Day of the Tentacle - Special, Adventure, Mac, PC, PS_Vita, XboxOne, PlayStation4

Day of the Tentacle
23.12.2010, Paul Kautz

Special: Day of the Tentacle

Tentakel hat man meist in schlabberiger oder panierter Form beim Chinesen seiner Wahl auf dem Teller - nur selten bekommt man es mit einem zu tun, das sich die Weltherrschaft auf den Plan geschrieben hat. Was gut ist, denn Tentakel sind diabolische Gegner - wie das in unserem Oldie des Monats!

Zwei durch radioaktiven Schleim gewachsene Stummelärmchen - was kann ein durchgeknalltes Tentakel damit schon anfangen?
Kämpfe gehörten schon immer zur Menschheit dazu; Kämpfe um Macht, Land, Weib. Kämpfe um Öl, Ehre oder aus Langeweile. Und natürlich Kämpfe um das Recht. Irgendein Recht. Seit es mehr als einen Computer gibt, sind Letztere unter Vertretern verschiedener Lager enorm populär: Game Boy vs. Lynx, Atari ST vs. Amiga, Mega Drive vs. SNES, PlayStation vs. Saturn, Xbox 360 vs. PlayStation 3. Alle Lager sind verhärtet, das eigene hat aus Prinzip Recht, das andere nachweislich nicht die geringste Ahnung. Natürlich hört dieser Spaß bei der Hardware noch lange nicht auf: Tekken vs. Virtua Fighter, Blizzard vs. Westwood - und natürlich LucasArts vs. Sierra. Ah, das klassische Gefecht Gut gegen Böse. Man möge bitte selbst definieren, was auf wen zutrifft.

Schöne alte Welt

Für mich war es klar: LucasArts (bzw. damals noch Lucasfilm Games) waren die Guten. Nein, die Besten, die Bestesten - die hatten in ihrer Vergangenheit einfach die coolsten Spiele! Die hatten TIE Fighter, Rebel Assault, Indiana Jones and the Fate of Atlantis und The Secret of Monkey Island. Es gab natürlich noch andere sehr kompetente Knobel-Lieferanten, allen voran Revolution Software (die u.a. die großartigen Titel »Lure of the Temptress« sowie »Beneath a Steel Sky« entwickelten, welche mittlerweile kostenlos erhältlich sind ) und Westwood (die mit der Legend of Kyrandia-Trilogie verzauberten). Aber Lucasfilm Games saßen unverrückbar auf ihrem im Sonnenschein gleißenden Diamantenthron. Irgendwann ist die bedauernswerte Firma - von Managern geleitet, die sich durch zu eng geschnürte Krawatten die Blutzufuhr zum Hirn selbst abschnitten - zu einem Fließbandlieferanten schlechter Star Wars-Spiele mutiert, aber die End-80er und ganz besonders die 90er waren LucasArts' große Jahre. Was nicht zuletzt an unserem Oldie des Monats lag:

Der ikonische Moment von DotT: Der Hamster landet nicht in der Mikrowelle, sondern in der Tiefkühltruhe - das damit verbundene Puzzle ist repräsentativ für das wundervoll durchgeknallte Design des Spiels.
Eigentlich »Maniac Mansion 2: Day of the Tentacle«, was dem Kenner des ersten Teils mehr als genug Infos liefert. Und doch war das nicht einfach eine stinknormale »More of the same«-Fortsetzung, sondern ein brandneues Adventure-Erlebnis. Natürlich gab es jede Menge Überschneidungen mit dem ersten Teil: Die Tentakel, das Haus der Edisons, die Edisons selbst, den Hamster, die Mikrowelle. Und Bernard, einen der der drei Helden von DotT - die anderen beiden waren der mit einer bewundernswerten Scheißegal-Einstellung gesegnete Roadie Hoagie sowie die völlig abgespacete Studentin Laverne. Und das war's auch schon, mit diesen dreien verbrachte man das ganze Abenteuer. Das folgerichtig auch nur einen Lösungsweg hatte - der Vorgänger war mit der Figurenwahl (es gab sieben unterschiedliche Charaktere, die das Abenteuer auf ihre Weise beeinflussten) etwas interaktiver. Eines blieb jedoch unverändert: Man durfte zwischen den gleich zu Beginn per Zeitklo (»Chron-O-John«) in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verteilten Helden jederzeit wechseln, was für einige der grandiosesten Puzzles in der Adventure-Geschichte sorgte! Mein Lieblingsstichwort in dieser Hinsicht ist »Hamster im Kühlfach«, denn es steht repräsentativ für das wunderbar verdrehte, aber doch logische und nachvollziehbare Design der Gehirnverknoter. Ach, verdammt, ich kann nicht widerstehen - ich werfe jetzt einfach mal ein paar Begriffe in den Raum. Wenn ihr sofort die entsprechenden Bilder vor Augen habt, dann sind wir im Herzen vereint: George Washingtons Gebiss, Spaghetti-Haare, Kirschbäume, Ooozo der Clown, Linkshänderhammer, angemalte Miezekatze.



