Descent - Die Reise ins Dunkel, zweite Edition. - Special, Brettspiel, Spielkultur
Der fette Goblin
Der Spieler des Overlords ist am Zug, aktiviert den fetten Splig und will einen weiteren Gefangenen verhören, der schon als verdecktes Plättchen neben ihm liegt. Besteht er die Attributprobe gegen seine Stärke? Nur dann darf er es aufdecken. Also wirft er zwei dunkle Würfel, hat Erfolg und…deckt einen roten Marker auf!
Seine kleinen Goblinhelfer holen bereits einen weiteren aus dem Kerker, aber am anderen Ende der Höhle erschallt Kampfeslärm. Sind da etwa Helden eingedrungen? Ha, die Höhlenspinnen und der Schattendrache werden sie aufhalten!
So ein Mist, schon wieder kein Schattenbändiger – dessen Marker wäre blau. Auf der anderen Seite des Tisches grinsen die Spieler der Helden, denn sie haben wieder eine Runde Zeit gewonnen. Ihr Ziel ist es, einen Bauern namens Frederick zu finden. Und Splig eins überzubraten.
Die Zeit rennt davon…
Weil kein Patzer gewürfelt wird, vergeht den Spielern das Grinsen, denn ihre Helden müssen jetzt mindestens so viele Schilde in der Verteidigung würfeln wie sie Schaden genommen haben. Sie können zwar etwas, aber nicht alles an Schaden abwehren. Das Resultat: Zwei verwundete und ein vergifteter Held. Der Overlord schmunzelt und aktiviert seinen Schattendrachen, aber der kommt mit seinen drei Bewegungspunkten nicht weit genug, um zu attackieren – noch nicht. Was solls? Er hat ja noch eine miese Stolperfalle auf der Hand und darf nachher eine weitere Karte ziehen.
Im Gegensatz zum Vorgänger flutscht ein Zug hier wesentlich flotter, denn das Regelwerk wurde um unnötigen Ballast entschlackt. So entsteht schon in den ersten Abenteuern ein angenehmer Spielfluss.
Im Angesicht der Höhlenspinnen
Die beiden Frauen haben noch viele Möglichkeiten: Ihre Reichweite, ihre Magie, ihren Doppelangriff, ihre einmaligen Heldenfähigkeiten sowie die Chance auf hilfreiche Gegenstände, die meist verdeckt auf den Karten ausliegen. Was werden sie nutzen? Tarha beschwört ihren unheimlichen Vertrauten, einen Skelettkrieger, der als Plättchen neben ihr wie ein weiterer Held gesteuert wird – mit zwei Angriffen! Ashrian heilt und attackiert dann tapfer mit ihrem Stab, der sogar über zwei Felder trifft.
Nicht-lineare Kampagne
Dafür kann man sich wiederum Talente und Gegenstände kaufen. Für episches Flair sorgt auch die Weltkarte: Dort sind alle Schauplätze rund um das Schloss Arhynn eingetragen und mit Routen verbunden. Nach einem Abenteuer müssen die Helden auf dem Weg zum nächsten Ziel teilweise mehrere Reisekarten ziehen und abhandeln – das können natürlich gute und schlechte Zwischenfälle sein, manchmal sind auch Entscheidungen notwendig. Schön für den Overlord ist, dass erlittener Schaden und Ausdauerverluste mit in das nächste Abenteuer übertragen werden. Die Reise sorgt also für zusätzliche Spannung und Ungewissheit.
Auftakt, Intermezzo, Finale
Und je nachdem wer mehr Abenteuer im ersten Akt gewinnt, kommt es zu einem anderen „Intermezzo“ sowie nach dem zweiten Akt zu einem anderen von zwei möglichen Enden. Dabei wird über kursiv gedruckte Passagen eine durchgängige Geschichte erzählt, die zwar auf den ersten Blick nur klassische Fantasymotive bedient, aber in der auch mal interessante Bösewichte mit etwas Persönlichkeit (es gibt mehr als Dummbeutel Splig) aufgebaut werden, die später wiederkehren und in der die Helden lange Zeit im Dunkeln tappen. Was soll das mit dem Schattenbändiger? Warum entführen Goblins Menschen? Hinzu kommen einige Überraschungen, sobald die Gruppe das Schloss erreicht.
