Small World - Special, Brettspiel, iPhone, Spielkultur

Small World
13.08.2010, Jörg Luibl

Special: Small World

Die Welt ist viel zu klein für all die aggressiven Völker: Egal ob Menschen, Zwerge, Ghule, Trolle oder Skelette - alle brauchen Platz, alle wollen sich ausbreiten. Aber da gibt es ein Problem: Es wachsen keine Krieger nach, so dass die Schlagkraft irgendwann futsch ist! Was macht man bloß, wenn keine Elben oder Riesen mehr da sind? Was macht man, wenn die Kasernen leer stehen? Man lässt sein Volk untergehen und wählt ein neues!

Small World bietet Strategie für zwei bis fünf Spieler ab acht Jahren. Es erscheint bei Days of Wonder für knapp 40 Euro.


Taktischer Genozid

Ich bin am Zug: Meine Halblinge halten schon fünf Gebiete auf der bunten Landkarte, die ein Fantasyreich von der Küste bis zum Gebirge darstellt. Aber ich habe lediglich zwei kleine Krieger auf der Hand, um weitere zu erobern. Das ist vielleicht zu wenig, denn mittlerweile gibt es kaum freie Länder. Die miesen Trolle und Elben meiner beiden Kontrahenten  haben sich nämlich überall ausgebreitet. Wenn ich ihre gesicherten Gebiete erobern will, brauche ich mehr Truppen: Pro Land zwei Krieger und pro Feind, Berg oder Festung nochmal einen. Aber ist jetzt der richtige Zeitpunkt für den taktischen Genozid? Oder soll ich noch warten?

Mal ausrechnen: Da hinten sitzen zwei Trolle im Gebirge mit einer Festung - da brauche ich schon sechs Halblinge. Und da hocken drei feige Elfen im Wald - da brauche ich immer noch fünf. Zu Beginn des Spiels konnten sich meine zehn Halblinge noch locker ausbreiten, jetzt reicht ihre Schlagkraft einfach nicht mehr aus. Also lass ich mein eigenes Volk untergehen, indem ich ihre Plättchen auf dem Spielplan auf die ergraute Seite lege und wähle ein neues Volk. Zwar gehören diese alten Gebiete noch mir, aber dort darf nur noch ein ausgestorbener Halbling symbolisch verweilen, so dass ich sehr angreifbar bin. Theoretisch könnten die Elben sie jetzt überrollen. Hoffentlich war das eine gute Entscheidung...

Vierzehn Völker mit speziellen Fähigkeiten stehen zur Auswahl - von Rattenmenschen bis Riesen. Small World spielt sich ähnlich wie Risiko, ist aber taktischer und weniger glücksabhängig.
Und welches Volk wähle ich jetzt aus? Grübel, grübel: Es gibt insg. 14 Rassen mit eigenen Vorteilen sowie zufällig beigemischten Spezialfähigkeiten - so entsteht immer ein neues Spiel mit unterschiedlichen Kombinationen, die ganz andere Taktiken ermöglichen. Meine Halblinge hatten z.B. von Natur aus die Möglichkeit, ihre ersten beiden Eroberungen mit einer Erdhöhle gegen alle Feinde abzusichern. Außerdem hatten sie die Spezialfähigkeit "Berserker": Sie durften vor jeder Eroberung nochmal würfeln und das Ergebnis ihrer Schlagkraft hinzufügen - das war sehr nützlich! Denn normalerweise laufen die Kämpfe ohne zusätzlichen Glücksfaktor nach schlichter Berechnung der Stärke ab.

Von Hexenmeister bis Wassermann

Aber jetzt sind meine Halblinge Geschichte und ich entscheide mich für die Wassermänner, die von Natur aus alle Küstenfelder mit einem Mann weniger erobern können und als Spezialfähigkeit "Diplomat" besitzen. Damit kann ich am Ende eines Zuges einen Gegner bestimmen, der mich nicht angreifen darf. Ist das nicht herrlich, so ein aufgezwungener Frieden? Vor allem die aggressiven Elben kann ich so an meiner linken Flanke in Schach halten! Gesagt, getan: Ich bekomme für meine restlichen Halblingländer nochmal je ein Goldstück und darf in der nächsten Runde mit zehn frischen Wassermännern angreifen. Mal sehen, wie meine Mitspieler darauf reagieren&

Eigentlich würden die Skelette für drei eroberte Gebiete auch nur drei Münzen bekommen. Aber da sie Händler sind, verdoppelt sich das Einkommen.
Ziel des ebenso witzig wie üppig illustrierten Strategiespiels ist es, dass man am Ende von acht bis zehn Runden (je nach Spieleranzahl variieren Brettgröße und Rundenzeit) das meiste Geld auf dem Konto hat. Und das bekommt man in der Regel für gehaltene Gebiete auf der Karte. Wer seinen Zug beendet hat, zählt seine Länder und stapelt die Münzen verdeckt bei sich, so dass die Endabrechnung nochmal spannender wird als beim üblichen Fortschreiten auf einer für alle sichtbaren Siegpunktleiste. Aber es gibt auch lukrative Zusatzeinkünfte über die Spezialfähigkeiten, daher sollte man nicht nur die Völker, sondern auch diese zwanzig Bonusplättchen im Auge behalten.

 

Wer erobert clever und lukrativ?

