Bora Bora - Special, Brettspiel, Spielkultur

Bora Bora
18.03.2013, Jörg Luibl

Special: Bora Bora

Wettlauf um Inseln, Muscheln & Götter

Lust auf Muscheln, Fische und Tempel in der Südsee? Dann könnte Bora Bora einen Ausflug wert sein. Aber Vorsicht: Das Brettspiel von Stefan Feld lockt zwar mit einem idyllischen Atoll im türkisfarbenen Meer, doch der Alltag der Inselbewohner ist alles andere als entspannt. Zwei bis vier Spieler streiten in vielschichtiger Aufbautaktik um Bauplätze, Schmuck und Götter.

Bora Bora ist ein Brettspiel für zwei bis vier Personen und für knapp 40 Euro auf Deutsch bei Ravensburger erschienen.
In guten Brettspielen erreicht die Spannung meist in der finalen Runde ihren Höhepunkt. Und zwar genau dann, wenn man mit den letzten Aktionen die entscheidenden Fortschritte machen kann, die einen auf der Siegpunkteleiste nach vorne bringen. In sehr guten Brettspielen hat man aber selbst dann noch die Qual der Wahl und muss vielleicht befürchten, dass einem die Mitspieler zuvor kommen. Bora Bora von Stefan Feld vereint all diese Tugenden und inszeniert eine anspruchsvolle, unheimlich vielseitige Punktejagd mit packendem Endspurt.

Polynesischer Endspurt

Worum geht es? In einer Mischung aus Würfeltaktik und Arbeitermanagement muss man möglichst effizient in einem  Inselatoll wirtschaften. Man besetzt die zwölf Gebiete, erntet drei Rohstoffe, stellt viele Dinge her, erfüllt zig Aufgaben, handelt oder betet. Schon recht früh fühlt man sich an Die Burgen von Burgund (ebenfalls von Stefan Feld) erinnert, bei dem man seine Aktionen ebenfalls über sechsseitige Würfel koordinierte, deren Ergebnis man hier über Karten modifizieren kann – so wird z.B. aus einer Eins oder Zwei eine Sechs. Aber Bora Bora ist nicht nur ansehnlicher, sondern auch durchdachter als der Vorgänger.

Zu Beginn wird man angesichts der bis in den kleinsten Winkel bedruckten Tableaus und der vielen Felder auf der Karte noch überfordert: Was bedeuten all die Figuren und Symbole? Was kann man wo machen? So hübsch das Ganze illustriert ist, so undurchsichtig wirkt es - ein ikonografischer Overflow.

Atoll der hundert Möglichkeiten

Autor Stefan Feld zeichnet auch für "Die Burgen von Burgund" verantwortlich, das eine ähnliche Würfelmechaik besitzt.
Aber es lohnt sich, die gut strukturierte Anleitung zu lesen. Denn wenn man die Bedeutung all der Plättchen sowie den Spielablauf nach ein, zwei Probeläufen verinnerlicht hat, rasen die sechs Spielrunden bis zum Finale nur so dahin. Man kann sich auf seine Taktik konzentrieren und wundert sich zu zweit nach einer guten halben, zu viert nach knapp einer Stunde: Wie, ist schon Schluss? Ich wollte noch so viel machen!

In jeder Runde hat man zig Möglichkeiten, seine drei Würfel einzusetzen: Man kann sie direkt auf eine Aktionskarte legen, um diese auszuführen. Z.B. mit dem Boot oder zu Fuß ein benachbartes Gebiet besetzen, indem man dort eine Hütte baut, was den entsprechenden Rohstoff einbringt. Man kann eine Frau oder einen Mann anwerben, die/der wiederum spezielle Eigenschaften besitzt. Man kann vor allem bei einer gewürfelten Sechs lukrativ Handel treiben, sich z.B. Rohstoffe oder Karten oder Siegpunkte kaufen. Man kann in den Tempel gehen und den Göttern huldigen oder mit Rohstoffen den Zeremonienplatz bebauen, was gerade zu Beginn sehr viele Siegpunkte bringt.

Wo setzt man welchen Würfel ein? Will man den Gegner blockieren? Im Spiel zu zweit, was übrigens ebenso spannend ist, werden die Aktionskarten leicht angepasst.
Schon beim Setzen der eigenen drei Würfel kommt Taktik ins Spiel: Denn es gilt die Regel, dass man ein bereits belegtes Aktionsfeld nur dann nutzen darf, wenn der folgende Würfel eine niedrigere Augenzahl anzeigt. Falls der Mitspieler bereits mit einem Dreierwürfel auf der Gebietseroberung liegt, kann ich dort also nur einen Zweierwürfel platzieren. Da alle Spieler zu Beginn einer Runde gleichzeitig und offen würfeln, aber nacheinander die Würfel setzen, kann man schon vor seiner Aktion abschätzen, wo man evtl. eine Aktion mit niedriger Zahl blockieren könnte. Ich will nicht, dass mein Mitspieler den Tempel besucht? Dann lege ich dort eine 1 – da geht theoretisch nichts drunter!

