The Bard's Tale (Oldie) - Special, Rollenspiel, PC, Spielkultur

The Bard's Tale (Oldie)
30.11.2011, Jörg Luibl

Special: The Bard's Tale (Oldie)

Electronic Arts hat mal ein Spiel heraus gebracht, das ein ganzes Genre und vermutlich eine ganze Generation prägte. Das ist zwar verdammt pathetisch und verdammt lange her, aber der nostalgische Blick zurück in die 80er Jahre auf "The Bard's Tale" lohnt sich, wenn man die Faszination Rollenspiel verstehen will.

Es gab zwei entscheidende Erlebnisse in meiner Kindheit, die mein Verhältnis zur Fantasy bis heute prägen: Das eine war J.R.R. Tolkiens "Der kleine Hobbit" - ich habe mich als Zehnjähriger in eine Ecke meines Zimmers verkrümelt, dieses Buch in den Sommerferien verschlungen und musste mir danach sofort ein Holzschwert im Schuppen bauen. Eine fremde Macht führte die Hand an der Laubsäge und heraus kam ein wackliges Spanholzstilett, das ich zwar "Stich" nannte, aber das trotzdem nicht blau schimmerte. Ehrlich gesagt sah es lächerlich aus, weil ich mit Filzstiften auch noch Runen draufschmierte.

Die Spanholzfantasie

The Bard's Tale erschien 1985 für nahezu alle Plattformen: Vom C64 über Atari ST, DOS und Apple II bis hin zum NES. Zwei weitere Teile folgten 1986 und 1988 - hier im Bild die Amigaversion.
Trotzdem loderte da eine Flamme immer stärker. Ich wollte alles in mich hinein stopfen, was mit Fantasy zu tun hatte. Aber was gab es da schon Anfang der 80er? Hero Quest war noch nicht erfunden, Pen & Paper nur was für Große, Dungeons & Dragons gerade erst ins Deutsche übersetzt - also mussten Playmobilritter, Masterfiguren oder Filme wie Robin Hood und Conan herhalten. Aber da blieb diese Sehnsucht nach Abenteuer, Kampf und Geheimnissen, die dieser verdammte Wanderer aus dem Auenland ausgelöst hatte.

Mitte der 80er Jahre wurde sie endlich befriedigt, als The Bard's Tale von Interplay erschien. Das war eine Zeit, als die Fantasy gar nicht mehr so laut rief: Ich fuhr voll auf Disketten, Joysticks & Co ab. Wichtig war die Highscore, nicht der Highelf. Und man kaufte keine Spiele, man tauschte sie im Dutzendpack auf dem Schulhof. Cool war nur das, was die 16-jährigen Lederstreifenjeanstypen cool fanden. Und wer hatte schon 89 Mark für ein komisches Spiel dieser kleinen Firma Electronic

Hier ein Blick auf die farbenfrohe Amiga-Version, die bis heute die beste Kulisse präsentiert.
Arts übrig?

Kaminfeuer-Romantik

Es hat mich also kalt erwischt. Ich erinnere mich noch genau, dass schon die wehmütige Titelmelodie dieses Spiels von Michael Cranford etwas tief Schlummerndes wach küsste. Und dann war es Liebe auf den ersten Blick - hört sich doof an, ist aber so. Denn noch bevor ich meine erste Party in der Gilde der Abenteurer zusammen stellte, sorgte diese eine Grafik (erstes Bild ganz oben) für ein so mächtiges Déjà-vu, dass ich sofort eine Gänsehaut bekam: Da saßen doch tatsächlich Helden an einem knisternden Kaminfeuer und lauschten dem Gesang eines Barden!

Long ago, when magic still prevailed, the evil wizard Mangar the Dark

threatened a small but harmonious country town called Skara Brae.