Manchmal gibt es z.B. extra Gold, wenn man eines der sechs Terrains wie Gebirge, Wälder, Sümpfe oder Ackerland besitzt. Und wer eine Rasse als "Händler" ins Feld führt, verdoppelt sogar die Einnahmen seiner Gebiete - acht besitzen, für sechzehn bezahlt werden! Hinzu kommen offensive Boni wie etwa "Kommando" oder "Drachenbändiger": Ersteres sorgt für einen Punkt mehr Schlagkraft und Letzteres für einen ultimativen Angriff auf eine beliebig starke Region, die dann in Flammen aufgeht - egal wie stark sie besetzt ist. Aber es gibt auch defensive Boni wie etwa "Kampierend" oder "Wehrhaft", die den Lager- bzw. Festungsbau erlauben.          

Dem Spiel liegen zwei unterschiedliche große Landkarten bei: Eine für zwei bis drei und eine für vier bis fünf Spieler. Besonders vorbildlich: Der schwarze Sortierkasten.
Es kommen übrigens trotz des hohen Preises keine Plastikfiguren wie bei Doom oder StarCraft zum Einsatz, sondern lediglich beidseitig bedruckte Plättchen aus Pappe - sowohl für die Krieger als auch die Fähigkeiten. Allerdings können sich diese sehen lassen: Das Artdesign überzeugt mit einem kunterbunten Satirestil, der Trolle mit Riesennasen und Halblinge mit Salami in der Hand zeigt. Sehr nützlich ist angesichts der knapp zweihundert Teilchen auch der mitgelieferte Sortierkasten: Hier kann man Ordnung in die 14 Völker bringen; daran sollten sich andere Hersteller ein Beispiel nehmen, damit beim zweiten Spiel kein Frust aufkommt.

Kreativer und taktischer als Risiko

Das an Risiko erinnernde Spielprinzip ist eigentlich sehr einfach aufgebaut und wesentlich schneller verinnerlicht als etwa ein StarCraft - Das Brettspiel: Entweder erobert man freie bzw. an seine Länder angrenzende Regionen und zählt danach das Gold. Oder man lässt sein aktives Volk untergehen und zählt das Gold. Der Würfel kommt nur in Sonderfällen zum Einsatz, so dass die Glückskomponente im Vergleich zu Risiko deutlich geringer ausfällt - nichtsdestotrotz freut man sich diebisch, wenn man mit einem einzelnen Kämpfer bei gewürfelter Drei gleich noch ein sicher scheinendes Gebiet von drei Trollen befreit und besetzt!

Welches Volk soll man wählen, wenn das eigene untergeht? Es stehen immer sechs zur Verfügung.
Aber selbst wenn man die Regeln schnell intus hat, bleibt genug Komplexität und Zeit zum Grübeln: Aufgrund der zufälligen Mischung von Völkern und Spezialfähigkeiten verläuft jedes Spiel anders und man kann ganz unterschiedliche Strategien einsetzen. Es kann sinnvoll sein, seine Völker schnell untergehen zu lassen und oft zu wechseln - etwa, wenn man die Ghule anführt, die selbst nach ihrem Untergang noch weiter kämpfen! Oder wenn man die Spezialfähigkeit "Kämpferisch" besitzt, denn dann darf nicht nur eine alte Rasse auf dem Plan bleiben, sondern auch diese. Es kann aber auch sinnvoll sein, seinen Besitz zu regulieren, alles defensiv zu verwalten und nicht so schnell zu wechseln - etwa, wenn man schon viele Länder besitzt und diese gut schützen kann.

Untergang oder Verteidigung?

Sehr motivierend ist auch, dass man das Spiel im letzten Drittel noch drehen kann: Selbst wenn man in den ersten Runden vielleicht weniger erobert und verdient, kann man die Machtverhältnisse über die clevere und rechtzeitige Wahl eines zur Verfügung stehenden Volkes noch zu seinen Gunsten verändern. Denn von den 14 integrierten Rassen liegen für alle immer nur sechs aus und die Wahl wird dadurch etwas gewürzt, dass nur das ganz oben liegende kostenlos ist und alle darunter jeweils ein Goldstück verlangen. Lohnt sich ein Verlust von fünf Goldstücken, wenn ganz unten ein Traumduo wie "Wassermänner" und "Kommando" wartet, das einem bis zu zwei Kämpfer pro Eroberung spart? 

Small World erinnert auf den ersten Blick an eine Art Risiko für Fantasyfans. Aber schon auf den zweiten Blick besticht das liebevoll illustrierte Brettspiel von Philippe Keyaerts mit deutlich mehr taktischer Kreativität: Hier sammelt man nicht Armeen ohne Ende und auch das Würfelglück ist nicht entscheidend. Als Feldherr muss man ebenso listig wie gnadenlos sein und seine Rasse rechtzeitig untergehen lassen. Dabei hängt der Zeitpunkt nicht nur von der geostrategischen Lage auf der Weltkarte ab, sondern auch von den Spezialfähigkeiten, die ein neues Volk mit sich bringen würde. Braucht man eher schnelles Gold, defensive Sicherheit oder offensive Schlagkraft? Eigentlich braucht man immer alles und mit jedem Zug wird die Welt kleiner, werden die Grenzen hitziger verteidigt. Wer ein kreatives Eroberungsspiel sucht, das nicht all zu komplex ist, aber mehr taktische Vielfalt und Überraschungen als Risiko bietet, sollte hier zuschlagen - dieses Spiel hat 2009 zu Recht die Auszeichnung der Wiener Spiele Akademie gewonnen! Und wenn der Preis abschreckt, könnte die Variante für das iPad interessant sein - mehr dazu in diesem Test.

Fazit

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Das ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

  

(Mittlerweile sind Erweiterungen zu Small World erschienen; mehr dazu auf der offiziellen Webseite .)

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