Lands of Lore: The Throne of Chaos - Special, Rollenspiel, Spielkultur, PC

Lands of Lore: The Throne of Chaos
23.08.2012, Paul Kautz

Special: Lands of Lore: The Throne of Chaos

Westwood, die Alleskönner: Die legendäre Entwicklerbande aus Las Vegas war in sehr vielen Genres unterwegs, bevor sie mit Dune 2 die Echtzeitstrategie, wie wir sie heute kennen, ins Leben rief. Man vergisst angesichts der immer umfangreicheren Untertitel von "Command & Conquer" aber schnell, dass die Firma inniger als alles andere mit dem Rollenspiel verbunden war.

Lands of Lore in all seiner Pracht: Die detailverliebte und abwechslungsreiche 3D-Grafik sorgte für juchzende Rollenspiel-Fans.
Wo Westwood drin war, stand nicht immer Westwood drauf: Unter anderem entwickelte man unter Infocom-Flagge Spiele wie "Mines of Titan" oder "Battletech", für SSI dann schließlich die gefeierten ersten beiden Teile von "Eye of the Beholder". Danach verlangte man endlich nach der Anerkennung, die einem zustand, außerdem hatten die Mannen um Brett Sperry und Louis Castle die Nase voll vom beengenden AD&D-Korsett. Also schnitt man die lästigen Zöpfe ab und entwickelte einfach eine eigene Fantasy-Welt, in der sich die Spieler austoben sollten: Die Spieltiefe der Beholder-Trilogie, die Echtzeit-Hektik und Beutefreude von Dungeon Master, dazu eine prächtige Präsentation und viel Humor - fertig war Lands of Lore: The Throne of Chaos (ab 119,90€ bei kaufen).

Hexen hexen

Natürlich ist ein Fantasyreich nur so gut wie sein Oberbösewicht, was in diesem Fall eine Bösewichtin war: Scotia, deren verrunkelte Warzennase sie überdeutlich als üble Hexe auszeichnete, plante nichts Gutes. Einen Formwandel-Ring hatte sie bereits für sich entdeckt, den machtvollen "Ruby of Truth" durfte sie aber keinesfalls in die Finger bekommen, sonst wäre das Reich von König Richard LeGrey (gesprochen von Patrick Stewart) dem Untergang geweiht - ein dramatischer Einstieg in einem langen, exzellent animierten Intro.

Die interessante Handlung wurde in vielen gut animierten Cutscenes vorangetrieben.
Direkt danach wartete die unvermeidliche Klassenwahl: Sollte es ein schlaffer Magier, ein tumber Schläger, ein flinkes Katzenwesen oder ein solide ausbalancierter Alleskönner sein? Die Wahl beeinflusste nicht nur die Art und Weise, wie man mit Gegnern und Schatzkisten umging, sondern auch indirekt den Schwierigkeitsgrad - zu dem es noch eine dreistufige Alternative gab. Aber selbst wenn man die Gegnerstärke auf "wimpy" stellte, war LoL (dessen Nachfolger übrigens nicht RoFL heißt) kein Klacks: Feinde fielen einem gerne in den Rücken, das Inventar-System arbeitete in Kombination mit dem Echtzeit-Verlauf gerne mal gegen den Spieler, es gab irrsinnig viele Fallen, die für den sofortigen Exitus der Party sorgten. Allerdings auch die Möglichkeit, jederzeit einen Spielstand anzulegen, was die Sache dann schon wieder etwas erträglicher machte.

Das Kampfsystem setzte auf Echtzeit ohne Kompromisse - und auf Klickorgien.
Wenn die alten Gewohnheiten schon raus sollten, dann gefälligst mit Schmackes! Und so sagte Lands of Lore vielen klassischen RPG-Tugenden rotzfrech Tschüss: Wie bei Dungeon Master spielte das Ganze immer in Echtzeit und nicht rundenweise - wer sich Zeit lassen wollte, um gemütlich an Waffen zu schrauben oder die Schönheit eines Heiltrankes zu bewundern, hatte schneller eine Orklanze im Gesicht, als ihm lieb gewesen sein dürfte. Auch das Automapping war eine Erfindung der Moderne - und zwar eine, die der Karopapierindustrie erhebliche Umsatzeinbußen eingebrockt haben dürfte: Jeder Gang in eine Richtung (man bewegte sich Schritt für Schritt durch die scrollende 3D-Grafik und durfte sich nur in 90°-Schritten drehen) wurde gewissenhaft auf der Karte festgehalten, genauso wie jede interessante Örtlichkeit, jede Schatzkiste, jede wichtige Begegnung und auch jeder Geheimgang.

