Formel Eins (Oldie) - Special, Rennspiel, PC, Spielkultur

Formel Eins (Oldie)
10.10.2013, Michael Krosta

Special: Formel Eins (Oldie)

Bizarre Creations? Das waren doch diese Rennspiel-Spezialisten aus England, denen wir Highlights wie MSR, PGR und zuletzt Blur zu verdanken hatten, bevor Activision sie aufgrund enttäuschender Verkaufszahlen einfach vor die Tür setzte, oder? Richtig. Doch der Grundstein für den Aufstieg des Studios in den Racing-Olymp wurde bereits 1996 gelegt, als das kleine Team für Sony unter Zeitdruck ein PlayStation-Spiel rund um die Königsklasse des Motorsports aus dem Hut zaubern sollte. Der Beginn einer Erfolgsgeschichte, denn Formel 1 schlug ein wie eine Bombe...

Monaco zählte schon damals zu den anspruchsvollsten Strecken des Formel-Eins-Kalenders.
Der Motorsport und insbesondere Bernie Ecclestones Rennzirkus hat mich eigentlich nie besonders interessiert. Ich kann mich noch an Besuche bei meiner Oma erinnern, bei denen mein Vater vor dem Fernseher saß und ganz gespannt den Autos mit ihren spitzen Nasen dabei zusah, wie sie im Kreis fahren. Meine Güte, war das laaaaaaangweilig! Auch in meiner „Karriere“ als virtueller Rennfahrer ließ mich die Königsklasse lange kalt: Ja, es gab schon damals starke Simulationen wie Formula One Grand Prix von Geoffrey J. Crammond, aber ich war nie ein großer Fan von Vektorgrafik und drückte lieber in einem Lotus Esprit Turbo Challenge, Test Drive oder später auch Ridge Racer Revolution aufs Gaspedal.

Der Beginn einer Faszination

Von der Formel Eins habe ich immer nur am Rand etwas mitbekommen – hauptsächlich durch negative Schlagzeilen wie den Tod von Ayrton Senna, der am 1. Mai 1994 in Imola verunglückte, nachdem es schon am Tag zuvor schreckliche Unfälle gab. Im gleichen Jahr wurde ein gewisser Michael Schumacher zum ersten Mal Weltmeister in seinem Benetton Ford – ein Name, der mir zu diesem Zeitpunkt noch nichts gesagt hat. Schumacher? Den kannte ich höchstens noch als Torwart des 1. FC Köln und der Fußball-Nationalmannschaft. Das sollte sich ein Jahr später ändern, als der Kerpener den Titel verteidigte und man von der zunehmenden Schumi-Mania regelrecht angesteckt wurde – Deutschland befand sich im Formel-Eins-Fieber, die harten Duelle mit Erzrivale Damon Hill waren extrem spannend! Sony und Psygnosis hätten also kaum einen besseren Zeitpunkt für die Veröffentlichung eines offiziellen Spiels wählen können, denn zusammen mit der wachsenden Euphorie für die Königsklasse des Motorsports stieg auch in mir das Verlangen, mich selbst in ein virtuelles Cockpit zu quetschen und Schumacher auch auf der PlayStation zum WM-Titel zu führen. Nicht zu vergessen, dass das Spiel zu einer Killer-App für Sonys erste Konsole avancierte: Der Titel war für mache Leute der Anschaffungsgrund für das Gerät!