Würfelglück und Blockadetaktik

Praktisch bietet Bora Bora allerdings viele Alternativen an, so dass man fast immer ausweichen oder gegensteuern kann: Wer die passende Karte auf der Hand hat, darf nämlich Würfelergebnisse modifizieren und sogar die Regel der absteigenden Platzierung durchbrechen, falls er denn auch Opfergaben hat . Die bekommt man wiederum sowohl durch Gebiete als auch Tempelaktionen. Und so geht es fast allen Karten, Rohstoffen und Aktionen: In Bora Bora kommt man auf viele Arten an sein Ziel, es gibt kaum eine exklusive Sackgasse, so dass alles dynamisch tauschbar ineinander fließt. Aber wie sammelt man bloß effizient Siegpunkte? Soll man sich spezialisieren oder lieber alles machen?

Ein Blick auf das Spielertableau: Oben die eingesetzten Männer (blau) und Frauen (orange), unten die Hütten, die man noch im Atoll verbauen kann.
Denn nicht nur hinsichtlich der Aktionen hat man die Wahl, auch was den Ertrag angeht: Neben Holz, Sand, Stein und Opfergaben kann man auch andere Dinge ernten oder meistern. Hinzu kommen zum einen Muscheln, die lediglich Frauen sammeln und die sie in wertvollen Schmuck verarbeiten – das gibt mächtig Punkte! Zum anderen kann man Prestige gewinnen, das lediglich Männer einbringen, aber das die Zugreihenfolge bestimmt und Siegpunkte bringt. Und jede Runde wechselt auch noch das Angebot an verfügbaren Bewohnern mit unterschiedlichen Fähigkeiten! Wer schlägt wo zuerst zu?

Fleißige Männer und Frauen

Wer Muscheln oder Prestige ernten möchte, muss einen Mann oder eine Frau auf seinem Tableau haben und tätowieren (=aktivieren), was wiederum einen freien Platz voraussetzt, den man u.a. über die Expansion seiner Hütten bekommt! Und so schlägt Bora Bora sehr clever die Brücke von den Gebieten zu den Aktionen und zurück; es entsteht ein angenehmer Kreislauf. Was das Spiel letztlich richtig genial macht, ist die Tatsache, dass Männer und Frauen neben Muscheln oder Prestige noch jeweils eine Aktion ausführen können – und zwar am Ende jeder der sechs Runden.

Das Artdesign erreicht zwar nicht die Qualität von Tzolk'in, kann sich aber sehen lassen.
Und hier kann man richtig punkten, denn wer viele Leute anheuert, kann nicht nur zusätzlich expandieren, bauen oder sammeln, sondern bei identischen Leuten das Ganze auch noch in seiner Wirkung verdoppeln oder vervierfachen: Hat jemand z.B. zwei Frauen, die jeweils zwei Siegpunkte einbringen, bekommt er vier. Hat er dann noch die Verdopplungskarte, bekommt er satte acht Siegpunkte! Dieses Prinzip gilt für alle Aktionen, so dass auch Würfelziffern, Muscheln oder Prestige  entsprechend an Wert gewinnen können.

Clevere Verdopplungen

Wer jetzt denkt, dass man nur möglichst viele dieser Arbeiter braucht, um zu gewinnen, liegt falsch: Bora Bora bietet wesentlich mehr Möglichkeiten, um an Siegpunkte zu gelangen. Man kann z.B. jede Runde Aufgaben meistern, indem man Voraussetzungen wie „Besitze drei Muschelketten“ oder „Besetze drei gleiche Fischplätze“ erfüllt. Man bekommt direkt und jede Runde aufsteigend Punkte für seine Tempelpositionen: Erst einen, dann zwei, schließlich drei pro Figur, wobei man fremde Besucher sogar verdrängen kann. Außerdem gibt es direkt und jede Runde absteigend Punkte für Bauprojekte: Erst satte zehn, dann sieben und schließlich nur noch vier.

