Blood Rage - Special, Brettspiel, Spielkultur
Wieso grinse ich süffisant, wo doch gerade ein ganzes Land in Trümmern versinkt und all meine Krieger verschlingt? Weil mir diese tapferen Recken im Angesicht von Ragnarok noch reichlich Ruhm bringen - jeder Mann satte drei Punkte! Also setze ich als Anführer des Rabenclans meinen blauen Stein fröhlich um neun Punkte vor, während ich meine Toten nach Walhall überführe. Und das Beste ist: Im nächsten Zeitalter begrüße ich sie wieder in meinen Reihen - Odin sei Dank! Eine der Besonderheiten von "Blood Rage" ist, dass man diese Wiederkehr in seiner Strategie ebenso berücksichtigen kann wie die Tatsache, dass auch tote Krieger für Ruhm sorgen. Es gibt u.a. Aufträge, für die man z.B. vier Gefallene in Walhall vorweisen muss, um von den Göttern belohnt zu werden. Ähnlich wie im Klassiker Small World sollte man aber genau wisen, wann man seine Jungs dem Untergang weiht.
Das Leben vergeht, Ruhm währt ewig
Hört sich also nach einem Hack&Slay an? Oder nach einem Wargame? Ist es aber nicht. Blood Rage simuliert mit seinen sehr simplen Kämpfen weder taktische Gefechte im Gelände wie z.B. Battlelore noch ist es ein blutiges Gemetzel für zwischendurch wie z.B. Zombies!!!. Auch wenn die toll designten Krieger und Monster in Tabletop-Schlachten eine gute Figur machen würden: Es geht hier nicht um Deckung, Sichtlinien und Formationen, sondern um die effiziente Entwicklung seines Clans, um geschicktes Antizipieren und gut geplante Angriffe, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, um stetig wechselnde Gebietskontrolle - man kann natürlich trotzdem Enslaved laufen lassen, denn es geht ständig zur Sache und die alten Götter fordern für ihre Gaben einen hohen Bodycount. Walhall ist quasi immer ausgebucht.
Viel Kampf, viel Ehr', aber kein Hack&Slay
Schon vor der Auswahl der richtigen Aktionen spielt das Kartenmanagement eine wichtige Rolle. Ähnlich wie in 7 Wonders wählt man eine von acht Karten aus, um den Rest dann an seinen Nachbarn weiterzugeben. Das geht so lange, bis jeder sechs Karten auf der Hand hat. Aber welche behält man? Es gibt lukrative Aufgaben, bessere Waffen für Krieger oder Monster, Aufrüstungen für das Schiff oder den Anführer sowie die Kampfkarten, die einem in der Schlacht helfen. Man hat also durchaus die Qual der Wahl bei der Entwicklung seines Clans. Und die besten Karten bekommt man nicht auf einen Schlag - so wird das Glück durch die gezielte Auswahl und Rotation angenehm eingedämmt.
Kartenmanagement mit Göttergaben
Zu Beginn gleichen sich wie gesagt alle Clans noch, denn alle starten mit je zehn Spielfiguren: acht Krieger, ein Anführer sowie ein Schiff. Mit jedem der drei Zeitalter wachsen die Unterschiede, die auf dem Clanbogen über Marker und Karten ersichtlich sind. Drei Symbole stehen dabei im Mittelpunkt: Wut, Äxte und Hörner repräsentieren die maximale Energie für Aktionen, den erworbenen Ruhm für Siege sowie die maximale Zahl an Figuren. Man kann sich also auch spezialisieren, um z.B. über sehr viele Aktionen dank hoher Wut bei vielleicht wenig Ruhm aufgrund weniger Äxte erfolgreich zu sein. Jeder Clan darf zudem einzigartige Monster anwerben: Es gibt neun mythische Kreaturen in allen Größen, darunter Trolle und Riesen, die in der Schlacht natürlich sehr nützlich sind - und auch sie können Ruhm gewinnen.
Fünf Aktionen kann man in seinem Zug ausführen, falls man sie mit Wut bezahlen kann: Mit der "Invasion" bringe ich Krieger, Schiffe oder Monster aus meinem Vorrat auf den Spielplan - zunächst maximal vier, aber ich kann dieses Limit über Plünderungen bis auf zehn erhöhen. In welchem Fjord platziere ich bloß das seltsam statische Schiff, das aber beide Uferseiten attackieren kann?
Invasion und Marsch
Mit dem "Marsch" darf ich alle Figuren - bis auf das Schiff - aus einem Gebiet heraus in ein anderes bewegen, selbst
wenn dieses nicht direkt benachbart ist. Das heißt im Klartext, dass man sich quasi überall hin in eine Richtungteleportieren kann, so dass auf der Weltkarte keine Region sicher scheint. Aber das trügt, denn sobald ein Gebiet voll ist, also alle Dörfer besetzt sind, darf auch niemand mehr rein! Eine für die Spieldynamik sehr wichtige Regel, denn das optimale Besetzen der richtigen Gebiete zur richtigen Zeit ist auch für das Lösen der Aufträge entscheidend: Hat man z.B. nach der Berechnung einer Schlacht noch die Oberhand, also genug Figuren in Gimle? Nur dann erntet man zusätzlich Ruhm! Aber nicht nur der Marsch will gut geplant sein, noch wichtiger sind die Boni der Göttergaben.Die wichtigste Aktion ist das effiziente "Aufrüsten", denn so lege ich hilfreiche Karten an meinen Clanbogen, die gezielt meinen Anführer, das Schiff, die Krieger stärken, mich schützen oder die Ruhmausbeute in vielen Bereichen erhöhen. Wer z.B. seine Krieger mit "Waffenmeister" entwickelt, darf die Stärke von zwei Kriegern in einem Gebiet von eigentlich zwei auf satte sechs (!) Punkte erhöhen. Wer "Lokis Herrschaft" auslegt, bekommt für alle Rückkehrer aus Walhall zusätzlich Ruhm. Und wer "Friggs Schutz" genießt, darf eine Figur im Kampf vor dem Tod retten - das kann entscheidend sein. Dass die Götter die Schlacht auf hoher See lieben zeigt "Ewige Drachen", denn mit dieser Aufrüstung bekommt man für sein eigenes vernichtetes Schiff satte zwölf Ruhm.