Damon Hill zählt auch im Spiel zu den besten Fahrern im Feld - und startete meist von der Pole Position, wenn man sie ihm nicht doch noch in der Qualifikation weg schnappte.
Am 13. September 1996 war es dann soweit: Für 109 DM landete Formel 1 als jüngstes Mitglied in meiner noch übersichtlichen PS-Spielesammlung – so sagt es mir zumindest der Kassenbon, den ich nach dem Auskramen der Verpackung zwischen den Seiten der Anleitung entdeckt habe. Schon beim stimmungsvollen Intro bekam ich damals Gänsehaut, obwohl es eigentlich nur aus einer Kamerafahrt um einen F1-Boliden, Paukenklängen und Gitarren-Riffs bestand. Als ich aber zum ersten Mal selbst im Rennwagen saß, wäre mir beim Herunterklappen der Kinnlade fast auch noch der Controller aus der Hand gefallen: Meine Güte, was sah das damals gut aus! Endlich keine klobigen Vektorkonstrukte mehr – stattdessen echte Gebäude, Tribünen und Original-Schriftzüge auf den unglaublich detailliert modellierten Autos oder der Bandenwerbung, wie man sie aus dem Fernsehen kannte. Selbst die Einblendungen der Positionen und Zeitabstände (Stichwort: Tag Heuer Official Timing) wurden originalgetreu aus den TV-Übertragungen ins Spiel übernommen. Die Kommentare von Rennfahrer Jochen Mass, damals noch statt Christian Danner im RTL-Einsatz, rundeten das „TV-Flair“ ab. Ich war total begeistert, selbst wenn die nervigen Gang-Ansagen und das redundante Geplapper rückblickend betrachtet ziemlich furchtbar waren. Die neuartige Erfahrung hat mich aber darüber hinweg sehen lassen, denn virtuelle Rennen mit Live-Kommentaren hatte ich bis dahin noch nicht erlebt!

Im Ziel angekommen

Das komplette Starterfeld kämpfte auch im Spiel um den Sieg und bestand 1995 aus 26 Fahrern.
Daneben lernte ich hier einen Modus zu schätzen, den ich auch heute noch liebe und am liebsten auch in Rennspielen wie Forza Motorsport sehen würde: Die Qualifikation! Mich reizt die Herausforderung, die schnellste Zeit in den Asphalt zu brennen und mir dadurch eine möglichst perfekte Ausgangslage für das folgende Rennen zu sichern. Die Einblendungen der Zwischenzeiten, kombiniert von den Kommentaren waren für mich immer ein enormer Ansporn und die Spannung beim Überfahren der Ziellinie genauso aufregend wie die Überholmanöver im Rennen. Für welchen Platz hat es wohl gereicht? Wie weit liege ich hinten...oder gar vorne? Eine Qualifikations-Session kann so herrlich spannend sein!

Wer ist der Schnellste?

Darüber hinaus zeichnete Formel 1 damals etwas für mich aus, was moderne Rennspiele nur noch im Ansatz schaffen: Den Reiz des Unbekannten. Wenn ich mir ein F1 2013, Forza Motorsport, Gran Turismo, GTR, Need for Speed: Shift oder selbst B-Klasse-Rennspiele wie Supercars V8 sowie Motorrad-Ableger wie SBK anschaue, treffe ich immer wieder auf alte Bekannte wie den Nürburgring, Monza, Laguna Seca, Silverstone und all die anderen „großen“ Pisten aus der Welt des Motorsports - und das ist gut so. Das Problem ist nur, dass ich die meisten von ihnen mittlerweile wahrscheinlich schon im Schlaf beherrsche. Das war 1996 anders: Jeder der 17 Grand Prix, egal ob Adelaide, Suzuka, Interlagos oder Magny-Cours, war für mich Neuland. So bestand ein großer Teil der anfänglichen Motivation darin, mir die Streckenführung all dieser Pisten einzuprägen und mich im Anschluss immer weiter an eine Ideallinie heran zu arbeiten. Ja, das waren schöne Zeiten!

