Descent - Die Reise ins Dunkel, zweite Edition. - Special, Brettspiel, Spielkultur

Descent - Die Reise ins Dunkel, zweite Edition.
30.11.2012, Jörg Luibl

Special: Descent - Die Reise ins Dunkel, zweite Edition.

Fantasyspaß mit Kampagne

Descent sorgte im Jahr 2005 für nostalgischen Fantasyspaß am Tisch: Knapp fünfzehn Jahre nach HeroQuest konnte man wie anno dazumal mit einer Heldengruppe durch Dungeons ziehen. Mittlerweile ist eine zweite Edition beim Heidelberger Spielverlag erschienen. Dieses Descent ist ansehnlicher, epischer und gerade für Rollenspieler unterhaltsamer.

Die zweite Edition von "Descent - Die Reise ins Dunkel" ist beim Heidelberger Spielverlag für knapp 55 Euro auf Deutsch erschienen. Wer seine Figuren aus dem alten Descent in den neuen Szenarien nutzen will, sollte aufgrund einiger Regeländerungen zum Upgrade-Kit für knapp 18 Euro greifen.
Splig hat nicht mehr viel Zeit. Der selbst ernannte König der Goblins muss noch drei Gefangene verhören und endlich diesen Schattenbändiger finden. Aber wer von diesen elenden Menschen ist es bloß? Den einen Nichtsnutz hat er schon ausgequetscht – im wahrsten Sinne des Wortes; seine Leiche liegt jetzt in der Folterkammer.

Der fette Goblin

Der Spieler des Overlords ist am Zug, aktiviert den fetten Splig und will einen weiteren Gefangenen verhören, der schon als verdecktes Plättchen neben ihm liegt. Besteht er die Attributprobe gegen seine Stärke? Nur dann darf er es aufdecken. Also wirft er zwei dunkle Würfel, hat Erfolg und…deckt einen roten Marker auf!

Seine kleinen Goblinhelfer holen bereits einen weiteren aus dem Kerker, aber am anderen Ende der Höhle erschallt Kampfeslärm. Sind da etwa Helden eingedrungen? Ha, die Höhlenspinnen und der Schattendrache werden sie aufhalten!

So ein Mist, schon wieder kein Schattenbändiger – dessen Marker wäre blau. Auf der anderen Seite des Tisches grinsen die Spieler der Helden, denn sie haben wieder eine Runde Zeit gewonnen. Ihr Ziel ist es, einen Bauern namens Frederick zu finden. Und Splig eins überzubraten.

Man braucht viel Platz: Ein Spieler übernimmt den Overlord samt Monstern, bis zu vier andere schlüpfen in Heldenrollen.
Aber noch ist der Overlord am Zug und aktiviert sofort seine Höhlenspinnen, darunter zwei normale und eine fiese rote, die stärker ist und vergiftet. Da die Achtbeiner keinen Fernkampf beherrschen, müssen sie direkt vor die Helden krabbeln – das heißt für jede Spinne: erste Aktion bewegen, zweite Aktion zubeißen! Und damit das richtig weh tut, zaubert der Overlord noch den „Wutausbruch“ auf seine rote Lady, die statt einmal nun zweimal zubeißen darf. Oh ja, das kann wehtun…jetzt wird erstmal attackiert…

Die Zeit rennt davon…

Weil kein Patzer gewürfelt wird, vergeht den Spielern das Grinsen, denn ihre Helden müssen jetzt mindestens so viele Schilde in der Verteidigung würfeln wie sie Schaden genommen haben. Sie können zwar etwas, aber nicht alles an Schaden abwehren. Das Resultat: Zwei verwundete und ein vergifteter Held. Der Overlord schmunzelt und aktiviert seinen Schattendrachen, aber der kommt mit seinen drei Bewegungspunkten nicht weit genug, um zu attackieren – noch nicht. Was solls? Er hat ja noch eine miese Stolperfalle auf der Hand und darf nachher eine weitere Karte ziehen.

Im Gegensatz zum Vorgänger flutscht ein Zug hier wesentlich flotter, denn das Regelwerk wurde um unnötigen Ballast entschlackt. So entsteht schon in den ersten Abenteuern ein angenehmer Spielfluss.

