The Great Giana Sisters - Special, Plattformer, Spielkultur, PC

The Great Giana Sisters
31.10.2012, Michael Krosta

Special: The Great Giana Sisters

„THE BROTHERS ARE HISTORY“ - so stand es auf der englischen Verpackung von „The Great Giana Sisters“ in Großbuchtstaben geschrieben. Ganz schön frech, wenn man bedenkt, dass sich Programmierer Armin Gessert und sein Team bei Rainbow Arts doch sehr stark am Vorbild Super Mario Bros bedienten. So stark, dass man von einem Plagiat sprechen könnte. Nintendo sah das ähnlich und ließ das Spiel angeblich vom Markt nehmen. Trotzdem verschaffte es den hüpfenden Schwestern international die Aufmerksamkeit, die zu ihrem Kultstatus geführt hat.

"Die Brüder sind Geschichte!"
Was Zynga heute ist, war im Jahr 1987 der deutsche Publisher und Entwickler Rainbow Arts. Zumindest, wenn man Nintendo fragt. Denn man kann es drehen und wenden wie man will: The Great Giana Sisters ist schon eine ziemlich dreiste Kopie der Mario-Brüder, auch wenn man die beiden Klempner-Brüder durch die Zwillinge Giana und Maria (!!!) ersetzt und einige Level leicht umgebaut hat. Dass man neben Büschen und Feuerrohren ausgerechnet auch noch Pilze in die Landschaft pflanzen musste, spricht ebenfalls Bände.

Ganz schön dreist

Als ich mit den beiden Schwestern zum ersten Mal auf meinem C-128 losgezogen bin, war ich mir dessen gar nicht bewusst. Mit Konsolen hatte ich damals nichts am Hut - weder die Geräte noch die Spiele haben mich interessiert. Mein Kommentar, als ich Mario zum ersten Mal auf einem NES in Aktion sah, war dann auch sinngemäß „Häh? Das ist ja genauso wie Giana Sisters“.

Ja, denn Giana stand ihrem „Onkel Mario“ in fast nichts nach, denn nicht nur grafisch waren sich die Titel sehr ähnlich, sondern auch die Spielmechanik und Teile des Gegnerdesigns wurden nahezu 1:1 übernommen. Da sind die Blöcke, die sich entweder zerstören lassen oder Diamanten statt Münzen offenbaren, wenn Giana mit ihrem Kopf gegen sie springt. Und manchmal verstecken sich im Inneren sogar die ganz besonderen Extras, die das kleine blonde Mädchen in ein Power-Girl mit Punk-Frisur verwandeln und ihm die Fähigkeit verleihen, Gegner nicht nur durch einen beherzten Sprung von oben, sondern auch gezielte Schüsse auszuschalten. Doch wehe, die junge Dame wurde zuerst erwischt, stürzte in einen der zahlreichen Abgründe oder schaffte es nicht mehr vor Ablauf des Zeitlimits zum Ausgang: Dann war nicht nur eines der wenigen Leben futsch, sondern man war auch alle Extras wieder los, was vor allem in den höheren Stufen das Überleben noch schwieriger gestaltete.

Der Klassiker schlechthin

Und wieder ein Diamant mehr auf dem Konto.
Zwar ging das Hüpfabenteuer gemütlich los, doch zog der Schwierigkeitsgrad dann spürbar an, denn manche neuen Gegner ließen sich selbst mit Schüssen nicht mehr ausschalten und pixelgenaue Absprünge wurden für das Weiterkommen nötig. Und dann waren da noch diese verflixten Drachen oder Spinnen, die am Ende mancher Stufen warteten und quasi das Pendant zu den Begegnungen mit Bowser darstellten. Dazwischen bot der Titel das, was u.a. auch Super Mario und das kürzlich veröffentlichte Giana Sisters: Twisted Dreams auszeichnen: Jump’n’Run in Reinkultur! Die tödlichen Sprung-Attacken auf die Köpfe der Gegner, versteckte Bonusabschnitte und Blöcke zum Überspringen von Levels, fordernde Geschicklichkeitspassagen sowie fiese Fallen - in Giana Sisters findet man auch heute noch alles, was einen guten 2D-Plattformer ausmacht. Es ist simpel und doch fesselnd, schwer und trotzdem motivierend. Schön auch, dass zwei Spieler hintereinander zocken durften und Gianas Schwester Maria eine Daseinsberechtigung bekam.

