Frauen & Online-Rollenspiele - Special, Sonstiges, PC, Spielkultur

Frauen & Online-Rollenspiele
22.05.2006, 4P|Team

Special: Frauen & Online-Rollenspiele

Wie hoch ist der Frauenanteil in Online-Rollenspielen? Schenkt man aktuellen Presseberichten Glauben, dann ist dieser sehr hoch einzuschätzen. Zwar sei eine Mehrheit der Spieler immer noch männlich, doch die Frauen holen auf. Oft hört man Zahlen, die sich in einem Bereich von 35% bis 40% bewegen. Die Frage ist nur - stimmt dies wirklich?

 Über die systematische Überschätzung des Frauenanteils in MMORPGs:

Weshalb das Genre auch heute noch eine Männerdomäne ist


Ein Gastbeitrag von Olgierd Cypra

Olgierd Cypra studierte Soziologie an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz. In seiner Abschlussarbeit fragte er sich "Warum spielen Menschen in virtuellen Welten?". Heute ist Olgierd Cypra bei der dtp entertainment AG als Community Manager beschäftigt.

Mehr über Olgierd Cypra im Interview !Nein, es stimmt nicht, zumindest wenn man vom deutschsprachigen Raum spricht, welcher der Diskussionsgegenstand dieses Artikels ist. Es gibt eine Vielzahl von Gründen, weshalb der Frauenanteil in MMORPGs systematisch überschätzt wird.

Da ist zum ersten der positive Imageschub als Grund aufzuführen, den sich die Herstellerseite von einem hohen Frauenanteil verspricht; in der Kommunikation wird diesem ein entsprechend hoher Stellenwert beigemessen. Die Presse greift dieses "Phänomen" gerne auf und verwendet oft unkritisch die von Entwickler-Seite vorgelegten Zahlen.

Fakt ist jedoch, dass wissenschaftliche Untersuchungen einen solch hohen Frauenanteil bisher nicht nachweisen konnten. Verwiesen sei hier auf eine eigene Erhebung aus dem Jahr 2005, welche einen Frauenanteil von unter 10% feststellt, eine andere Studie aus dem Jahr 2003 ermittelt nur 4%. Richtet man seinen Blick über den großen Teich auf die Ergebnisse des wohl bekanntesten MMORPG-Forschers Nick Yee, bekommt man zwar höhere Werte zu Gesicht, aber auch er konnte unter der (amerikanischen!) Spielerschaft von Everquest nur 16% Frauen ausmachen.

Woher kommt das? Wenn doch die Zahlen der Wissenschaft eine recht eindeutige Sprache sprechen, weshalb wird der Frauenanteil dann so hoch wahrgenommen? Der Grund ist hauptsächlich durch "Wahrnehmungseffekte" zu erklären, die ich im Folgenden erläutern möchte:

Warum tun dies Männer häufiger als Frauen? Männer wissen um die Tatsache, dass sie in der Überzahl sind, was die Anwesenheit einer Frau zu "etwas Besonderem" macht. Deshalb ist es gerade für Männer der "Geschlechtertausch auf Zeit" besonders interessant, weil sie so ausprobieren können, wie Frauen auf Männer wirken. Die "richtigen Männer" wissen zwar, dass sie möglicherweise getäuscht werden - sicher sein können sie sich dessen aber nicht, weil sie ihren Interaktionspartner nicht leibhaftig sehen. Deshalb verhalten sie sich "vorsichtshalber" so, als wäre ihr Interaktionspartner wirklich eine Frau. (vgl. Studie der Amerikanerin Amy Bruckman 1992)

Verwendung eines weiblichen Avatars als Mann

Männer tauschen im Online-Rollenspiel häufiger ihr Geschlecht als Frauen (siehe Tabelle)

Tabelle: Realweltliches und virtuelles Geschlecht im Online-Rollenspiel



Datenquelle: eigene Berechnungen, http://www.mmorpg-research.de/ 2005

          

Am Beispiel kann man diesen Punkt am Besten erklären: eine Mutter hat für ihren 14-jährigen Sohn einen Account mit ihrer Kreditkarte abonniert. Die Abbuchung über Kreditkarte bzw. die Abbuchung vom Konto sind die bevorzugten Zahlweisen in MMORPGs, doch nicht jeder 14-jährige hat schon ein eigenes Konto, geschweige denn eine Kreditkarte. Wertet ein Developer nun die Namenskartei aus und ermittelt so den Frauenanteil, werden durch den "Mama-Effekt" mehr Frauen gezählt, als tatsächlich spielen.

Überschätzung aufgrund falscher Interpretation von Account-Daten

Überraschenderweise befinden sich unter den Hardcore-Spielern relativ betrachtet mehr Frauen als unter den Gelegenheitsspielern: in meiner eigenen Studie sind bei Spielern, die bis zu 30h in der Woche spielen, nur etwa 6% Frauen. Doch mit einer höheren Spieldauer steigt der Frauenanteil an! Unter den Hardcore-Gamern sind relativ zur Gesamtgruppe annähernd doppelt so viele Frauen vertreten. Dies hat nun natürlich zur Folge, dass Frauen in der Betrachtung der Spielerschaft stärker wahrgenommen werden, da sie häufiger in der virtuelle Spielwelt anzutreffen sind.