Mehr Rollenspiel für Helden und Overlord
Es geht zwar in erster Linie um Kämpfe. Schön ist aber, dass die einzelnen Szenen von kleinen Quests und dynamischen Ereignissen aufgewertet werden: Mal muss man eine Flucht verhindern, Signalfeuer entzünden, einen alten Ritter retten, Rätsel und Schlösser knacken. Dabei gibt es wesentlich mehr Abwechslung hinsichtlich der Schauplätze: Mal ist man auf Feldern oder in Höhlen, im Schloss oder Grüften, auf Brücken, in Schluchten oder Bibliotheken unterwegs. Das hervorragende Artdesign der doppelt bedruckten Spielplanteile sorgt mit seinen Details für Hingucker: Man erkennt Blumen und Lampen, Knochen und Statuen, Lagerfeuer und Podeste, Kacheln und Treppen - vor allem Licht und Schatten sorgen für wesentlich mehr Stimmung als im Vorgänger, dessen modulare Teile dagegen fade wirken.
Entschlacktes Regelwerk
Man muss als Held aber keine Befehlsmarker mehr für das Zielen, Ausweichen oder Absichern auslegen. So fallen zwar taktische Finessen in der Planung weg, aber der Kampf selbst flutscht besser und bietet mit dem nahezu unveränderten Sichtlinien-, Reichweiten- und Trefferermittlungs-System inklusive Explosionen , Durchbohrungen, weitreichende Angriffe sowie variablem Einsatz der Zusatzaktionen über Blitze immer noch genug Tiefe. Ein Held kann nicht permanent sterben, sondern lediglich niedergestreckt werden – so verliert er Aktionen und wertvolle Zeit. Danach muss er sich selbst aufrappeln oder von einem Helden geheilt werden; Monster können ihn jedoch nicht mehr angreifen. Wer es härter mag, kann diese Regel natürlich ignorieren.
Stimmungsvoll, spannend, ideal für lange Winterabende! Wer ein Fantasy-Abenteuer mit Kampf, Beute, Charakterentwicklung sowie epischer Story sucht, kommt um diese zweite Edition nicht herum. Das Original von Kevin Wilson aus dem Jahr 2005 wurde von Adam Sadler und Corey Koniecka in nahezu allen Bereichen verfeinert. Zwar steckt nicht so viel Masse in der Box wie noch im Vorgänger, aber dieses Descent bietet hinsichtlich Artdesign, Struktur und Questqualität mehr Klasse. Das überfrachtete Regelwerk wurde entschlackt, dafür wurde das Rollenspielflair gestärkt: Die nicht-lineare Struktur der Kampagne berücksichtigt die Erfolge früherer Abenteuer, die Schauplätze sind abwechslungsreicher, die Missionen selbst dynamischer und besser balanciert, sowohl der Overlord als auch die Helden können sich markanter entwickeln - daher kann ich auch Besitzern des Originals den Kauf empfehlen. Und egal ob Marker, Karten, Dungeonteile oder Miniaturen: Das Material wirkt durch die Bank ansehnlicher. Wer Spiele wie HeroQuest mag, wird sehr viel Spaß mit diesem edlen Abenteuer haben.
Die Unterschiede zum ersten Descent in Zahlen:
Descent Descent 2
80 Miniaturen 39 Miniaturen
12 Monstertypen 9 Monstertypen
20 Heldentypen 8 Heldentypen
180 Karten 236 Karten
61 Spielplanteile 48 Spielplanteile
9 Quests 20 – 37 Quests/Szenarios
Fazit
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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