Diese Szene sorgte schon für so viel Neugier und Stimmung, dass ich Tolkiens Pfeifenrauch in meinem Zimmer riechen konnte. The Bard's Tale war das zweite entscheidende Erlebnis für mich, denn jetzt konnte ich selbst Bilbo

Auf dem C64 musste man schon etwas mehr Fantasie aufbringen, was Farben und Formen angeht.
oder Frodo sein. Und ich musste mir nichts Blödes schnitzen, ich konnte mit Breitschwert und Turmschild in eine ganze Welt voller Dungeons abtauchen! Wie viele Stunden habe ich damit verbracht, die sechs Gefährten aus zehn Klassen und sechs Rassen zu finden? Selbst Halb-Orks und Hobbits, Diebe für hinterhältige Attacken und gefährliche Kampfmönche waren dabei.

Party-Rollenspiel für alle Klassen

Das Besondere an The Bard's Tale war ja nicht nur, dass man aus vier Magiekundigen (Conjurer, Magician, Sorcerer, Wizard) mit eigenen Zaubern wählen und sogar Lieder wie "Falkentyne's Fury" für mehr Schlagkraft, "The Seeker's Ballad" für Licht im Dunkeln oder "Lacklaran" mit seinem magischen Schutzschild zur Unterstützung spielen konnte - der Barde musste übrigens nach so manchem Kampf etwas trinken, um seine Stimme zu ölen. Nicht nur seine Stimme war wichtig, man konnte nur mit echter Handarbeit überleben: Also hieß es Karten zeichnen! Auto-Mapping? Nix da! Am besten ging das mit freundlicher Unterstützung eines mit Bleistiften und Papier bewaffneten Beisitzers.

You are there. You are the leader of this ragtag group of freedom fighters.

Luckily you have a Bard with you to sing your glories, if you survive.

Im Gegensatz zum rein kerkerbasierten Wizardry gab es ja auch eine Außenwelt! Okay, da handelte es sich nur um eine Stadt, aber ich habe damals so gestaunt wie Ende der 90er in The Legend of Zelda: Ocarina of Time oder später in den Wäldern von The Elder Scrolls IV: Oblivion: Wie groß das alles war, wie stimmungsvoll und was es da alles in Egosicht zu entdecken gab - Tempel, Tavernen, Ställe, Türme, Geschäfte, Statuen! Und da ging es dank 3D-Scrolling, animierten (!) Monster in Farbe technisch richtig ab.

Dungeon-Explorer in Egosicht

Die Stadterkundung auf spartanische Art...
Und was für eine epische Ausgangslage für tapfere Helden: Der teuflische Magier Mangar hat eine Stadt in ewigen Winter gehüllt, Monster streunen des Nachts durch die Gassen - Werwölfe, Barbaren, Spinnen und sogar Drachen! Natürlich stand der Kampf in den Dungeons Vordergrund. Nur so konnte man Erfahrungspunkte gewinnen und aufsteigen, um seine Hitpoints zu steigern. Und auch der unfreiwillige Humor kam nicht zur kurz:

Aber das war kein Gauntlet, kein Kloppmist: Was The Bard's Tale damals wie heute gegenüber reinen Dungeoncrawlern auszeichnete war dieses eigenwillige Abenteuerflair, das die Fantasie reizt. Es gab Rätsel, die mit ihren Kombinationen fast Adventure-Niveau erreichten, interessante NPCs mit mythischen Namen und clevere Labyrinthe, in denen man schon mal eine seltsame Stimme hörte oder plötzlich Türen verschwanden. Es gab Geheimgänge, komplett verdunkelte Bereiche, versteckte Teleporter und mächtige Artefakte, die für so manchen Sieg gegen einen Golem wichtig waren.

You face death itself in the form of 1 Gnom!

Will your stalwart band chose to Fight or Run?

Mit diesem ebenso abwechslungsreichen wie komplexen Spieldesign war es dem ursprünglich auf Apple erschienenen Wizardry weit voraus. Deshalb begann mit den ersten Schritten durch die Stadt Skara Brae das magische Rollenspielzeitalter für mich, dem mit Dungeon Master, Eye of the Beholder, Amberstar, Black Crypt, Ultima, Baldur's Gate und Gothic noch viele Formen und Varianten folgten. Bis heute ist dieses Genre mein virtueller Lieblingsspielplatz. Herzlichen Dank an Tolkien für das epische Feuer und Cranford für das erste Öl!

For this is the stuff of legends. And so the story continues...

Jörg Luibl