Village - Special, Brettspiel, Spielkultur

Village
18.06.2012, Jörg Luibl

Special: Village

Sterben für den Nachruhm

Ist der Tod ein Grund zum Trauern? Nicht in diesem mittelalterlichen Abenteuer, denn der Nachruhm der verstorbenen Verwandten bringt der Familie wichtige Siegpunkte. Nur wer den Kreislauf von Leben und Tod über mehrere Generationen strategisch meistert, wird die Dorfchronik zieren und am Ende gewinnen.

Er hat seine Heimat schon früh verlassen, ist weit in die Welt hinaus gewandert und hat seiner Familie bereits einiges an Ruhm gebracht, weil er fremde Städte erkundet hat. Aber jetzt muss der Großvater wohl für immer Lebewohl sagen, denn der Zahn der Zeit fordert den Tod eines Verwandten der ersten Generation.  Jetzt hat der Spieler allerdings die Wahl, wen es treffen soll - und hier sollte man genau hinschauen: Kann der Wanderer vielleicht noch mehr Ruhm erreichen als einer seiner ebenfalls alten Brüder, die Handwerker oder Ratsherren sind?

Ein guter Tag zum Sterben?

Village ist für zwei bis vier Spieler geeignet, erschien Ende 2011 bei Pegasus und kostet knapp 30 Euro.
Ziel des Spiels ist es, eine fleißige Familie über mehrere Generationen möglichst ruhmvoll zu leiten, indem man die jüngsten Verwandten optimal ausbildet und die ältesten Verwandten möglichst clever sterben lässt – das erinnert ein wenig an Small World. Man kann zwar auch kurzfristig über Aktionen etwas Ruhm ergattern, aber das bedeutet, dass man langfristig anonyme Gräber vermeiden und lukrative Plätze in der Dorfchronik besetzen sollte. Je nach Beruf des Verstorbenen gibt es da fünf ehrenvolle Bestattungen für Ratsherren, Handwerker, Kirchenmänner, Bauern und Reisende. Aber Vorsicht: Die Anzahl ist begrenzt! Und die anderen Familien wollen auch in guter Erinnerung bleiben…

Der mittelalterliche Dorfplan wurde klasse illustriert; es reicht ein normaler Tisch. Auf der Leiste am Rand werden die Ruhmpunkte gezählt.
Nur wer am Ende mehr Verwandte in einem der fünf Bereiche bestattet hat, bekommt die Siegpunkte dafür. Deshalb muss der alte Wanderer jetzt dran glauben, denn es ist noch ein Platz frei und den Handwerker braucheich noch: Über ihn kann ich einen Pflug herstellen, den man wiederum zusammen mit dem Ochsen am Markt verkaufen kann, wofür es satte sechs Ruhmpunkte gibt. Oder aufsparen und ihn auf dem eigenen Hof einsetzen? Man könnte damit plus Pferd mehr Weizen ernten, um in der Kirchenhierarchie aufzusteigen oder es in der Mühle zu Gold zu machen. Man könnte auch im Rathaus aufsteigen oder Nachwuchs bekommen…

Fünf Berufe, begrenzte Ruhestätten

Allerdings sollte man nicht zu lange warten, denn die konkurrierenden Familien sind auch irgendwann am Zug - außerdem droht die Pest. Denn sobald man sich für eine Aktion entscheidet, nimmt man einen farbigen Stein vom enstprechenden Feld, auf dem eine zufällige und begrenzte Anzahl davon liegt, darunter evtl. auch schwarze Steine. Wer die nehmen muss, zahlt umgehend mit zwei Runden Lebenszeit. Das hört sich nach einer Strafe an, aber selbst diese Krankheit kann über den frühen Tod dafür sorgen, dass man den letzten Platz in der Dorfchronik ergattert.

Das Schöne an Village ist, dass es ähnlich wie in Agricola, mit dem es einiges gemein hat, sehr viele Möglichkeiten für die Entwicklung der eigenen Familie gibt. Und selbst wenn man schon zwei, drei Generationen an Figuren verteilt hat, darf man nur eine Aktion ausführen – da kann es schon darauf ankommen, wer als Erster zieht. Aber was ist jetzt gerade am Sinnvollsten? So ertappt man sich bei einem strategischen Grübeln,  während man den idyllisch illustrierten, angenehm großen Dorfplan betrachtet. Das charmante Artdesign sorgt umgehend für Mittelalterflair, alles wirkt farbig markant und ist nach einem Probespiel selbsterklärend.

