MicroProse Soccer - Special, Sport, PC, Spielkultur

MicroProse Soccer
23.09.2015, Michael Krosta

Special: MicroProse Soccer

Der Vater von Sensible Soccer

Der US-Entwickler MicroProse hat sich in den Achtzigern vor allem im Bereich der Simulationen einen großen Namen gemacht: Nicht nur auf der Piste gab man mit Geoff Gammonds Grand-Prix-Reihe ordentlich Gas, auch im Luftraum dominierte der Hersteller mit Titeln wie Gunship, F-15 Strike Eagle oder der Falcon-Reihe. Und dann war da noch dieses Fußballspiel namens MicroProse Soccer, auf dem zumindest am C-64 kein Weg vorbei führte...

Ich tat mich am Anfang ganz schön schwer, mit MicroProse Soccer warm zu werden. Denn genau wie Jörg hatte ich zunächst das simpel gestrickte, aber großartige International Soccer in mein Herz geschlossen, in dem ich mir mit Freunden viele spannende Partien geliefert hatte. Und dann kam da dieser neue Kick, auf den sich immer mehr meiner Mitspieler freiwillig „umschulen“ ließen. Irgendwann war dann auch ich fällig...

Ein neues Spielgefühl

Mein größtes Problem war zu Beginn der Perspektivwechsel, denn während man International Soccer „ordentlich“ von links nach rechts oder umgekehrt spielte, waren die Partien hier vertikal ausgerichtet und man musste entsprechend von oben nach unten oder umgekehrt über den Platz rennen – und das in einer für mich damals sehr gewöhnungsbedürftigen Draufsicht. Zumindest kam es mir entgegen, dass der Ball hier ähnlich an den Füßen der Akteure zu kleben schien wie zuvor – diebezüglich musste ich mich erst etwas später bei Kick Off (zum Rückblick) gewaltig umgewöhnen. Großartig waren in diesem Zusammenhang die Grätsch-Attacken, mit denen man versuchen konnte, dem ballführenden Spieler das runde Leder wieder abzujagen -  nicht nur, weil es sich dabei um eine sinnvolle Mechanik handelt, sondern auch, weil das Rutschen klasse und bei Regenwetter sogar äußerst lustig lustig animiert

Draufsicht und vertikales Scrolling erforderten eine gewisse Ein- und Umgewöhnung.
wurde. Und wie schön es doch war, sich die schönsten Tore nochmal in der Wiederholung anzusehen, die die stilistisch mit Störstreifen im Bild an das Zurückspulen von VHS-Kassetten angelehnt war.

Darüber hinaus gab es eine weitere Neuerung, an die ich mich zwar ebenfalls zuerst gewöhnen musste, sie aber bald als effektive Waffe schätzen lernte: den „Bananen-Schuss“. Denn dieser erlaubte es mir, die Flugbahn nach dem Abziehen noch durch eine Richtungsbewegung mit dem Joystick zu beeinflussen. So konnte man herrlich die Verteidiger mit diesem Anschnibbeln umspielen und auch den Torwart austricksen. Die Intensität ließ sich im Optionsmenü in drei Stufen einstellen. Generell war die Steuerung relativ simpel gestaltet, wenn man sie mit all den Möglichkeiten vergleicht, die Pro Evolution Soccer 2016 oder FIFA 16 heute bietet. Ein kurzer Knopfdruck führte einen Pass aus, hielt man die Taste länger gedrückt, wurde das Leder dagegen in die Luft gechippt, wo er sich sogar für stylische Fallrückzieher anbot. Ansonsten musste man für einen Torschuss den Stick in Laufrichtung halten und per Knopfdruck abziehen. Selbst die Kontrolle über den Torwart ließ sich manuell übernehmen, sobald der Ball in Reichweite kam.

Anschnibbeln Deluxe

Eine Besonderheit von MicroProse Soccer bestand darin, dass man die Teams nicht nur in klassischen Stadien auflaufen lassen konnte, sondern der Anpfiff auch in überdachten Hallen und nach dem Vorbild der amerikanischen Indoor-Liga erfolgte. Das bedeutet, dass man die Wände z.B. als Banden einsetzen durfte, um sich zum gegnerischen Tor vorzukämpfen. Zudem war es dem Keeper im Gegensatz zur Outdoor-Partie auch möglich, den Strafraum zu verlassen und das Team als weiteren Mitspieler zu unterstützen.

Rein in die Halle

Während in den klassischen Partien komplette Mannschaften mit jeweils elf Spielern aufliefen (bei International Soccer waren es lediglich sechs Feldspieler plus Torwart), standen sich in Hallen zwei Sechser-Teams gegenüber. Neben dem Absolvieren von Freundschaftsspielen gegen die KI oder einen Mitspieler durfte man auch Liga-Partien und sogar Weltmeisterschaften in Angriff nehmen, wobei sich bis zu 15 menschliche Kontrahenten eintragen konnten – beste Voraussetzungen für eine Fußball-Party! Lizenzierten Spieler- oder Vereinsnamen gab es allerdings nicht. Abhilfe schaffte ein Editor, in dem man selbst bis zu 16 Vereine anlegen konnte. Lustigerweise dient MicroProse Soccer immer noch als Basis für viele illegal entwickelte Mods: Es gab nicht nur eine inoffizielle Umsetzung der Fußball-WM 1994 in den USA, sondern selbst von unserer Heim-WM aus dem Jahr 2006 und Südafrika 2010 existiert jeweils eine Variante des C-64-Klassikers. Was? Nur C-64? Nein. Auch auf andere Systeme wie dem Amiga und dem ST wurde das Fußballspiel umgesetzt, konnte auf den 16-Bittern aber nie einen ähnlich hohen Stellenwert erreichen, denn dort gaben bald Kick Off, Goal  oder Sensible Soccer den Ton an.

MicroProse Soccer wird durch Hobby-Entwickler und Modder immer noch weiter unterstützt.
Apropos: Die Entwicklung des MicroProse'schen Kicks übernahm übrigens Sensible Software – also das gleiche britische Team, das später mit Sensible Soccer eines der besten Fußballspiele für den Amiga abliefern sollte. Hält man beide Spiele nebeneinander, wird schnell klar, dass das Team mit MicroProse Soccer den Grundstein für die Faszination des virtuellen Fußballs legte, die später endgültig aufblühte, obwohl oder weil die Weiterentwicklung noch einige Gemeinsamkeiten mit dem C-64-Oldie aufweisen konnte. Nicht umsonst gilt er bei vielen Spielern deshalb als inoffizieller Vorgänger von Sensible Soccer. Oder falls man es lieber anders dreht ist Sensible Soccer die Fortsetzung von MicroProse Soccer, die es offiziell trotz des Erfolgs und der großen Popularität nie gab. Doch damals brauchte es gar keine mehrfachen oder gar jährlichen Auftritte, um ganz große Fußstapfen in einem Genre zu hinterlassen...

Geistiger Vorgänger