Neben Tarha und Ashrian darf man sich für den Halblingdieb Tomble, den Ritter Avric, den Magier Leorik, den Zwergenkrieger Grisban, die Paladindame Syndrael sowie die Bogenschützin Jane entscheiden.
Die Helden sind dran und müssen sich erstmal pflegen. Was machen sie aus ihren zwei Aktionen? Das hatten sich die Orkhexe Tarha und die Elfenheilerin Ashrian anders vorgestellt. Aber sie befinden sich ja im ersten Akt, konnten bisher nur einmal einkaufen und ihre Charaktere noch nicht effizient entwickeln. Dabei hat jeder Held neben seinem Archetyp (Krieger, Heiler, Magier, Kundschafter) noch eine von mehreren Unterklassen zur Auswahl, die über seine Talente bestimmten – er kann sich also gezielt spezialisieren; bei Tarha war es z.B. die Nekromantie. Bei einem Aufstieg kann sie weitere Karten aus dem entsprechenden Deck gegen Erfahrungspunkte eintauschen.

Im Angesicht der Höhlenspinnen

Die beiden Frauen haben noch viele Möglichkeiten: Ihre Reichweite, ihre Magie, ihren Doppelangriff, ihre einmaligen Heldenfähigkeiten sowie die Chance auf hilfreiche Gegenstände, die meist verdeckt auf den Karten ausliegen. Was werden sie nutzen? Tarha beschwört ihren unheimlichen Vertrauten, einen Skelettkrieger, der als Plättchen neben ihr wie ein weiterer Held gesteuert wird – mit zwei Angriffen! Ashrian heilt und attackiert dann tapfer mit ihrem Stab, der sogar über zwei Felder trifft.

Es gibt acht Helden mit den vier Eigenschaften Geschwindigkeit, Lebenskraft, Ausdauer und Verteidigung sowie den vier Attributen Stärke, Wissen, Willenskraft und Geistesgegenwart. Die Figuren haben eine gute Qualität; man kann sie wie klassische Miniaturen anmalen.
Das Ergebnis nach der Würfelei: Alle Spinnen sind tot! Ob der Overlord mit Splig jetzt den richtigen Menschen verhört und gewinnt, indem er mit dem Schattenbändiger zu seinem Meister flieht? Oder ob die Helden den Schattendrachen und Splig aufhalten können? Das Spannende an diesem Descent ist, dass es nicht linear aufgebaut ist und dass der Ausgang eines Abenteuers darüber entscheidet, welches als nächstes aufgebaut wird: Wenn der Overlord siegt, geht es mit „Die Frostzinne“ weiter; wenn die Helden siegen geht es mit „Die Schatzkammer der Monster“ weiter. All das wird auf dem beiliegenden Kampagnenbogen markiert, dazu auch Erfahrungspunkte und Gold je nach Ausgang.  

Nicht-lineare Kampagne

Dafür kann man sich wiederum Talente und Gegenstände kaufen. Für episches Flair sorgt auch die Weltkarte: Dort sind alle Schauplätze rund um das Schloss Arhynn eingetragen und mit Routen verbunden. Nach einem Abenteuer müssen die Helden auf dem Weg zum nächsten Ziel teilweise mehrere Reisekarten ziehen und abhandeln – das können natürlich gute und schlechte Zwischenfälle sein, manchmal sind auch Entscheidungen notwendig. Schön für den Overlord ist, dass erlittener Schaden und Ausdauerverluste mit in das nächste Abenteuer übertragen werden. Die Reise sorgt also für zusätzliche Spannung und Ungewissheit.