Unter der bunten Oberfläche von Kirche, Rathaus und grünen Weiden steckt ein anspruchsvolles, unheimlich gut verzahntes Spiel, das vor allem eines auszeichnet: Die Zeit ist der wertvollste Rohstoff. Man sammelt zwar auch kleine farbige Einflusssteine, Münzen und Getreide, mit denen man direkt Waren oder Aktionen bezahlen kann. Der wandernde Großvater musste z.B. für jede Etappe einen Planwagen sowie zwei oder drei farbige Steine zahlen. Um Ersteren zu bekommen, musste die Familie dort entweder einen ausgebildeten Handwerker haben oder die Steine, um ihn zu kaufen.

Wertvoller Rohstoff: Lebenszeit

Wer eine Aktion ausführt, nimmt sich einen farbigen Stein. Damit kann man Aktionen und Waren bezahlen - die schwarzen Steine kosten Lebenszeit.
Noch wichtiger ist allerdings die Zeit, die der Großvater auf dem Weg verliert. Sanduhren auf dem Spielplan zeigen an, um wie viele Plätze man die Lebenszeit der Familie weiter setzen muss, wenn man z.B. etwas wie Planwagen, Pflug, Ochse oder Pferd herstellt bzw. züchtet. Egal wer Zeit verschwendet: Sie läuft universal für die Familie ab, dargestellt durch einen zehnstufigen Wolkenring auf dem Hofplan. Und sobald der Marker die Brücke überschreitet, muss man nach der Aktion auch jemanden begraben. Aber wen? Damit man immer die älteste Generation findet, sind die Figuren alle mit Zahlen gekennzeichnet, von eins bis vier.

Noch sind alle lukrativen Plätze in der Dorfchronik frei; die orangen Figuren sind nur Platzhalter beim Spiel zu zweit.
In den ersten Spielen denkt man noch, dass man möglichst niemanden verlieren sollte – denn dann fehlt ja auch eine Figur, die Aktionen ausführen kann. Also vermeidet man den Tod instinktiv, indem man zeitraubende Tätigkeiten wie Ausbildungen oder Warenerstellung nur selten nutzt. Doch schon bald bemerkt man, dass ein gesunder Kreislauf von Leben und Tod wesentlich effizienter  ist, denn auch mit einem frühen Ableben kann man sich ja Plätze in der Dorfchronik sichern, bevor diese besetzt sind. Aber auch hier sollte man mit Bedacht wählen, denn Ungeduld wird bestraft: Wer direkt seine erste Generation in den Kampf um die Hierarchie in Kirche und Rathaus schickt, muss sie vielleicht zu früh opfern – noch bevor sie die Spitzenposition erreicht.

Das ist ein German Boardgame at it’s best! Stimmungsvolles Artdesign, angenehm offene Spielmechanik, flotter Zugrhythmus, gut verzahntes Regelwerk und vor allem der wichtige kreative Impuls: Dank des strategischen Generationswechsels wirkt dieses Spiel markant und frisch. Es geht nicht um Trauer, Schuld und Sühne: Nur wer sowohl Leben als auch Tod seiner Familie clever managt, wird am Ende den größten Nachruhm ernten. Da kann es schon mal helfen, wenn Großvater etwas zügiger den Platz in der Dorfchronik sichert. Die Möglichkeiten der Ausbildung, Reise und Ernte, des Verkaufs und der Karriere sind so vielfältig, dass immer mehrere Wege zum Ziel führen. Dabei ist die Zeit der wichtigste Rohstoff und der Ehrgeiz der anderen Familien der größte Feind. Wer anspruchsvolle Spiele der Marke Agricola mag, kann hier bedenkenlos zugreifen, zumal Village auch zu zweit sehr gut unterhält. Mittlerweile wurde es bei der Wahl zum „Kennerspiel des Jahres“ als Kandidat nominiert – meine Stimme hat es.

Ausblick

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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