Bora Bora - Special, Brettspiel, Spielkultur
Polynesischer Endspurt
Worum geht es? In einer Mischung aus Würfeltaktik und Arbeitermanagement muss man möglichst effizient in einem Inselatoll wirtschaften. Man besetzt die zwölf Gebiete, erntet drei Rohstoffe, stellt viele Dinge her, erfüllt zig Aufgaben, handelt oder betet. Schon recht früh fühlt man sich an Die Burgen von Burgund (ebenfalls von Stefan Feld) erinnert, bei dem man seine Aktionen ebenfalls über sechsseitige Würfel koordinierte, deren Ergebnis man hier über Karten modifizieren kann – so wird z.B. aus einer Eins oder Zwei eine Sechs. Aber Bora Bora ist nicht nur ansehnlicher, sondern auch durchdachter als der Vorgänger.
Zu Beginn wird man angesichts der bis in den kleinsten Winkel bedruckten Tableaus und der vielen Felder auf der Karte noch überfordert: Was bedeuten all die Figuren und Symbole? Was kann man wo machen? So hübsch das Ganze illustriert ist, so undurchsichtig wirkt es - ein ikonografischer Overflow.
Atoll der hundert Möglichkeiten
In jeder Runde hat man zig Möglichkeiten, seine drei Würfel einzusetzen: Man kann sie direkt auf eine Aktionskarte legen, um diese auszuführen. Z.B. mit dem Boot oder zu Fuß ein benachbartes Gebiet besetzen, indem man dort eine Hütte baut, was den entsprechenden Rohstoff einbringt. Man kann eine Frau oder einen Mann anwerben, die/der wiederum spezielle Eigenschaften besitzt. Man kann vor allem bei einer gewürfelten Sechs lukrativ Handel treiben, sich z.B. Rohstoffe oder Karten oder Siegpunkte kaufen. Man kann in den Tempel gehen und den Göttern huldigen oder mit Rohstoffen den Zeremonienplatz bebauen, was gerade zu Beginn sehr viele Siegpunkte bringt.
Würfelglück und Blockadetaktik
Praktisch bietet Bora Bora allerdings viele Alternativen an, so dass man fast immer ausweichen oder gegensteuern kann: Wer die passende Karte auf der Hand hat, darf nämlich Würfelergebnisse modifizieren und sogar die Regel der absteigenden Platzierung durchbrechen, falls er denn auch Opfergaben hat . Die bekommt man wiederum sowohl durch Gebiete als auch Tempelaktionen. Und so geht es fast allen Karten, Rohstoffen und Aktionen: In Bora Bora kommt man auf viele Arten an sein Ziel, es gibt kaum eine exklusive Sackgasse, so dass alles dynamisch tauschbar ineinander fließt. Aber wie sammelt man bloß effizient Siegpunkte? Soll man sich spezialisieren oder lieber alles machen?
Fleißige Männer und Frauen
Wer Muscheln oder Prestige ernten möchte, muss einen Mann oder eine Frau auf seinem Tableau haben und tätowieren (=aktivieren), was wiederum einen freien Platz voraussetzt, den man u.a. über die Expansion seiner Hütten bekommt! Und so schlägt Bora Bora sehr clever die Brücke von den Gebieten zu den Aktionen und zurück; es entsteht ein angenehmer Kreislauf. Was das Spiel letztlich richtig genial macht, ist die Tatsache, dass Männer und Frauen neben Muscheln oder Prestige noch jeweils eine Aktion ausführen können – und zwar am Ende jeder der sechs Runden.
Clevere Verdopplungen
Wer jetzt denkt, dass man nur möglichst viele dieser Arbeiter braucht, um zu gewinnen, liegt falsch: Bora Bora bietet wesentlich mehr Möglichkeiten, um an Siegpunkte zu gelangen. Man kann z.B. jede Runde Aufgaben meistern, indem man Voraussetzungen wie „Besitze drei Muschelketten“ oder „Besetze drei gleiche Fischplätze“ erfüllt. Man bekommt direkt und jede Runde aufsteigend Punkte für seine Tempelpositionen: Erst einen, dann zwei, schließlich drei pro Figur, wobei man fremde Besucher sogar verdrängen kann. Außerdem gibt es direkt und jede Runde absteigend Punkte für Bauprojekte: Erst satte zehn, dann sieben und schließlich nur noch vier.
Generalisierung oder Spezialisierung
Selbst wenn man die Muschelkönigin ist: Hat man am Ende auch an die Gebiete gedacht? Bora Bora hat zwar kein territoriales Prinzip wie Burgen von Burgund, wo Regionen gleicher Farbe einen Gewinn brachten, aber es gibt einen klasse Verdrängungsmechanismus mit fetter Punkteausschüttung vor allem am Ende: Wer eine Hütte baut, darf dort den Rohstoff ernten und mit entsprechender Karte fischen, was einmalig einen bis sechs Punkte einbringt. Am Ende werden all diese Fischgebiete aber nochmal zusammen gezählt – allerdings nur für einen!
Es gibt wirklich sehr wenig an Bora Bora auszusetzen, zumal die Spielmechanik eine außergewöhnliche Qualität erreicht - lediglich das optionale Fischen als Aktionsfeld oben links erschien überflüssig, weil wir es selbst nach dutzenden Partien nie genutzt haben. Etwas mühselig ist vielleicht, dass man jede Runde bis zu 24 Plättchen abräumen und dafür neue platzieren muss. Aber erst damit kommt auch eine frische Zufallsdynamik ins Spiel, was Muscheln, Aufgaben und Bewohner angeht.
Was gibt es zu meckern?
Herzlichen Glückwunsch an Stefan Feld: Burgen von Burgund war schon gut, aber Bora Bora ist ausgezeichnet. Das ist ein unheimlich cleveres Brettspiel, das hinsichtlich der Aktionsvielfalt und Spannungskurve markante Zeichen setzt! Bis zur letzten Runde hat man verdammt viele Möglichkeiten, den polynesischen Wettlauf um Siegpunkte für sich zu entscheiden. Von der Gebietseroberung über Ernte und Bau bis hin zur Schmuckerstellung, Aufgabenbewältigung und Götterverehrung. Das Besondere an Bora Bora ist zum einen, dass sowohl effiziente Spezialisierung als auch Generalisierung zum Erfolg führen können. Zum anderen wird der Glücksfaktor durch das dynamische Tauschsystem angenehm klein gehalten und der Taktikfaktor durch Blockadewürfel, die Wichtigkeit der Zugreihenfolge, Verdopplungsaktionen sowie die territoriale Verdrängungsmechanik erhöht. Bora Bora vereint nahezu alle Tugenden, die man mit europäischer Aufbauschule verbindet. Wer Spiele à la Village, LeHavre oder Tzolk'in mag, wird hier bestens unterhalten. Auch zu zweit übrigens sehr empfehlenswert!
Fazit
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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