Man kann den Fortschritt des nicht-linearen Abenteuers festhalten; hier ein Blick ins Handbuch, ein Block liegt bei. Eine Kampagne besteht aus insg. neun Abenteuern - etwa 20 Stunden Spielzeit..
Der Fortschritt in der Geschichte spaltet sich danach weiter auf: Es gibt drei Abenteuer mit meist zwei Szenen pro Akt – dabei steigt der Schwierigkeitsgrad kontinuierlich an. Im obigen Beispiel „Der fette Goblin“ ging es übrigens schon um die zweite Szene innerhalb eines Abenteuers. In der ersten hatten die Helden eine Gruppe marodierender Goblins gejagt, die die Felder geplündert und Leute entführt hatten. Weil sie nur eines von vier Getreidebündeln retten konnten, wurde Splig in der zweiten Szene um sechs Lebenspunkte gestärkt. Man sieht schon: Auch im Kleinen, also innerhalb eines Abenteuers, wirkt sich das Spiel der Helden ein wenig aus.

Auftakt, Intermezzo, Finale

Und je nachdem wer mehr Abenteuer im ersten Akt gewinnt, kommt es zu einem anderen „Intermezzo“ sowie nach dem zweiten Akt zu einem anderen von zwei möglichen Enden. Dabei wird über kursiv gedruckte Passagen eine durchgängige Geschichte erzählt, die zwar auf den ersten Blick nur klassische Fantasymotive bedient, aber in der auch mal interessante Bösewichte mit etwas Persönlichkeit (es gibt mehr als Dummbeutel Splig) aufgebaut werden, die später wiederkehren und in der die Helden lange Zeit im Dunkeln tappen. Was soll das mit dem Schattenbändiger? Warum entführen Goblins Menschen? Hinzu kommen einige Überraschungen, sobald die Gruppe das Schloss erreicht.

Alle Abenteurer besitzen einzigartige Heldenfähigkeiten sowie Heldentaten. Ritter Avric spendiert Gefährten in seiner Nähe einen Lebenspunkt, wenn diese einen Blitz würfeln. Außerdem darf er einmal pro Abenteuer zwei Würfel einsetzen, um jeden Helden in seiner Umgebung entsprechend zu heilen.
Dieses Descent bietet nicht nur den Helden über die Spezialisierungen und Aufstiege mehr Freiraum und mehr  Rollenspiel, sondern auch dem Overlord: Auch er gewinnt Erfahrungspunkte, auch er kann sie ausgeben und hat quasi drei Unterklassen in seinen Machtkarten zur Verfügung, die aufeinander aufbauen – so kann er sich als Heermeister, Hexer oder Schurke spezialisieren. Letzter bringt ihm z.B. eher Karten, die plötzlich Fallen, Verlangsamungen oder Explosionen auslösen; Ersterer sorgt für mehr Angriffe und Schaden. Schön ist auch, dass die umständliche Drohmarkerverwaltung des Vorgängers weggefallen ist, denn das sorgt für ein wesentlich flüssigeren Spielablauf – man zieht Karten nach, spielt sie aus und gut.

Mehr Rollenspiel für Helden und Overlord

Es geht zwar in erster Linie um Kämpfe. Schön ist aber, dass die einzelnen Szenen von kleinen Quests und dynamischen Ereignissen aufgewertet werden: Mal muss man eine Flucht verhindern, Signalfeuer entzünden, einen alten Ritter retten, Rätsel und Schlösser knacken. Dabei gibt es wesentlich mehr Abwechslung hinsichtlich der Schauplätze: Mal ist man auf Feldern oder in Höhlen, im Schloss oder Grüften, auf Brücken, in Schluchten oder Bibliotheken unterwegs. Das hervorragende Artdesign der doppelt bedruckten Spielplanteile sorgt mit seinen Details für Hingucker: Man erkennt Blumen und Lampen, Knochen und Statuen, Lagerfeuer und Podeste, Kacheln und Treppen  - vor allem Licht und Schatten sorgen für wesentlich mehr Stimmung als im Vorgänger, dessen modulare Teile dagegen fade wirken.

