Sid Meier's Pirates! - Special, Action-Adventure, Spielkultur, iPad, Wii, PC, PSP, XBox

Sid Meier's Pirates!
10.07.2013, Mourad Zarrouk

Special: Sid Meier's Pirates!

Schon meinen ersten „Oldie des Monats“ widmete ich einem Klassiker der goldenen C-64 -Ära: Silent Service. Heute möchte ich an ein anderes Meisterwerk aus dieser Zeit von Sid Meier erinnern: Pirates!

Im April 1987 erblickte Pirates das Licht der Welt. Es dauerte ein paar Monate, bis der

Das Original-Cover von Pirates aus dem Jahr 1987.

Die Sternstunde von Pirates

Quelle: MobyGames.comrevolutionäre Genre-Mix die Schulhöfe der Bundesrepublik erreicht hatte. In den Sommerferien desselben Jahres drehte sich dann auch bei mir plötzlich alles um exotische Orte wie Maracaibo, Santo Domingo oder Puerto Bello. Endlich hatte der Diercke-Weltatlas einen Sinn! Was war geschehen? Sid Meier hatte die großartige Idee, die goldene Ära der Piraterie in der Karibik (1560 -1680) in einem Videospiel zum Leben zu erwecken!

Mit einfachsten Mitteln konzipierte er das erste kommerziell erfolgreiche Open-World-Spiel überhaupt. Schauplatz war „West-Indien“ von Florida im Norden  über Yukatan und Honduras im Westen,  Venezuela im Süden bis zu den kleinen Antillen im Osten.  Fast 50 Orte erwarteten mutige Freibeuter auf ihren Abenteuern. Schon der Start war seinerzeit legendär: Man durfte sich nicht nur aussuchen, für welche der vier Nationen (Holland, England, Frankreich, Spanien) man antreten wollte, sondern auch die Epoche war in sechs Schritten zwischen 1560 und 1680 wählbar. Alternativ war es in der C64-Version sogar möglich, eine von sechs historischen Missionen realer Piraten nachzuspielen. Wer im Besitz des 80-seitigen Handbuchs war, bekam zu jenen Missionen auch interessante Hintergrundinformationen. Im Anschluss konnte man aus vier (!) Schwierigkeitsstufen sowie eine von fünf besonderen Fähigkeiten (Fechten, Navigation, Umgang mit Kanonen, Charme oder Medizin) wählen.  Das alles gab es so vorher noch nie!

Die Mutter aller Open-World-Spiele

Was es so intelligent aber auch kaum gab, war der versteckte Kopierschutz: Schon in Silent

Unterwegs in der Karibik. Pixelig? Sicher! Und doch konnte man das Salzwasser förmlich riechen!
Service hatte Publisher MicroProse sein geistiges Eigentum verteidigt, indem man das Handbuch voraussetzte. Bei Pirates wurde das Prinzip dann auf die Spitze getrieben: Die berüchtigte Frage nach der Ankunft der „Treasure Fleet“ oder des „Silver Train“ in einem bestimmten Jahr und Ort plus die Info, ob dies im betreffenden Monat in der ersten oder zweiten Hälfte geschieht, war nur dem Handbuch zu entnehmen - und zwar dem kompletten! Denn man hatte diese Informationen sauber auf die gesamten 80 Seiten gestreckt. Fies? Eigentlich nur fair. Und da in den 80ern Kopiergeräte noch selten waren, grassierten Zettel mit den betreffenden Daten auf dem Schulhof. Man versuchte sein Glück bei der Eingangsfrage dann so lang, bis endlich eine der Fragen (aus 132 möglichen Kombinationen!) kam, für die man den richtigen „Spickzettel“ hatte. Es wurde Raubkopierern in diesem Fall zumindest etwas schwieriger gemacht.

Kopierschutz 2.0

Was ist Sid Meier damals Besonderes gelungen? Schon in

Der Erfinder großer Klassiker wie Pirates, Silent Service oder Civilization: Sid Meier
Silent Service war die Immersion sehr stark -  also das Gefühl, ein Teil der Spielwelt zu sein. Doch in Pirates übertraf sich der Meister selbst. Es war die Summe der Einzelteile, welche die Faszination Pirates ausmachte. Da segelte man mit seiner Schaluppe „gefühlte“ Tage (real max. zehn Minuten)  über den unbekannten, mitunter stürmischen Ozean, um dann endlich die ersehnte Meldung vom Ausguck zu erhalten: Schiff gesichtet! Es folgte ein simples Mini-Game, in dem man das gegnerische Schiff einholen und mit Breitseiten beharken musste, um es schließlich zu entern. Schon das allein machte einen Höllenspaß, war immer fair und der Ausgang wirkte nie willkürlich.