Day of the Tentacle

Hoagie landet in der Vergangenheit, wo er u.a. auf eine der wichtigsten historischen Figuren der USA trifft. Explodierende Zigarren und Klapperzähne spielen eine wichtige Rolle.
Es waren nicht nur die Puzzles, die DotT seinen Platz in der Geschichtssschreibung sicherten - es war auch die bewundernswert bescheuerte Story.  Tim Schafer, Dave Grossmann und Ron Gilbert, das LucasArts-Dreamteam, waren hier auf dem Höhepunkt ihres kreativen Schaffens, was schon mit dem grandiosen Intro beginnt: Purpur Tentakel, eine der Nebenfiguren des Vorgängers, trinkt vom radioaktiven Schleim, der aus Dr. Fred Edisons Haus heraus gepumpt wird. Das Resultat: Ihm wachsen zwei Stummelärmchen! Was macht man, wenn einem zwei auf radioaktivem Schleim basierende Stummelärmchen wachsen? Natürlich DIE WELT EROBERN! Bernard, Hoagie und Laverne verbünden sich mit Dr. Fred, der den genialen Plan hat, die drei einfach per Zeitlokus einen Tag in die Vergangenheit zu schicken, um die Schleimmaschine abzuschalten und das Ganze damit ungeschehen zu machen. Ärgerlicherweise hat er einen billigen Diamanten als Zeitantrieb im System, wodurch natürlich alles schief geht: Hoagie landet 200 Jahre in der Vergangenheit, Bernard plumpst zurück in die Gegenwart und Laverne wird 200 Jahre in die Zukunft geschleudert - wo die Armeen Purpur Tentakels die Weltherrschaft an sich gerissen haben.

Bernard verbleibt in der Gegenwart, wo der es mit den aus Maniac Mansion bekannten Edisons zu tun bekommt.
Im Falle von Hoagie: Erstmal die Elektrizität erfinden. Der Bursche wurde 200 Jahre in die Vergangenheit geschleudert, zur Zeit der Ausarbeitung der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Klar, dass er auch auf einen Haufen historischer Gestalten trifft: George Washington, Thomas Jefferson, Ben Franklin und Betsy Ross zählen zum Kreis der geschichtlich verbürgten Personen, mit denen er interagieren muss. Laverne hingegen darf sich mit einer Welt voller Tentakelherrscher herumschlagen, die sich Menschen als putzige Haustiere halten. Bernard verbleibt im gegenwärtigen Haus der Edisons, wo er u.a. eine folgenschwere Begegnung mit Ed Edison hat - der sich vom cholerischen Militärfreak zum friedvollen Briefmarkensammler gewandelt hat. In seinem Raum steht übrigens ein Computer, an dem man den Vorgänger Maniac Mansion in seiner Komplettheit spielen kann! Oder fast in seiner Komplettheit, denn die erste Fassung von DotT beinhaltete einen Fehler, mit dem eine bestimmte Figurenkombination verbuggt war und somit nicht bis zum Ende durchgespielt werden konnte - ein Problem, das sich mit der Nutzung von ScummVM dankbarerweise erledigt.



Was tun, was tun?

Für das muss man den Entwicklern ohnehin auf Knien danken, denn gerade dank ScummVM spielt sich DotT heute besser denn je - und sieht immer noch hinreißend gut aus! Der herrlich bekloppte, verdrehte Comicstil ist bis heute einzigartig, das Design der Figuren ist liebenswert bis in den letzten Pixel, jeder einzelne Raum ein kleines Kunstwerk für sich. Day of the Tentacle ist keine Sekunde gealtert - weder spielerisch noch grafisch! Und selbst akustisch ist es, vom Rauschen mal abgesehen, immer noch mindestens Oberklasse: Die Sprecher sind super besetzt, selbst die deutsche Fassung ist mit Ausnahme des einschläfernden Grün Tentakel meisterhaft vertont. In der normalen, auf sieben 3,5"-Disketten verteilten Version, wird nur das Intro bis zur Ankunft im Haus der Edisons gesprochen. Zusätzlich war auch eine Talkie-Version auf CD erhältlich, die durchgehende Sprachausgabe bot.

Und Laverne landet in der Zukunft - hier haben die Tentakel die Weltherrschaft übernommen!
Für mich ist Day of the Tentacle bis heute das ultimative Abenteuer, die perfekte Definition des Begriffs »Adventure«. Es hat einfach alles: Eine brillante Präsentation, die bis heute nicht ein Fitzelchen ihrer Exzellenz verloren hat. Eine erstklassige Bedienung, die zum Experimentieren einlädt. Einen grandiosen Humor, der, so möchte ich sagen, danach von keinem anderen Spiel mehr erreicht wurde. Und vor allem wahnwitzig durchgeknallte Puzzles, die einem aber nie das Gefühl geben, dass man zu doof für das Spiel sei - sondern ganz im Gegenteil logisches Um-drei-Ecken-Denken fördern, was schlussendlich ein herrlich befriedigendes Grinsen im Gesicht des Spielers hervorzaubert, wenn man es gepackt hat. Und das war für mich auch immer der Grund, warum LucasArts gegenüber Sierra die Adventure-Nase deutlich vorne hatte: Zwar gab es im anderen Lager Larry und Roger Wilco, aber deren Abenteuer sahen nicht nur irgendwie fusselig aus und waren deutlich weniger witzig, sondern vor allem meist haarsträubend unlogisch. Außerdem ging man dauernd drauf. Und wer will das schon?

Aber der beste Beweis ist für mich immer noch folgender: Ich wollte eigentlich nur ein paar Screenshots für den Oldie des Monats machen. Das Resultat war, dass ich DotT einfach so mal wieder durchgespielt habe. Und dabei mehr Spaß hatte als mit einem Großteil der ach so modernen Software, die ich dieses Jahr getestet habe.

Paul Kautz