Spieldauer

Folgenden Satz bekomme ich oft zu hören, wenn ich meine wenig populären Argumente vortrage: "Aber in meiner Gilde sind sehr viele Frauen, der Anteil liegt bei bestimmt einem Drittel oder so". Zunächst bleibt festzuhalten, dass das eben genannte Argument der verzerrten Wahrnehmung auch hier gilt. Aber ein weiterer Punkt kommt noch viel erschwerender hinzu: Frauen suchen in MMORPGs das Sozializing, sie wollen viel mehr als Männer Teil einer Gilde sein, sich in dieser einbringen und mit den anderen Spielern chatten - knapp 9% der Frauen geben Sozializing als alleiniges Spielziel in MMORPGs an, gegenüber nur 3% bei Männern (Quelle: eigene Studie). Auch wollen Frauen stärker als Männer in eine fremde Rolle schlüpfen und diese leben, also "echtes" Rollenspiel betreiben (alleiniges Spielziel unter Frauen: 22%, Männer: 16%). Dies führt abermals dazu, dass Spielerinnen in virtuellen Welten stärker wahrgenommen werden und relativ gesehen häufiger in Gilden anzutreffen sind als Männer. Das oben aufgeführte Gegenargument "Aber in meiner Gilde…" ist in Wirklichkeit keines, sondern vielmehr eine Bestätigung dafür, dass Frauen in MMORPGs stärker nach sozialen Kontakten suchen als Männer.



Socializing

Der Aspekt der Ausübung von Macht, Herrschaft und Kontrolle über das Spielgeschehen kann nach derzeitigem Stand der Forschung als die zentrale Determinante der Faszinationskraft von Bildschirmspielen angesehen werden (siehe Jürgen Fritz). Beispielsweise sind in vielen Strategiespielen die Elemente "Basis bauen - Einheiten produzieren - Gegner vernichten" von zentraler Bedeutung, das Geschehen sieht man aus der "Gott-Perspektive" von oben. Strategie-, Taktik- und Aufbauspiele bieten das Motiv "Herrschaft ausüben" und ganz offensichtlich Raum für "Allmachtsphantasien" an, doch lässt sich dies ohne Mühe auf jegliches Bildschirmspiel übertragen. In jedem beliebigen Ego-Shooter ist das Spielziel, durch das Töten von "Feinden" Herrschaft über die Spielwelt zu erlangen.

Nicht-frauenaffine Spielziele

Ganz offensichtlich sind die eben aufgeführten Spiele an Männer adressiert, zum einen aufgrund der Thematik (z.B. Fußball), zum anderen wegen des Spielziels, nämlich Führung zu übernehmen, eine Welt zu erobern, in Ranglisten aufzusteigen etc. Frauen identifizieren sich weit schlechter mit diesen Vorgaben. Kein Wunder, dass dezidierte Frauenprodukte wie Die Sims, Nintendogs und Meine Tierpension keine martialischen Szenarien bieten und nicht in erster Linie auf den Konkurrenzkampf ausgelegt sind.

Welches Fazit kann man aus dem bisher Gesagten nun ziehen? Die systematische Überschätzung des Frauenanteils in MMORPGs ist auf mindestens zwei Gründe zurückzuführen. Zum einen auf die Überschätzungen durch opinion leader, und zum anderen auf ungewollte Wahrnehmungseffekte, welche beispielsweise durch die unterschiedlichen Spieldauern und Herangehensweisen der Geschlechter an Spiele entstehen. Wahrscheinlich ist ein weiterer Grund das spielefeindliche Umfeld in Deutschland. Es ist kaum vorstellbar, dass hierzulande Spieldesigner geehrt werden, wie es kürzlich bei unseren französischen Nachbarn geschehen ist: Michael Ancel, Frédérick Raynal und Shigeru Miyamoto wurden von der hiesigen Regierung mit dem Ordre des Arts et des Lettres ausgezeichnet. Es ist davon auszugehen, dass Frauen sich auch bei uns mehr von Computerspielen angezogen fühlten, sollten diese einmal als Kulturgut anerkannt werden - aber dies ist im Falle Deutschlands ein sicherlich noch langer und steiniger Weg.

Fazit

Cypra, Olgierd 2005: Warum spielen Menschen in virtuellen Welten? Eine empirische Studie zu Online-Rollenspielen und ihren Nutzern, Studie unter: www.mmorpg-research.de

Quellen:

Bruckman, Amy 1992: Identity Workshop: Emergent Social and Psychological Phenomena in Text-Based Virtual Reality

Fritz, Jürgen 1997: Macht, Herrschaft und Kontrolle im Computerspiel (aus: Handbuch Medien: Computerspiele)

Schob, Jan 2003: Strukturen und Motivation von Online-Spielgemeinschaften

Yee, Nick 2001: The Norrathian Scrolls: A Study of Everquest, Version 2.5.