Aufrüsten, Aufgaben und Plünderung
Die Kämpfe laufen simpel, aber aufgrund möglicher Boni und Bluffs unterhaltsam ab: Die stärkere Truppe in einem Gebiet gewinnt! Man zählt die Werte all seiner Krieger, Anführer oder Monster, darf noch eine verdeckte Karte auslegen, wobei es dadurch fiese Manöver im Vorfeld sowie Konter gibt, und dann wird alles addiert. Sehr schön ist, dass die Spielbalance durch die vielleicht übermächtig wirkenden Monster wie Feuer- oder Eisriese nicht ins Wanken gerät. Obwohl sie teilweise fatale Spezialfähigkeiten haben wie etwa der Troll, der nach seiner Invasion alle (!) Krieger in einem Gebiet vernichtet, kann man das Spiel theoretisch auch gewinnen, ohne ein Monster zu rufen.
Wie läuft der Kampf ab?
Dass Blood Rage mit knapp 70 Euro zu Buche schlägt, liegt in erster Linie an den 49 coolen Miniaturen. Die fein modellierten Figuren von Mike McVey , der 1987 zunächst als professioneller Bemaler bei Games Workshop und dann 1999 bei Wizards of the Coast als Skulpturist anheuerte, haben sicher mit dazu beigetragen, dass dieses Kickstarterprojekt 2015 so erfolgreich finanziert wurde. Vor allem die neun Monster, darunter nicht nur Walküre und Troll, sondern auch Seedrache, Feuer- und Frostriese, sind sehr ansehnlich modelliert. Aber auch die einfachen Krieger und Anführer sind sehenswert; seit einigen Jahren hat der Künstler ein eigenes Studio; schaut mal rein . Hinzu kommt natürlich das stimmungsvolle
Artdesign des Spielplans, der 102 Karten, Plättchen und Wappen des britischen Warhammer-Illustrators Adrian Smith , der für seine Grafiken zu Brettspielen bereits ausgezeichnet wurde - Abzüge in der C-Note gibt es allerdings für Helme mit Hörnern auf den schwarzen Markern. Aber keine Bange, der Rest der Krieger ist hornfrei.Hochwertige Ausstattung
In der ersten Partie dachte ich noch, dass die Statik der Schiffe erstens unlogisch und zweitens dämlich sei. Warum sind sie am Fjord festgetackert und können nicht segeln? Hier hätte man evtl. noch mehr Dynamik reinbringen können, aber vielleicht hätte man dann auch die komplette Karte nicht als eine Insel, sondern als größeres Meer mit vielen Küsten konzipieren müssen. Spätestens nach zwei, drei Partien war das deshalb kein großer Kritikpunkt mehr, weil die Schiffe erstens auch so recht wirkungsvoll sind - sie können ja zwei Gebiete beeinflussen - und weil sie zweitens durch die vielen Schlachten so schnell in Walhall landen, dass man sie danach wieder woanders einsetzen kann.
Was gefällt nicht so gut?
Das optimale Spielerlebnis gibt es in Blood Rage natürlich mit vier Spielern - dann ist richtig viel los, dann ist alles umkämpft und Walhall füllt sich mit Kriegern aller Fraktionen. Aber auch mit weniger Teilnehmern kann ich es empfehlen, zumal wir es aufgrund des flotten Tempos einer halben Stunde auch zu zweit gerne auf den Tisch bringen. Zu Beginn zerstört man zu zweit gleich drei, zu dritt zwei der neun Gebiete, so dass man schneller aufeinander trifft; ansonsten gelten dieselben
Regeln, nur dass man beim Kartendraft nicht eine, sondern jeweils zwei Karten behält; außerdem werden bestimmte Karten aussortiert.Zwei, drei oder vier Spieler
Blood Rage ist klasse - willkommen in meiner Top 20 der Brettspiele! Lasst euch vom martialischen Namen nicht täuschen, denn es geht nicht um ein altnordisches Hack & Slay oder Masse statt Klasse, sondern um gut geplantes Aktions- sowie Kartenmanagement bei stetig wechselnder territorialer Machtlage. Natürlich streitet man um Gebiete, plündert Dörfer, ruft Krieger und mythische Monster, aber der faszinierende Kern dieses wunderbar illustrierten Brettspiels liegt darin, seinen Clan möglichst effizient über göttliche Aufrüstungen zu entwickeln und seine Eroberungen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu starten - manchmal helfen Bluffs, manchmal profitiert man auch vom eigenen Untergang, wenn gefallene Krieger nach Walhall ziehen. Das schlanke Regelwerk mit seinen fünf Aktionen, das Kartendrafting und die gut ausbalancierte Steigerung von Belohnungen sorgen dafür, dass die Spannung bis ins Finale steigt. Hier sitzt man nicht stundenlang vor einem geostrategischen Status quo, sondern raubt, wächst und taktiert in einem flotten Stakkato. Last but not least inszeniert Blood Rage den mythischen Kampf sehr ansehnlich mit stimmungsvollen Illustrationen und toll designten Figuren. Also: Enslaved aufdrehen und Ruhm ernten!
Fazit
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir wollen euch alle zwei Wochen kreative Geheimtipps und ungewöhnliche Spieleperlen empfehlen, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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