Auf der Weltkarte, die leider nicht separat, sondern auf der Rückseite des Quest-Handbuchs abgebildet ist, reist die Gruppe weiter und erlebt so manche Überraschung durch Ereigniskarten - die kleinen Symbole auf den Wegen zeigen die Art an.
Wenn man das alte mit dem neuen Descent vergleicht, fällt schon nach wenigen Abenteuern auf, dass sich diese zweite Edition flüssiger spielt. Das Regelwerk wurde angenehm entschlackt, das Dungeondesign ist wesentlich kompakter und dichter mit Ereignissen verknüpft – es gibt fast keinen Leerlauf, immer ist etwas los. Überflüssige Mechanismen wie unterschiedliche Bewegungskosten für das Türöffnen oder das separate Zaubern, das jetzt quasi ein Fernkampf ist, sind weggefallen. Sinnvolle Mechanismen wie die Unterscheidung von Wunden und Erschöpfung wurden beibehalten - für nahezu alle besonderen und arkanen Talente sowie Zusatzbewegungen muss man weiterhin Ausdauer bezahlen; über dem Maximalwert verliert man Lebenspunkte.

Entschlacktes Regelwerk

Man muss als Held aber keine Befehlsmarker mehr für das Zielen, Ausweichen oder Absichern auslegen. So fallen zwar taktische Finessen in der Planung weg, aber der Kampf selbst flutscht besser  und bietet  mit dem nahezu unveränderten Sichtlinien-, Reichweiten- und Trefferermittlungs-System inklusive Explosionen , Durchbohrungen, weitreichende Angriffe sowie variablem Einsatz der Zusatzaktionen über Blitze immer noch genug Tiefe. Ein Held kann nicht permanent sterben, sondern lediglich niedergestreckt werden – so verliert er Aktionen und wertvolle Zeit. Danach muss er sich selbst aufrappeln oder von einem Helden geheilt werden; Monster können ihn jedoch nicht mehr angreifen. Wer es härter mag, kann diese Regel natürlich ignorieren.

Die Monsterkarten unterscheiden zwischen einfachen und schweren Typen (weiß und rot) mit unterschiedlichen Fähigkeiten - nur die fette Spinne kann z.B. vergiften. Hinzu kommen besondere Charaktere, die "Hauptleute" wie Splig.
Der Spielfluss des Overlords profitiert nicht nur vom Wegfall der Drohmaker, sondern auch von der neuen Gruppenaktivierung der Monster, die innerhalb der Abenteuer vorgegebene Erscheinungszonen haben: Man bewegt also alle Kreaturen eines Typs, dann die anderen. Es gibt auch keine Ereignisse und Fallen, sondern nur noch einen Kartentyp, den man als Overlord situativ spielen kann, also z.B. nur bei oder nach eigenen Angriffen oder bei der Bewegung der Helden.

Stimmungsvoll, spannend, ideal für lange Winterabende! Wer ein Fantasy-Abenteuer mit Kampf, Beute, Charakterentwicklung sowie epischer Story sucht, kommt um diese zweite Edition nicht herum. Das Original von Kevin Wilson aus dem Jahr 2005 wurde von Adam Sadler und Corey Koniecka in nahezu allen Bereichen verfeinert. Zwar steckt nicht so viel Masse in der Box wie noch im Vorgänger, aber dieses Descent bietet hinsichtlich Artdesign, Struktur und Questqualität mehr Klasse. Das überfrachtete Regelwerk wurde entschlackt, dafür wurde das Rollenspielflair gestärkt: Die nicht-lineare Struktur der Kampagne berücksichtigt die Erfolge früherer Abenteuer, die Schauplätze sind abwechslungsreicher, die Missionen selbst dynamischer und besser balanciert, sowohl der Overlord als auch die Helden können sich markanter entwickeln - daher kann ich auch Besitzern des Originals den Kauf empfehlen. Und egal ob Marker, Karten, Dungeonteile oder Miniaturen: Das Material wirkt durch die Bank ansehnlicher. Wer Spiele wie HeroQuest mag, wird sehr viel Spaß mit diesem edlen Abenteuer haben.

Die Unterschiede zum ersten Descent in Zahlen:

Descent                              Descent 2

80 Miniaturen                   39 Miniaturen

12 Monstertypen            9 Monstertypen

20 Heldentypen               8 Heldentypen

180 Karten                         236 Karten

61 Spielplanteile              48 Spielplanteile

9 Quests                             20 – 37 Quests/Szenarios

Fazit

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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