Yinsh - Special, Brettspiel, Spielkultur

Yinsh
17.06.2011, Jörg Luibl

Special: Yinsh

Vier gewinnt für Fortgeschrittene

Vier gewinnt kennt jeder, oder? Die Taktik für zwei Personen hat mir mit seinen schnell versenkten Chips so manchen Regentag gerettet. Aber kaum einer dürfte wissen, dass es sogar akademische Aufsätze mit Strategien zu diesem vermeintlich simplen Klassiker gibt. Und wer es nicht nur komplexer, sondern gleichzeitig spannender und dynamischer mag, der spielt Yinsh. Das kennt fast keiner, ist aber noch besser!

Yinsh ist ein Strategiespiel für zwei Personen, leider war es eine Zeit lang für knapp 25 Euro ausverkauft und ist aktuell nur für knapp 60 Euro erhältlich.
Als ich das erste Mal auf der Spielemesse in Essen auf Yinsh traf, das muss im Oktober 2004 oder 2005 gewesen sein, dachte ich aufgrund des exotischen Namens noch, es müsse sich um ein uraltes asiatisches Spiel handeln. Es kann auch an der Verpackung gelegen haben, auf der Steine und Ringe zwischen Wolken schwebten. Jedenfalls zog es mich mit seinem ebenso schlichten wie  edlen Design sowie der Konzentration auf die zwei Farben Schwarz und Weiß magisch an. Und das Anbeißen auf den ersten Blick sollte sich lohnen.

Strategie aus Fernost?

Auch wenn es keinen fernöstlichen, sondern einen belgischen Hintergrund gibt: Yinsh ist bei Kris Burm in Antwerpen entstanden und der fünfte Teil einer auf sechs Spiele angelegten Strategiereihe namens "Gipf-Projekt". Keine Bange, man braucht weder die Vorgänger kennen noch ist das Ganze auf dem Tisch so abstrakt wie es sich anhört. Wichtig ist nur, dass sich diese Konzentration des Autoren auf Strategie für zwei in einem kreativen sowie ungewöhnlich geschliffenen und balancierten Spieldesign bemerkbar macht.

Ziel ist es, auf einem Netz aus Knoten eine Fünferreihe mit seiner Farbe zu bilden – und zwar dreimal hintereinander. Jeder legt dabei Runde für Runde seine Steine; beidseitig lackiert und angenehm schwer in der Hand.  Das hört sich zunächst nach „Vier gewinnt“ an, wird aber aufgrund der Ringe komplett anders und wesentlich dynamischer gespielt. Denn um einen Stein seiner Farbe zu setzen, muss man  ihn in einen der fünf eigenen Ringe legen, die man vor dem Spiel abwechselnd auslegt. Danach bewegt man nur noch den Ring in eine der sechs möglichen Richtungen um so viele Felder, wie erlaubt sind.

Die Macht der Ringe: Stein rein, Ring fliegt weiter und verändert die Farben!
Man muss also mit der cleveren Bewegung seiner Ringe die Platzierung der Steine vorbereiten. Und jetzt kommen zwei wichtige Regeln ins Spiel, die für Spannung und Abwechslung sorgen: Diese Flüge über das Spielbrett können nur von eigenen oder fremden Ringen aufgehalten werden – so lassen sich also gezielt Blocks stellen. Da hat einer schon drei oder vier Ringe in einer Reihe? Dann sollte man bei seinem nächsten Zug besser den Platz besetzen! Oder kann man evtl. über die eigene Offensive kontern und den Gegner früher unter Druck setzen?

Die fliegenden Ringe

Aber erst die zweite Regel macht Yinsh so einzigartig und sie könnte in der obigen Situation noch besser fruchten als der Block: Wer mit seinem Ring in gerade Linie über bereits gelegte Steinreihen fliegt, egal ob eigene, gemischte oder gegnerische, egal ob zwei, drei, fünf oder gar acht, muss direkt dahinter landen und darf sie dann alle umdrehen! Sprich: Überspringt man als weißer Spieler vier schwarze Steine, schafft man sich auf einen Streich vier weiße – das sorgt für plötzliche Machtwechsel auf dem Brett.

Zwischen Ordnung und Chaos: Schwarz gegen Weiß. Alle übersprungenen Steine werden umgedreht.

Dynamischer Machtkampf

Und da hört die Faszination des Spielprinzips noch nicht auf: Denn sobald man eine eigene Fünferreihe meistert, muss man erstens fünf eigene Steine der betreffenden Reihe entfernen, was das Spielbrett wieder luftiger macht, und zweitens auch einen eigenen Ring als Siegpunkt entfernen – hat man drei davon in seiner Leiste, ist man der Sieger. Ein Nachteil als Belohnung? Richtig, damit schwächt man nach einem Etappensieg seine Position, denn man verliert natürlich einen potenziellen Platz und Block für Steine.

Aber genau dieses Hin und Her sorgt nicht nur für unheimlich viel Bewegung auf dem Plan, sondern auch für eine ungewöhnlich gute Balance – man kann Yinsh auch noch gewinnen, wenn jemand mit zwei Siegringen davon zieht.  Und man wird sehr schnell feststellen, dass der direkte Angriff, vor allem das plumpe Fixieren auf schnelle Fünfer, selten zum Erfolg führt – manchmal ist es sogar besser, den Gegner kommen zu lassen und in Sicherheit zu wiegen. Es geht eher darum, mehrere Reihen vorzubereiten, immer wieder mit Bauernopfern zu ködern und vielleicht irgendwann, wenn immer mehr Schwarz und Weiß den Plan fluten, genau den einen Zug für den Farbwechsel zu erkennen.

Ich liebe Yinsh. Es kommt seit Jahren immer wieder auf den Tisch, wenn wir Lust auf Strategie zu zweit haben. Es bietet wie kaum ein anderes Spiel diesen dynamischen Fluss zwischen Offensive und Defensive, zwischen Schlag und Köder. Hier kann man sogar auf lange Sicht an Stärke gewinnen, wenn man sich kurzfristig schwächt. In meiner Liste der zeitlosen Favoriten steht es auch deshalb ganz weit oben, weil sich wirklich nie Routine einstellt, weil es sich immer wieder anders spielt. Hinzu kommt, dass es bei all seinen erfrischenden Möglichkeiten sehr leicht zu verstehen ist – Kinder ab acht Jahren können es problemlos begreifen. Und genau das zeichnet geniale Klassiker aus. An dieser Stelle der späte, aber immer noch begeisterte Glückwunsch an Kris Burm!

Ausblick

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Das ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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