Obwohl das Spiel im Herbst 1996 erschien, saß Schumi noch nicht im Ferrari - enthalten war die Saison des Vorjahres.
Um das Setup des Wagens musste ich mir damals noch keine großen Gedanken machen: Während man heutzutage vom Fahrwerk über Bremsen bis hin zum Reifendruck so ziemlich alles an den Fahrzeugen in der Box anpassen kann, beschränkte man sich bei Bizarre Creations einzig auf den Abtrieb, also die Flügeleinstellung. Veränderungen der Einstellungsleiste wirkten sich allerdings schon spürbar auf das Fahrverhalten aus, das zwar einer Simulation wie Formula One Grand Prix nicht das Wasser reichen konnte, aber für die damalige Zeit trotzdem recht anspruchsvoll war. Aus diesem Grund boten die Entwickler neben einer Automatikschaltung auch schon optionale Lenk- und Bremshilfen an. 1996 war der Dualshock-Controller höchstens ein interessantes Konzept in den Köpfen der Sony-Ingenieure und das Standard-Pad der PlayStation bot lediglich digitale Eingabemöglichkeiten – entsprechend musste ich mich bei meinem kleinen Abstecher in die Vergangenheit ganz schön umstellen. Im ersten Moment konnte ich es kaum glauben, dass ich damals mit dieser Lenkmethode selbst durch die engen Straßen von Monaco nahezu fehlerfrei gerast sein soll... Doch schon nach einigen Runden kam der alte Flow langsam wieder zurück. Analoge Eingaben waren aber schon damals die bessere Wahl für Rennspiele – eine Tatsache, der sich auch Bizarre Creations bewusst war. Deshalb unterstützte Formel 1 nicht nur gängige Lenkräder, sondern auch Namcos innovativen NegCon-Controller, der eine analoge Lenkung erlaubte und darüber hinaus mit analogen Knöpfen für Gas und Bremse ausgestattet war.

Flügel müssen reichen!

Dank der offiziellen FIA-Lizenz waren die Boliden originalgetreu modelliert - nur die damals noch übliche Tabakwerbung fiel der Schere zum Opfer.
Während die F1-Spiele schon seit einigen Jahren gegen Ende der laufenden Saison erscheinen und entsprechend die aktuellen Fahrer, Teams sowie Kalender beinhalten, drehte sich hier alles um die Saison 1995, obwohl der Titel Ende 1996 auf den Markt kam. Ein Glück, denn sonst hätte ich Schumi nach seinem Wechsel zu Ferrari in der „roten Tomate“ über die Piste dirigieren müssen. Da war mir das Weltmeister-Auto von Benetton doch lieber! Schön in diesem Zusammenhang war auch, dass Bizarre Creations sämtliche Fahrerwechsel der Saison berücksichtigt hatte und deshalb in manchen Teams drei statt der üblichen zwei Piloten zur Auswahl standen. Wenn man heute die Disk einlegt, kann man sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, wenn z.B. Schumis Statistik insgesamt 56 Starts, zehn Siege und sechs Poles aufweist. Wer hätte damals damit gerechnet, dass bis zum endgültigen Rücktritt des Champions insgesamt 307 Starts, 91 Siege und 68 Pole-Positions sowie sieben WM-Titel zustande kommen würden? Und wo heute Teams wie Marussia, Force Indiana oder eben Red Bull ihre Runden drehen, fanden sich damals noch Boliden von Jordan Peugeot, Minardi und Simtek im Starterfeld.

Nicht aktuell – na und?

Qualmende Reifen, dichtes Gedränge und auch Unfälle - alles war dabei!
Apropos: Schon damals schaffte es Bizarre Creations, trotz der limitierten Hardware das komplette Starterfeld mit seinen 26 (!) Piloten auf den Bildschirm zu zaubern. Okay, sonderlich intelligent trat die Konkurrenz nicht auf, doch trotzdem war es eine außerordentliche Leistung, die den Anspruch des Teams unterstrich, auch technisch ganz vorne mitfahren zu können. Zudem bot man Optionen an, die damals eher die Ausnahme in Videospielen darstellten: Angefangen bei einer Dolby- Surround-Kodierung über die optionale Unterstützung des 16:9-Breitbildformats bis hin zu einer hochauflösenden Darstellung in einem verkleinerten Bildausschnitt war das Studio der Zeit voraus. Rennen am geteilten Bildschirm gab es damals zwar nicht, doch wurde als Alternative immerhin schon die Möglichkeit angeboten, zwei Konsolen via Link-Kabel miteinander zu verbinden. Selbst heute spürt man noch den Einfluss dieses Klassikers auf die moderne Rennspiel-Welt: Die Season-Challenge, einer der neueren Modi in den F1-Spielen von Codemasters, ist eigentlich nichts anderes als eine Weiterentwicklung des Rivalen-Modus aus dem Erstlingswerk von Bizarre Creations, das selbst heute noch einen gewissen Charme versprüht, wenn man sich ans digitale Lenkrad setzt und durch die verpixelten Kulissen prescht.

...und alle fahren mit!