Immersion neu definiert

Es folgte so dann das „Herzstück“ des Spiels: Der Fechtkampf Kapitän gegen Kapitän. Hier nahm man direkten Einfluss auf den Verlauf der Schlacht. Wer gut war und mit dem Gegner kurzen Prozess machte, konnte selbst mit 25 Mann Besatzung gegen 120 Gegner bestehen - es musste nur schnell gehen, denn Besatzung wurde immer weiter runtergezählt. Waren alle Mitstreiter gefallen, bevor man den gegnerischen Kapitän bezwungen hatte, nützten auch die besten Fechtkünste nichts mehr, dann war die Schlacht unweigerlich verloren. Doch so weit kam es ja meist nicht. Wenn man sich nicht gerade mit 15 Mann gegen eine spanische Galeone mit 250 Mann wagte, ging alles gut. Und selbst wenn nicht, so konnte das Spiel verzeihen: Sterben war nicht möglich. Schlimmstenfalls landete man als Schiffbrüchiger für einige Monate auf einer Insel oder als Gefangener in einem Kerker. Das gab dann bei der „Endabrechnung“ Abzüge in der B-Note, aber man konnte dennoch ein sehr gutes Ende erreichen.

Die Faszination liegt auch darin begründet, dass das Spiel für die damalige Zeit so

Schwertkampf anno 1987...
unglaublich facettenreich war. Zu dem kriegerischen Geschehen gab es die Option, vergrabene Schätze zu finden oder die verschollen geglaubte Familie wieder zu vereinen. Wer wollte, konnte es auch als eine Art Handelssimulation spielen und seinen  Reichtum mit diversen Waren mehren. Das Ziel bestand gleich aus mehreren Punkten: Zum Beispiel das Erreichen aller hohen Adelstitel bei allen Nationen. Dies war möglich, weil sich die Beziehungen zwischen den Nationen innerhalb der Spielzeit per Zufall änderten und man durch geschicktes Ausnutzen der diplomatischen Situation bei jeder Nation „punkten“ konnte. Hinzu kamen das Finden der gesamten Familie (Mutter, Vater, Schwester, Onkel). Oder das Finden der vier Inka-Schätze durch die Karten der Familienmitglieder, die Plünderung des Silver Trains oder der Treasure Fleet. Und schließlich die Heirat der schönsten Gouverneurstochter – mit Betonung auf „schön“! Der Autor dieser Zeilen musste im Juli 1987 beim ersten Durchspielen schmerzlich feststellen, dass die „erstbeste Tochter“ wahrlich keine gute Wahl war und am Ende zu signifikanten Punktabzügen führte! Oh Sid, was hast du mir damals schon alles Wichtiges beigebracht.

Vielfältiges Spielerlebnis

Am Ende der Karriere (die Spielzeit konnte sich für damalige Verhältnisse sensationell

...im Vergleich zum Schwertkampf 2008 (Xbox-Version).
über Tage ausdehnen)  wurde je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad ein bestimmter Teil der erbeuteten Schätze zugewiesen und eine Auswertung vorgenommen. Darin flossen persönliches Vermögen, Adelstitel,  geschenkte Ländereien,  der Status der Frau, das eigene Alter, die gefundenen Familienmitglieder, das Vermögen, welches der Crew nach Aufteilung zuging und die Anzahl der persönlichen Niederlagen ein.

Die Abrechnung

Schließlich wurde dem Spieler mit Text und Bild präsentiert, wie er nach seiner Piratenkarriere weiterlebt. Das war je nach Erfolg ein Leben als Landstreicher bis zum höchsten erreichbaren Grad: Berater des Königs. Ich habe nicht locker gelassen, bis mir dies beim dritten Durchspielen endlich gelang. Ich denke bis heute mit einer großen Portion Wehmut an den Sommer 1987 zurück, als ich die pixeligen, aber wunderschönen Gewässer der Karibik unsicher machte...Ahoi! Und ne Buddel voll Rum!

PS: Kaum ein Spiel wurde derartig oft neu aufgelegt. Die Amiga- und die grafisch

Wer im Besitz der Originalkarte war, konnte sich glücklich schätzen. Ansonsten musste der Schul-Atlas herhalten.
nochmal deutlich verbesserte  DOS-Gold-Edition von 1993 seien hier besonders hervorgehoben. Aber auch die 2004er Windows- sowie die iOS-Edition oder die aktuelle Windows-Phone- Version können sich sehen lassen. Allen ist eins gemeinsam: Die erstaunliche Faszination, die auch in zweiter Generation greift...meine Jungs lieben den Ausflug nach West-Indien jedenfalls genauso sehr wie ich damals.

PPS: Für nur 5,99 Dollar kann man auch auf aktuellen Rechnern die Ur-"PC-Booter"-Fassung von '87 (welche inhaltsgleich zur C-64 Version ist) und die MS-DOS-Gold-Edition von '93 vollkommen legal inkl. Handbuch, Karten und Soundtrack ohne DRM erwerben. Das Ganze läuft einwandfrei in einer Dos-Box und erfordert nach Installation keinerlei Fachkenntnisse. Bei www.gog.com werdet ihr fündig.

 
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