10-Punkte-Skala:

- Halo 2: 8 Punkte, weil es bei weitem nicht an den Vorgänger heranreicht, aber der Multiplayer-Modus wirklich großartig ist

- Fable: 7 Punkte, weil es eigentlich ein ziemlich durchschnittliches Action-RPG ist, aber ich Respekt vor Peter Molyneux' Vision habe

- Half-Life 2: keine Bewertung, weil ich nur die ersten 10 Minuten gespielt habe.

4Players: Half-Life 2 nur zehn Minuten? Spötter behaupten ja, das waren die besten des ganzen Spiels. Warum haben Sie so schnell aufgegeben?

4Players: Auf welches Spiel freuen Sie sich dieses Jahr ganz besonders?

Julian Kücklich: Keine Frage, Wanda and Colossus, der Nachfolger von Ico.

4Players: Da spricht der Genießer - der Titel steht auch bei uns ganz oben auf der Wunschliste. Es wurde übrigens in Shadow & The Colossus umbenannt. Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit der Dissertation!