A Few Acres of Snow - Special, Brettspiel, Spielkultur

A Few Acres of Snow
25.07.2012, Jörg Luibl

Special: A Few Acres of Snow

Gelände- & Kartentaktik für zwei

Es gibt Spiele, die ziehen magisch an. Nur weil sie eine Illustration zeigen, die irgendwie Neugier und dazu reichlich Assoziationen weckt – in diesem Fall von Pulverdampf und Kanus, von Waldläufern und Rotröcken. Sehr häufig wird das Artdesign nach dem Öffnen der Box allerdings von der langweiligen Wirklichkeit eingeholt. In diesem Fall folgt dem Indianer im Schnee ein spannendes historisches Taktikspiel für zwei, das gerade ins Deutsche übersetzt wurde.

Dass Englisch und nicht Französisch heute die dominierende westliche Weltsprache ist, hat viel damit zu tun, dass sich die Briten in den Wäldern Nordamerikas durchsetzen konnten. Dabei war der militärische Sieg über die Franzosen gar nicht sicher. Immerhin gründeten beide Nationen fast zeitgleich Anfang des 17. Jahrhunderts ihre ersten Kolonien an der Ostküste der Neuen Welt. Und die Franzosen dominierten bald nicht nur den kanadischen Norden sowie den Pelzhandel, sondern bildeten wichtige Allianzen mit den Indianern.

Zeitreise ins 18. Jahrhundert

A Few Acres of Snow ist 2012 für knapp 35 Euro bei Asmodee erschienen. Es ist eine Mischung aus Brett- und Kartentaktik für zwei Personen. Und die Spielmechanik hält, was das tolle Artwork verspricht.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis diese europäischen Mächte auch in Amerika aneinander gerieten. Schon vor dem kontinentalen Siebenjährigen Krieg gab es ab 1754 viele Scharmützel und Überfälle. Als die Franzosen dann 1756 das britische Fort Oswego eroberten und mit ihrer Guerilla-Taktik immer wieder Nadelstiche setzten, sammelten die Briten im großen Stil Truppen. Ihr Vorteile: Die bessere städtische Infrastruktur, die personelle Überlegenheit sowie die starke Marine.

Das Problem für beide waren Nachschub und Routenplanung in der Wildnis – oftmals wurden Überfälle und Lieferungen über Indianerpfade organisiert, deshalb waren beide auf die Ureinwohner als Verbündete angewiesen. Diese interessante Ausgangsposition bildet diese Mischung aus Karten- und Brettspiel ab. Die Idee dazu stammt von einem Militärhistoriker, die Umsetzung von einem Dominion-Kenner. Diese Kombination hat inhaltlich authentische sowie spielmechanisch dynamische Früchte getragen. Die Mischung aus Zugstapel, Ablage, Reservedeck sowie freien und zwei exklusiven Stapeln ist schnell verinnerlich, sorgt für Planungsoffenheit und überraschende Wendungen.

Authentische geostrategische Lage

Die Karte wurde sehr gut illustriert, ist angenehm groß, bietet genug Platz und zeigt das Gebiet um den Golf von Maine bis hoch zum Huron-See. Schade ist allerdings, dass man diese großen Buchten und Gewässer nicht beschriftet hat: Der Golf von St. Lawrence etwa oder der Erie- und Ontario-See sind nur nackt zu sehen. Lediglich die vielen Siedlungen und Forts werden genannt. Ansonsten ist das Spielmaterial schlicht und gut: Plastikgold und -silber, dazu Holzsteine in verschiedenen Formen für Städte, Belagerungen & Co.

In der Box befinden sich Anleitungen auf Englisch, Französisch und Deutsch. Die englischen Kartentexte wurden nicht übersetzt, dafür werden ihre Funktionen auf den Spielhilfen deutsch erklärt.
Sowohl die geostrategische Lage als auch der Aufbau der Decks spiegelt das Kräfteverhältnis der damaligen Zeit wider. Der britische Spieler hat zu Beginn mehr Geld, mehr Städte, mehr Häfen. Dafür hat er keine Garnisonen mehr am Ontariosee, so dass sich seine Grenzlinie auf die Bucht von Maine beschränkt. Die Franzosen sind hingegen weiter gestreut, von Montreal bis Louisburg. Außerdem haben sie die exklusive Möglichkeit der Piraterie, während die Briten ihre Siedlungen leichter zu Städten entwickeln können.

Blauröcke gegen Rotröcke

Wie kann man den Konflikt für sich entscheiden? Das Spielziel ist angenehm variabel und erlaubt sowohl defensive als auch offensive Taktiken: Man gewinnt zum einen, wenn man als Erster alle seine Scheiben oder Quader, die Dörfer oder Städte repräsentieren, platziert hat – wenn man sich also komplett entwickelt hat. Zum anderen gewinnt man mit zwölf Siegpunkten über eingenommene feindliche Dörfer oder Siedlungen. Außerdem hat man die Nase vorn, wenn man wichtige Städte erobert: Der Brite gewinnt mit Quebec, der Franzose mit Boston oder New York in seiner Gewalt.