Die Schrecken der Moderne

Die automatisch geführte Karte mag zu Weinkrämpfen bei Karopapier-Fans geführt haben, alle anderen lernten den Komfort schnell zu schätzen.
Der Schritt zur pausenlos weiter tickenden Uhr sorgte aber auch für wohlige Schauer: Man konnte sich seiner Gesundheit nie zu sicher sein, die Gegner wanderten auf den Karten immer aktiv herum. Nahm man in einer ruhigen Ecke eine Mütze voll Schlaf, konnte es durchaus passieren, dass man unsanft von einer Riesenratte oder einer Legion grunzender Höhlenmenschen geweckt wurde - woraufhin nicht nur der Schreck, sondern auch der Schaden groß war. Und im Kampf brauchte man einen gut geschulten Klickfinger, besonders wenn die aus maximal drei Mitgliedern bestehende Party gefüllt war: Einen "All Attack"-Knopf gab es nicht, jeder einzelne Angriff, jede Magiewirkung, jeder Einsatz von Heilkräutern musste separat geklickt werden - ähnlich den Angriffen der Einheiten in Dune 2. Schon nach kurzer Zeit kam noch Magie ins Spiel, woraufhin man die Widersacher endlich auch schockfrosten oder elektrobratzen und sich selbst heilen durfte. Allerdings auch hier: Klicke-di-klick! Magie auswählen, Anwender bestimmen, Magiestärke festlegen, das Ziel suchen, und noch einen Klick, weil’s so schön war.
Kein Problem, lass dir Zeit. Ich hab's nicht eilig.
Jahaa, damals war das erfolgreiche Durchkraulen eines Monster-verseuchten Dungeons noch echte Arbeit für Männer mit Bärten, denen das Risiko einer Sehnenscheidenentzündung wurscht war!

Besonders wichtig war es, sich eine Ordnung für das Inventar zu überlegen: Anfangs schienen die 48 Slots noch überaus großzügig dimensioniert zu sein, aber schon nach kürzester Zeit tummelten sich Steine, Stöcke, Skelettköpfe, billige Messer, Ölfläschchen, Äxte, Stiefel, flatterige Hemden und anderer Kladderadatsch darin. Sollte man diesen Misthaufen die ganze Zeit mit sich herumschleppen, um ihn irgendwann bei einem Händler verhökern zu können? Schmeißt man alles weg? Oh Mann, jetzt habe ich dieses tolle Langschwert geschenkt bekommen - aber wohin damit? Kein Platz mehr!

Im Laufe der Zeit traf man auf immer abgefahrenere Gestalten - wie das weise Drarakel.
Wichtig in diesem Zusammenhang war, dass man immer nur neun Items gleichzeitig auf dem Bildschirm zu sehen bekam - wer etwas anderes suchte, musste noch mehr klicken. Und da kam die erwähnte Ordnungsliebe ins Spiel: Wer diese nicht hegte, musste irgendwann mitten in den hektischen Kämpfen den großen Wühler machen. Ganz, ganz schlechte Idee.

Echtzeit ist die beste Zeit!

Neben den Kämpfen gab es auch viele Puzzles, die aber allesamt der Simpel-Schmiede entstammten: Knöpfchendrücken hier, Item an der richtigen Stelle benutzen da. Mit erfolgreicher Anwendung von Waffengewalt, Magie oder Dietrichen an verschlossenen Schatzkisten stieg man automatisch im Rang auf, woraufhin ebendiese Aktionen noch besser von der Hand gingen. Und je besser man im Spiel wurde, desto mehr Gelegenheit hatte man, sich auf die wunderschöne Präsentation zu konzentrieren: Die Entwickler griffen tief in die VGA-Kiste und präsentierten viele toll animierte Cutscenes und atmosphärische Standbilder, elegant durch die 3D-Landschafte stapfende Feinde und ebenso große wie abwechslungsreiche Welten; vom schummrigen Wald bis zum mehrgeschossigen Dungeon, vom geisterverseuchten weißen Turm bis zum bedrohlich blubbernden Sumpf

Wie so oft ist gog.com auch für den Lands-of-Lore-Fan eine hervorragende Anlaufstelle, wenn es darum geht, die guten alten Zeiten auf modernen Systemen wieder aufleben zu lassen: Für knapp sechs Dollar bekommt man Teil 1&2 der Serie im Paket, problemlos lauffähig auf aktuellen PCs.
Zu schade nur, dass der erste Teil auch der beste war: Zwar erweiterten die beiden Nachfolger das Spielsystem und verbesserten die Präsentation, aber die gerade beim dritten Teil auffällig krude Mischung aus frei scrollenden 3D-Levels und krümelig aufgelösten Film-Figuren entpuppte sich schnell als Atmosphäre-Killer - was dann auch ratzfatz das Ende für die eigentlich auf sieben Teile ausgelegte Serie bedeutete. Sehr ärgerlich, aber umso besser für The Throne of Chaos. Das ist, von seinem zwangsläufig veralteten Spielsystem abgesehen, erstaunlich gut in die Jahre gekommen: Die Grafik ist liebevoll pixelig und detailverliebt, die in der CD-Fassung durchgehende Sprachausgabe auf für die damalige Zeit bemerkenswert hohem Niveau. Zwar gibt es unserer Tage gute bis sehr gute Alternativen zu den Rollenspielen der frühen Neunziger (wie das nachweislich großartige Legend of Grimrock), aber im Zweifelsfall würde ich den simplen Pixel immer dem aufwändigen Shader vorziehen.

Paul Kautz

Im Reich der Fantasie: Jede Menge Screenshots aus Lands of Lore!