Nachdem Giana Sisters vom Markt verschwand, wurde aus dem ursprünglichen Nachfolger Giana 2 mit Hard’n’Heavy ein inoffizielles Sequel. Die Sprites der Schwestern wurden durch zwei Roboter ausgetaucht, doch das Spielprinzip war ähnlich. Allerdings wich die kunterbunte Spielwelt einem futuristischen Schauplatz. Eine Begeisterung wie bei Giana Sisters konnte Hard’n’Heavy trotzdem oder deshalb nicht entfachen.Chris Hülsbeck trug mit seinen Melodien ebenfalls zur Erfolgsgeschichte bei: Angefangen beim Titelbildschirm über das Hauptmenü (…in dem „Giana“ fälschlicherweise „Gianna“ geschrieben wird) bis hin zu den beiden Themen im Spiel und der Highscore lieferte der deutsche Soundmagier eingängige Melodien, an im Gedächtnis vieler Spieler von damals haften geblieben und auf dem Rainbows-Album mit Synthesizern modernisiert worden sind. Zudem wurde das Thema von vielen Musikern für eigene Versionen aufgegriffen - u.a. fand sich schon vor Jahren eine Metal-Variante von Machinae Supremacy im Netz. Eine Idee, die von Twisted Dreams jetzt weitergeführt wird, denn hier wurden die schwedischen Musiker von Anfang an in das Projekt involviert und tragen neben Chris Hülsbeck und Fabian del Priore mit Gitarren-Riffs zum Soundtrack bei.

Ohrwurm-Garantie

Der inoffizielle Nachfolger

Zwischendurch warteten immer kleine Endgegner, denen man vor allem ausweichen musste.
Obwohl die später veröffentlichte, nur kurze Zeit im Handel erhältliche und damit extrem seltene Amiga-Version bessere Grafiken sowie eine höhere Musikqualität bot, konnte sie für mich den Charme des C-64-Originals nicht einfangen. Ich empfand die groben Sprites und sogar den „düdeligeren“ Soundtrack am Brotkasten als Gesamtpaket immer stimmiger - vielleicht aber auch deshalb, weil ich Giana Sisters damals exzessiv gespielt und in dieser Form lieb gewonnen habe. Als ich bei einem Kumpel (und Atari-Fanatiker) die Chance bekam, in die ST-Fassung hinein zu schnuppern, stieg im Vergleich die Amiga-Version wieder in meiner Gunst. Warum? Weil die Entwickler es auf dem Atari-Computer nicht fertig brachten, ein Scrolling zu implementieren. Nein, hier wurden die Bildschirme tatsächlich noch einzeln umgeschaltet und der Sound konnte trotz der Umsetzung von Jochen Hippel nicht mit dem Paula-Chip des Amigas mithalten (…und blieb für meine Ohren sogar hinter dem C-64 zurück).  

Obwohl es nach der Verbannung aus dem Handel schlecht aussah für Giana Sisters, bin ich froh, dass sich der Bekanntheitsgrad und die Popularität bis heute gehalten haben - hier hat die Verbreitung von Raubkopien rückblickend betrachtet tatsächlich zu etwas Gutem beigetragen. Und dass die Fans des Duos durchaus bereit sind, für den Hüpfspaß zu zahlen, hat die erfolgreiche Kickstarter-Kampagne bewiesen. Und auch Nintendo hat den Deutschen spätestens mit der Erlaubnis des Handheld-Ablegers Giana Sisters DS mittlerweile verziehen.

Nicht tot zu kriegen