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Symphonic Legends
30.09.2010, Benjamin Schmädig

Special: Symphonic Legends

Wie viel Kunst verträgt ein Nintendo-Konzert? Darüber diskutieren Soundtrackfans seit einer knappen Woche. Symphonic Legends: Die einen loben die ungewöhnlichen Orchesterstücke bekannter Spielemelodien, die anderen vermissen den Wiedererkennungswert geliebter Klassiker. Mario, Donkey Kong, F-Zero, Zelda, Metroid - sie alle waren dabei. Oder eben auch nicht...

Zum dritten Mal war die Kölner Philharmonie Schauplatz einer Veranstaltung, von deren Art es weltweit nur wenige gibt: Das WDR Rundfunkorchester spielte Melodien aus Videospielen. Melodien aus 30 Jahren Nintendo-Geschichte waren es diesmal, die vom 8Bit-Piepen zum 80-stimmigen Orchesterwerk erwuchsen. Melodien, die heute nicht immer so klingen wie sie aus fünf NES-Kanälen plärrten.

Die dunkle Seite der Samus

Es liegt aber nicht am international renommierten Klangkörper, dass mancher seinen Helden oder seine Heldin kaum wiedererkannt hatte. Fünf Arrangeure erweckten die zehn Titel zum Leben, unter denen sich auch die Fanfare des Hauptarrangeurs

Die Aufführung großer Nintendo-Melodien ist bereits das dritte Spielemusikkonzert des WDR Rundfunkorchesters.
Jonne Valtonen sowie eine Zugabe von Roger Wanamo befanden. Und wenn neben den beiden Finnen einmal mehr auch Shiro Hamaguchi, der ehemalige Square Enix-Komponist Masashi Hamauzu, Shenmue-Orchestrator Hayato Matsuo sowie ECHO-Gewinner Torsten Rasch das altehrwürdige Material bearbeiten, dann tun sie dies eben mitunter so, dass dem treuen Fan Sehen und Hören vergeht. Denn gerade Rasch zerbaut mit seiner Metroid-Suite die Themen um Samus Aran, als wären es die farbigen Seiten eines Zauberwürfels. Doch er setzt den Würfel nicht etwa so zusammen wie er ihn vorfand - er lässt ihn scheinbar unvollendet zurück. Heraus kommen tragische Disharmonien, die erst von drohendem Unheil, später von einem schweren Kampf erzählen. Vertraute Melodien blitzen nur kurz auf. Die bekannten Themen wirken wie zerbrechliche Krücken, auf denen sich Samus durch ein ungewöhnlich finsteres Abenteuer kämpft. So wie die Posaunen klagen, wie Rasch die Violinen warnen, Flöten zittern und den Chor um Hilfe rufen lässt, vermissen zahlreiche Fans die glatte Rezitation ihrer Hörgewohnheiten. Wer hinhört, entdeckt allerdings einen brillanten Höhepunkt: ein vielschichtiges Orchesterstück, das im Bereich der Spielemusik seinesgleichen sucht.

Dabei wurden die von John Williams und Nobuo Uematsu erzogenen Hörer durchaus publikumsgerecht bedient. Schon die anfängliche Star Fox-Interpretation von Hamaguchi scheppert im besten Sinne einen herrlich flotten Einstieg aufs Parkett der Kölner Philharmonie. »Sehr laut« werden viele Philharmoniker nach der Aufführung sagen. Sie haben Recht: Chor und Orchester spiegeln eine ausgesprochen schwungvolle Spielewelt wider. Während die Square Enix-Rollenspiele des vergangenen Jahres naturgemäß eine sehr breite Auswahl an leisen, emotionalen Stücken boten, stehen bei Nintendo eben Action und

Über die Entstehung der Fanfare hatten wir bereits im Vorfeld des Konzerts berichtet - alles Nähere findet ihr unter diesem Link.
Abenteuer im Vordergrund. Die hervorragende »Galactic Suite« zu Super Mario Galaxy zeigt dies ebenso wie das wunderbar lebendige Pikmin-Stück. Dirigiert wurde das Rundfunkorchester übrigens zum ersten Mal von Niklas Willén, dem neuen Chefdirigienten.

Publikumsgerecht?

Ebenfalls lebendig, wenn auch auf eine ganz andere Art und Weise, arrangierte Roger Wanamo die »Retro Suite« zu Super Mario Bros.: Beginnt der Titel noch ganz klassisch und gemächlich, fiedeln die Violinen bald zu einer Sendung mit der Maus-Fahrradhupe und einer Lotusflöte . Herrlich: Die ungewöhnlichen Instrumente simulieren verblüffend wirklichkeitsgetreu verschiedene Geräusche eines Mario-Spiels, das Publikum dankt die fantastische Orchestrierung mit breitem Grinsen. Dass die Gäste anschließend auf Anweisung des Moderators allerdings - »genau wie Mario« - von den Sitzen springen müssen, zeugt im besten Fall davon, dass Ralph Erdenberger nicht wirklich mit der Materie des Abends vertraut war. Auch der kurzzeitige Auftritt des ansonsten souveränen Moderators im Raumanzug war unnötig peinlich. Muss man heute wirklich darauf hinweisen, dass man Videospieler durchaus Ernst nehmen darf?                     

