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Le Havre
13.04.2012, Jörg Luibl

Special: Le Havre

Clevere Hafenwirtschaft

Ihr mögt Spiele, in denen man clever mit Rohstoffen umgehen und Waren verkaufen muss? Dann könnte der Aufbau eines florierenden Unternehmens in Le Havre interessant sein. Immerhin wurde der Klassiker von Uwe Rosenberg entwickelt, der bereits mit Agricola ein meisterhaftes Händchen für wirtschaftliches Spieldesign bewiesen hat.

Le Havre erschien 2008 und war lange Zeit vergriffen. Mittlerweile gibt es eine neue Ausgabe von Lookout Games für knapp 40 Euro, die zusätzliche Sondergebäude enthält.
Was, ich brauche gleich fünfzehn Einheiten an Nahrung? Und ich habe nur noch zwei Züge? Moment, was habe ich denn auf Lager und was könnte ich…so beginnt es im Kopf zu rattern, erneut grübelt man über die schnellsten Wege zu Fisch, Brot und Fleisch. Denn obwohl es in LeHavre darum geht, am Ende der reichste Händler zu sein, muss man sich am Ende jeder Runde um die Verpflegung seiner Arbeiter kümmern. Und das sorgt gerade zu Beginn dafür, dass viel Geld und viele Rohstoffe in Lebensmittel investiert werden.

Hunger am Hafen

Man braucht Geduld und eine Strategie, bei der man sich nicht überall verzettelt. Nur wer es schafft, über Gebäude wie den Schlachthof, die Räucherei oder das Backhaus genug Vorräte zu erzeugen, kann irgendwann in den ertragreichen Handel der Reederei oder gar eine Bank investieren. Noch wichtiger sind Schiffe, denn wer frühzeitig die Kutter aus Holz, Eisen oder Stahl baut, schlägt drei Fliegen mit einer Klappe: Erstens sorgen sie automatisch für Nahrung, zweitens kann man mit ihnen Waren verkaufen und drittens sind sie eine Wertanlage für den Sieg!

Je nach Spielerzahl (1 – 5) und Variante (komplett oder verkürzt), kann das zwischen vier und zwanzig Runden, also zwischen zwanzig Minuten und mehr als drei Stunden dauern. Am Ende werden alles Geld und alle Gebäudewerte zusammen gerechnet – wer vorne liegt, gewinnt.

Aber bis dahin fließt viel Wasser die Seine hinab: Das vom französischen Hafen inspirierte Spiel verlangt einen geduldigen, möglichst effizienten Aufbau eines erfolgreichen Unternehmens. Dabei greift ähnlich wie in Agricola ein einfaches, aber aufgrund des ständigen Entweder-Oders auch verflixt entscheidungsabhängiges Prinzip aus Rohstoffaufnahme oder Bau- bzw. Gebäudeaktion. Man hat ja nur einen Spielstein! Also nehme ich in meinem Zug lieber Holz oder Weizen, Vieh oder Stahl, Fisch oder Lehm?

Man braucht nicht all zu viel Platz: Das schlichte, aber ansehnliche Design erinnert an Agricola.
Fisch ist verführerisch, denn man kann ihn im Gegensatz zum Weizen direkt essen. Oder doch besser das Geld, denn damit darf man Nahrung ersetzen? Ich könnte auch endlich das Backhaus errichten, denn Brote sind doppelt so nahrhaft wie Fische!

Von Holz bis Stahl

Und selbst das muss man sich gut überlegen: Schließlich gibt man dann seine  Rohstoffe dafür aus, dass alle Spieler fortan backen können. Richtig gehört, denn wer etwas baut, besitzt es nicht exklusiv! Er ermöglicht damit allen am Hafen handelnden Parteien die Nutzung, die wiederum meist eine Gebühr in Form von Nahrung oder Geld kostet. Das tut ebenfalls weh, denn am Ende jeder Runde muss man ja immer seine Arbeiter verköstigen, sonst drohen Schuldscheine. In den ersten Partien scheint man gar nicht ohne diese Kredite auszukommen, zumal der Hunger der eigenen Leute ständig wächst. Wie soll man da bloß in einen gesunden Kreislauf kommen und Gewinne machen?

Ohne Schiffe nix los: Nur wer sie frühzeitig baut, hat eine Chance.
Hier entwickelt jeder Spieler mit der Zeit eine andere Taktik, obwohl das frühe Bauen von Schiffen quasi lebenswichtig ist. Allerdings kann man später auf viele Arten sein Geld verdienen: Die einen räuchern Fische oder gerben Leder, die anderen verkaufen Holz, Felle oder investieren in lukrative  Sondergebäude. Die kann man kaufen und exklusiv nutzen, während man beim Kauf eines normalen Gebäudes für dessen Benutzung eine Gebühr bekommt. Aber in LeHavre gibt es neben der Nahrung eine weitere wichtige Komponente, die das Spiel um zusätzliche Grübelei bereichert: Die Energie.

Holz, Kohle oder Koks?

Wer Fische räuchert, braucht Holz für den Rauch; wer Brot backt, braucht Holz für den Ofen; und selbst wer Schiffe baut, braucht neben Holz, Eisen oder Stahl auch reichlich Energie. Und ähnlich wie sich der Wert der Nahrung über das Backen oder Schlachten steigern lässt, kann man über eine Köhlerei oder Kokserei auch mehr Energie aus seinem Holz oder der Kohle herausholen. Aber hat diese Gebäude schon jemand gebaut? Und hat man überhaupt diesen wertvollen Zug frei, um sein Holz umzuwandeln? Sollte man nicht lieber all die Rinder nehmen oder Geld machen? Das Einzige, was man immer tun darf, ist der Kauf. Der scheint zu Beginn fast utopisch, weil alles so teuer ist, aber gerade in den letzten drei Runden, wenn die Versorgung mit Nahrung und Energie sicher ist, entsteht

Alle 16 Rohstoffe bzw. Waren werden von Plättchen symbolisiert.
noch einmal ein spannender Wettlauf um die lukrativsten Gewinne.

So spannend kann Wirtschaft sein! Man beginnt quasi mit leeren Händen, muss sein Unternehmen zielgerichtet, aber geduldig aufbauen und einen cleveren Weg finden, das Beste aus den vorhandenen Mitteln und Gebäuden zu machen. Der verflixte Spielspaß entsteht nicht nur aufgrund der intelligenten Verknüpfung von Rohstoffen, Energie und Ernte oder des Wettlaufs mit den anderen Hafenfirmen, sondern vor allem aufgrund der Beschränkung auf wenige Züge – man kann nicht alles gleichzeitig machen, muss die richtigen Entscheidungen nacheinander treffen. Lediglich die für alle gleiche Fixierung auf die Schiffe sorgt für etwas zu viel taktischen Gleichschritt zu Beginn. Die Glückskomponente ist aber angenehm gering und beschränkt sich auf das Auftauchen von Sondergebäuden, so dass man sich eine individuelle Strategie zurechtlegen kann. Le Havre kommt für mich zwar nicht ganz an die Faszination von Agricola heran, aber es rangiert nur knapp dahinter. Uwe Rosenberg ist mittlerweile so etwas wie der Sid Meier der Brettspielwelt. Obwohl man Le Havre auch solitär und wunderbar zu zweit spielen kann, entfaltet es seine größte Sogkraft mit drei bis vier Spielern. Eine klare Empfehlung!

Ausblick

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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