Irgendwann wimmelt es auf der Insel mit den zwölf Gebieten vor Hütten. Die lukrativen Fischzonen geben am Ende nochmal fette Boni.
Clevere Spieler bauen also früh und beten spät? Oder versucht man beides? Spezialisieren oder generalisieren? Aber man hat doch nur drei Würfel und evtl. Männer oder Frauen für Aktionen! Vielleicht sollte man Männer ignorieren, sich auf Muscheln und Frauen konzentrieren, denn der Schmuck kann am Ende über 30 Punkte einbringen. Allerdings darf sich nur derjenige zuerst eines der offen liegenden Schmuck-Plättchen im Wert von einem bis neun Punkten aussuchen, der Startspieler ist. Das wird man über Prestige, was wiederum Männern vorbehalten ist…

Generalisierung oder Spezialisierung

Selbst wenn man die Muschelkönigin ist: Hat man am Ende auch an die Gebiete gedacht? Bora Bora hat zwar kein territoriales Prinzip wie Burgen von Burgund, wo Regionen gleicher Farbe einen Gewinn brachten, aber es gibt einen klasse Verdrängungsmechanismus mit fetter Punkteausschüttung vor allem am Ende: Wer eine Hütte baut, darf dort den Rohstoff ernten und mit entsprechender Karte fischen, was einmalig einen bis sechs Punkte einbringt. Am Ende werden all diese Fischgebiete aber nochmal zusammen gezählt – allerdings nur für einen!

Fies, aber effektiv: Im Wald hat der blaue Spieler den roten verdrängt; nur er bekommt am Ende die fünf Punkte für das Fischgebiet! Hinzu kommen links sechs sowie oben drei Punkte.
Hört sich lukrativ an, ist es auch – aber es ist auch angenehm unsicher. Denn man darf eine bereits gebaute Hütte verdrängen, wenn man später in das Gebiet kommt. Und erst nach dieser zweiten Eroberung beherrscht man es sicher und bekommt die Beute am Ende! Wer hat die Geduld, bis zum Schluss zu warten? Und fallen am Ende auch die Würfel so, dass man final expandieren kann? Damit bietet Bora Bora auch auf der Karte eine frühe und eine späte Taktik, die ganz unterschiedliche Vor- und Nachteile mit sich bringen. Schön ist auch, dass Spezialisten in der Finalwertung belohnt werden: Wer neun Aufgaben, sechs Schmuckteile, sechs Bauplätze, zwölf Zeremonienfelder, zwölf Gebiete oder zwölf Arbeiter verzeichnet, darf sich extra Punkte aufschreiben.

Es gibt wirklich sehr wenig an Bora Bora auszusetzen, zumal die Spielmechanik eine außergewöhnliche Qualität erreicht - lediglich das optionale Fischen als Aktionsfeld oben links erschien überflüssig, weil wir es selbst nach dutzenden Partien nie genutzt haben. Etwas mühselig ist vielleicht, dass man jede Runde bis zu 24 Plättchen abräumen und dafür neue platzieren muss. Aber erst damit kommt auch eine frische Zufallsdynamik ins Spiel, was Muscheln, Aufgaben und Bewohner angeht.

Was gibt es zu meckern?

Tempel besuchen, Gebiete sichern, Gebäude bauen, Aufgaben meistern (grün), Frauen und Männer einsetzen - viele Wege führen zum Sieg.
Im Gegensatz zum faden Artdesign von Burgen von Burgund ist die Präsentation hier deutlich ansehnlicher und im Detail liebevoller, erreicht aber nicht die ausgezeichnete Qualität eines Tzolk'in: Der Maya-Kalender. Die Tableaus der Spieler wirken mit all den Symbolen und Plättchen überfrachtet; vor allem die Leiste in der Mitte mit den Aktionen für Frauen und Männer hat keinerlei Aussagekraft - man muss die zwölf Aktionen ohnehin nachschlagen. 

Herzlichen Glückwunsch an Stefan Feld: Burgen von Burgund war schon gut, aber Bora Bora ist ausgezeichnet. Das ist ein unheimlich cleveres Brettspiel, das hinsichtlich der Aktionsvielfalt und Spannungskurve markante Zeichen setzt! Bis zur letzten Runde hat man verdammt viele Möglichkeiten, den polynesischen Wettlauf um Siegpunkte für sich zu entscheiden. Von der Gebietseroberung über Ernte und Bau bis hin zur Schmuckerstellung, Aufgabenbewältigung  und Götterverehrung. Das Besondere an Bora Bora ist zum einen, dass sowohl effiziente Spezialisierung als auch Generalisierung zum Erfolg führen können. Zum anderen wird der Glücksfaktor durch das dynamische Tauschsystem angenehm klein gehalten und der Taktikfaktor durch Blockadewürfel, die Wichtigkeit der Zugreihenfolge, Verdopplungsaktionen sowie die territoriale Verdrängungsmechanik erhöht. Bora Bora vereint nahezu alle Tugenden, die man mit europäischer Aufbauschule verbindet. Wer Spiele à la Village, LeHavre oder Tzolk'in mag, wird hier bestens unterhalten. Auch zu zweit übrigens sehr empfehlenswert!

Fazit

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

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