Apropos: Gerade weil die dezente Lichtshow die Stimmungen der unterschiedlichen Themen sehr geschmackvoll wiedergab, sollte man die gleißenden Scheinwerfer nicht direkt aufs Publikum richten. Ein wenig Kritik muss auch »Race Suite«, die Umsetzung von Musik aus F-Zero, einstecken, denn obwohl Percussion-Meister Rony Barrak mit einem rasanten Solo einsteigt, nehmen weder er noch das einsetzende Orchester jemals richtig Fahrt auf. In Sachen Melodie und Orchestrierung markiert der Titel zur Mitte der ersten Hälfte damit die schwächsten Minuten des Konzerts. Gut, dass Barrak später noch einmal zeigt, wie wichtig seine Fingerfertigkeit für Symphonic Legends ist...

Überhaupt liegt es nicht nur an der erwähnten Lautstärke, dass dieses Konzert einen ganz anderen Eindruck hinterlässt als Symphonic Fantasies im vergangenen Jahr. Die Themen der Square Enix-Spiele sind nämlich nicht nur leiser, sondern meist auch einprägsamer und an stärkere nostalgische Gefühle gebunden als Nintendo-Musik. Natürlich legt das Orchester »Super Mario Land« so spielfreudig auf, als hätte es die Melodie nie in anderer Form gegeben! Doch wer verbindet damit so prägnante Momente wie den Tod eines geliebten Charakters?

Einmal mehr trat der Darbouka-Künstler Rony Barrak als Solist auf.
»Kurze, etwa fünf Minuten lange Stücke statt viertelstündiger Medleys« lautete diesmal zudem die Devise - auch das sorgt dafür, dass viele Nuancen schnell vorüberziehen, anstatt gleich beim ersten Hören hängenzubleiben. Symphonic Fantasies profitierte von der Kraft vertrauter Bilder - Symphonic Legends mag sich demjenigen erst später offenbaren, der auf das Beschwören ähnlich offensichtlicher Emotionen gewartet hatte.

Spaziergang mit Klavier und Violine

Es ist keine Kritik an der Aufführung; die wäre fehl am Platz. Denn unter der Führung des Produzenten Thomas Böcker unterstreichen die Komponisten, das WDR Rundfunkorchester, die beiden Solisten sowie der hervorragende Chor einmal mehr, dass Soundtrack-Fans in Köln mit Weltklasse verwöhnt werden. Nur selten erreichen selbst aktuelle fürs Orchester geschriebene Spielemusiken dieses Niveau! Ein Indiz dafür ist auch »Aquatic Ambience« mit Musik aus Donkey Kong Country, in dem Pianist Benyamin Nuss und der erste Geiger Juraj Cizmarovic die Zuhörer auf einen Spaziergang durch eine märchenhafte Welt einladen - traumhaft!

Den endgültigen Beweis liefert aber erst Jonne Valtonen mit einer mehr als halbstündigen Interpretation der Abenteuer eines gewissen grün betuchten Helden: »Symphonic Poem«, zu Deutsch »Tondichtung«, heißt der Titel, in den Valtonen nicht nur zahlreiche Themen aus der Zelda-Reihe einfließen lässt. Vielmehr arbeitet er mit den Melodien, verändert sie, verbindet sie mit neuen Ideen - und lässt so seine ganz eigene Geschichte um Link entstehen. Schon in den ersten Minuten, wenn das schnelle Flüstern des Lettischen Staatschors eine unheimliche verschwörerische Atmosphäre aufbaut, deutet sich etwas Großes an. Und spätestens dann, wenn die Sopranisten wie Stimmen aus einer anderen Dimension rufen, setzt sich Valtonen ohne Übertreibung selbst ein Denkmal. Erst danach lässt er Orchester, Chor sowie sämtliche zur Verfügung stehende Percussion einschließlich Rony Barrak in einem mitreißenden Finale explodieren - eine atemberaubende Vorstellung! In seiner Zugabe arrangiert Roger Wanamo dann noch einmal zahlreiche Nintendo-Themen für einen stimmungsvollen Ausklang und setzt damit den Schlusspunkt unter einen einzigartigen Höhepunkt.

Valtonens Meisterstück

Wie viel Kunst - oder vielmehr: wie viel künstlerische Freiheit - verträgt also ein Nintendo-Konzert? Müssen die Arrangeure die Gewohnheiten der Fans befriedigen, wenn sie mit den Themen, die vor allem von Koji Kondo stammen, arbeiten? Wer eine orchestrale Version seiner Erinnerungen erwartet, den kann man anders kaum zufriedenstellen. Damit muss man sich aber nicht zufrieden geben. Denn wer sich darauf einlässt, wie gekonnt die meist jungen Komponisten das Material nicht nur für eine andere Plattform umsetzen, sondern wie meisterhaft sie Oldtimern wie Donkey Kong oder Super Mario frische Aspekte abgewinnen... wer offen für diese Musik ist und nicht das musikalische Äquivalent eines Modern Warfare sucht, der möchte Symphonic Legends genau so erleben wie es in diesem Jahr aufgeführt wurde. Nicht alle Arrangements brillierten, nicht immer war die Moderation angemessen. Fast immer aber legten Orchester, Chor und Solisten zu einer bewegenden Zeitreise auf und spielten mit Metroid und Zelda gar einzigartige Kabinettstücke. Zurück bleibt somit ein bezaubernder Abend, für den man sowohl als Videospieler als auch als Musikliebhaber dankbar sein darf.