Man kann also auch gewinnen, ohne den Gegner militärisch unter Druck zu setzen. Man muss allerdings auf der Hut sein, dass nicht plötzlich der Feind vor der Tür steht. Das mag angesichts der Weite der Karte zunächst unwahrscheinlich anmuten, aber schon bald nähern sich Blauröcke und Rotröcke unweigerlich an. Und in der Bewegung zeigt sich eine weitere Stärke des Spiels, denn man kann mit Kanus über die vielen Flüsse, mit Schiffen über Meer und Buchten, mit Karren über die wenigen Straßen fahren – falls man das jeweilige Symbol auf der Karte hat.

Über Buchten, Flüsse und Wege

Und die Expansion in andere Gebiete ist direkt mit mehr Möglichkeiten verknüpft: Sobald man einen Ort besetzt,kommt die entsprechende Karte zunächst auf den Ablagestapel und wandert beim nächsten Mischen in den Zugstapel. Man erweitert die Aktionsmöglichkeiten seines Decks also parallel zur Erkundung – eine gute Idee.

Natürlich kann man auch Karten ins Deck kaufen oder neutrale ziehen, so dass sich ähnlich wie in Dominion eine Vielfalt an Möglichkeiten ergibt. Die Kehrseite der Medaille: Der Zugstapel wird immer größer und damit sinkt natürlich die Wahrscheinlichkeit, genau die Karte zu ziehen, die man gerade auf der Hand braucht. Dort hat man immer nur fünf Möglichkeiten zum Ausspielen. Aber auch hier sorgt die clevere Spielmechanik für Abhilfe: Zum einen gibt es einen

Die edle Karte ist ein Blickfang, das Artdesign ansonsten schlicht und gut mit zahlreichen Illustrationen. Man braucht keinen all zu großen Tisch.
Reservestapel, wo man Karten quasi für später parken kann – ideal für Truppen, Milizen & Co. Zum anderen kann man überflüssige Karten auch wieder verbannen, um die Effektivität des Decks zu verbessern.

Man spielt rundenweise, indem man die Aktionen über seine Handkarten ausspielt. Man kann wirtschaften, entwickeln und erobern: Über den Handel mit Pelz, den Verkauf von Karten oder Piraten kann man zu Gold kommen, mit dem man Söldner, Festungen oder Siedler bezahlt.

Belagerungen und Überfälle

Man kann neutrale Forts oder Dörfer besiedeln oder aus selbigen Städte machen. Oder man kann gegnerische Orte überfallen sowie Festungen über mehrere Runden belagern. Letzteres wird sehr gut über die Belagerungsleisten abgewickelt, wo sich Angreifer und Verteidiger über das Ausspielen von Militärkarten mehrere Runden beharken. Erst wenn man zwei militärische Punkte Vorsprung hat, nimmt man die Stadt ein.

Das Überfallsystem kann überzeugen: Mit Indianern und Waldläufern kann man auch weiter entfernte Orte über offizielle und geheime Pfade überfallen. Je mehr Karten man dafür einsetzt, desto höher ist die Reichweite für den Überfalltrupp. Der Verteidiger hat zwei defensive Möglichkeiten: Entweder er baut Festungen an der Grenze, die jedes Durchsickern verhindern. Oder er kontert einen Überfall  mit einer Milizkarte oder der betroffenen Ortskarte. So kommt man in einen schönen Fluss von

Der Blick aus der Sicht der Briten: Noch sind die Häfen rund um Boston sicher...
Aktion und Reaktion, bei dem man dem Gegner auch mal Karten stibitzen kann: Wenn der Franzose den Priester spielt, darf er dem Briten einen Indianer klauen; dasselbe funktioniert umgekehrt über den Häuptling.

Hut ab vor diesem taktischen Gefecht. Es ist schnell erlernt, lässt sich intuitiv spielen und viele Wege führen zum Ziel. Das kommt also heraus, wenn ein Militärhistoriker und ein Dominion-Kenner ein historisches Spiel entwickeln! Eine überraschend authentische Ausgangslage für Briten und Franzosen, die sowohl Handel als auch Nachschub thematisiert. Dazu gelungene Belagerungs- und Überfallmechanismen, die den Kampf um Forts und Siedlungen sehr gut abbilden. Ich bin eigentlich kein Freund von reinen Kartenspielen oder dem Deckbuilding-Ansatz, aber in diesem Fall kann ich nicht widerstehen. Man kann über Reservekarten vorsorgen, seinen Zugstapel gezielt stärken und erweitert parallel zur Expansion seine Aktionsmöglichkeiten. Der Konflikt zwischen Blauröcken und Rotröcken gewinnt angesichts der großen Karte Nordostamerikas nicht nur Brettspielflair, sondern besticht durch sein offenes System und die feinen, aber wichtigen Unterschiede zwischen den Parteien. Man kann defensiv als auch offensiv vorgehen, man kann seine Dörfer entwickeln, mit Überfällen Nadelstiche setzen oder auf breiter Front attackieren. A Few Acres of Snow hat nicht nur ein klasse Artwork, es ist ein wunderbares Spiel für historische Interessierte und Kartentaktiker.

Fazit

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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