Virtual Reality - Special, Hardware, PC, HTCVive, iPad, PlayStationVR, VirtualReality, PlayStation4, Spielkultur, OculusRift, Android, ValveIndex, XboxOne, PlayStation4Pro, OculusQuest
Kaum ein Bereich der Videospielindustrie teilt seine Erkenntnisse so freimütig wie die VR-Branche. Oculus-Rift-Erfinder Palmer Luckey hat es in diversen Interview auf den Punkt gebracht: Wenn nicht alle an einem Strang ziehen und zu viele halbgare Systeme den Kunden abschrecken, könnte die Technik schnell wieder in der Versenkung verschwinden. Doch was genau sorgt für die viel gepriesene Immersion, also das völlige Eintauchen in andere Welten – und zwar möglichst ohne den Einsatz von Kotztüten? Kurz vorm Start der drei großen Headsets von Facebook, Sony und Valve haben die Entwickler bereits eine Menge Erfahrungswerte und Richtlinien ausgearbeitet. Sie stellen die altbekannte Regeln der Spielentwicklung förmlich auf den Kopf und dürften manch einen Spieler ziemlich überraschen. Viele VR-Kulissen z.B. sind nicht nur aufgrund von Hardware-Hunger hässlich kahl - es liegt auch daran, dass Entwickler viele gängige Effekte oder Motion-Blur nicht verwenden dürfen.
Präsenz oder Kotztüte?
Bei der Reisekrankheit (Motion-Sickness) ist es umgekehrt: Der Körper fühlt z.B., wie sich das Auto bewegt, aber die Augen sehen ein stillstehendes Bild wie etwa ein Buch. Rund 5-10% der Bevölkerung ist laut Lewis-Evans besonders anfällig für die Simulatorkrankheit. Je öfter man der ungewohnten mulmigen Situation ausgesetzt ist, desto mehr sinke durch Gewöhnung die Gefahr von Übelkeit. Aber erst einmal beleuchten wir die schönen Seiten der virtuellen Realität.
Eine Tortur für den Magen?
Komplett dargestellte Arme und ein sichtbarer Körper hätte sie eher gestört, berichtet Foster: Die virtuellen Handschuhe „werden mit der Ausrichtung und Position der Spielerhände gemappt, mit Hilfe von Move-Controllern. Im Vergleich zu einem vollen Körper-Avatar ist es viel einfacher, dass sie sich jederzeit akkurat verhalten. Daher ist das Erlebnis unheimlich immersiv“. In ein paar Fällen wollten Testspieler kurz vorm Ende der Demo sogar die Move-Controllers auf dem virtuellen Schreibtisch ablegen, den es in echt gar nicht gab. Die beiden Move-Stäbe plumpsten dann natürlich auf den Boden.
Comic-Handschuhe statt Arme und Avatare
Auch Valve beschäftigt sich mit den Herausforderungen virtueller Hände, und zwar bei der Entwicklung für das unterstützte Headset HTC Vive. Yasser Malaika erläutert in seinem Vortrag zum “Interaction Design in VR: The Rules Have Changed (Again) “:
Bei einem Körper-Avatar oder realistisch gestalteten Händen könne dagegen schon jeder noch so winzige Fehler den Spieler aus der Illusion reißen, erklärt Foster. Das ist auch der Grund, warum VR-Entwickler sich bei jedem einzelnen Objekt überlegen müssten, ob es einen Grund gibt, der seine Existenz legitimiert. Eine weitere Erkenntnis war nämlich, dass Testspieler liebend gerne alles Mögliche in der neuen Welt auf den Kopf stellen. In einem Spiel auf dem Monitor mag es völlig egal sein, ob sich z.B. ein Kochtopf bewegen lässt, doch in der virtuellen Küche des Job Simulator hätten unheimlich viele Spieler versucht, die Objekte auf dem Herd zu bewegen, berichtet auch Malaika. Und sobald sich irgendetwas nicht bewegen ließ, sorgt das schnell für Unmut oder eine Bruch in der Immersion.
Sein oder nicht sein
Die Neugier der Spieler birgt aber auch einen Vorteil: In einer VR-Welt können laut Foster auch profane Konzepte erstaunlich viel Spaß bereiten. In einer Demo hätten die Probanden schlicht und einfach Bauklötzchen gestapelt, dazu noch in einer unheimlich karg gestalteten Welt. Dank physikalisch korrekter Berechnung hätten die Teilnehmer trotzdem erstaunlich lange und begeistert versucht, immer höhere Türmchen zu bauen.
Mehr Spaß an Minispielen?
Auch in der etwas anspruchsvolleren Demo The London Heist: Getaway mussten die Entwickler eine passende Mischung aus Anspruch und intuitiver Bedienung finden. In dem Shooter nutzen die Entwickler so genannte „Helper-Systems“: Das Nachladen läuft nicht komplett realistisch, sondern „hollywood-real“ ab. Der Spieler ist vermutlich kein Waffenexperte, soll sich aber wie einer fühlen. Die Aktion soll einige der Handgriffe vereinfachen, den Spieler aber trotzdem nicht das Gefühl nehmen, dass er inmitten einer Schießerei unter Druck steht.
Knifflige Handgriffe
Eine noch wichtigere Rolle für ein gutes Körpergefühl spielen die Kopfbewegungen: In der realen Welt sind wir es gewohnt, uns fast immer frei umsehen zu können. Daher sorgen die oft von der Regie bestimmten Kameras klassischer Videospiele in VR schnell für einen flauen Magen. „Der Kopf muss immer frei bleiben“, fordert der Psychologe Lewis-Evans. Einfache Umsetzungen klassischer Spiele sind demnach Tabu: Manch einer hätte beim Aufkommen des VR-Hypes schnell an Mirror's Edge gedacht, doch das eigne sich denkbar schlecht für ein Headset. Bei dem stylish inszenierten Sprint über die Dächer bewegt sich die Sicht schließlich viel zu häufig in Abhängigkeit von der Regie.
Ein unheimlich wichtiger Punkt ist außerdem die Verzögerung, die natürlich möglichst gering ausfallen soll. Oculus und Valve z.B. peilen einen Latenz-Wert unterhalb der magischen Grenze von 20 Millisekunden an. Ab 60 Millisekunden soll es im wahrsten Sinne des Wortes richtig übel werden, ideal wäre natürlich ein nicht erreichbarer Wert von 0 ms. Im Gegensatz zum Kopf darf der virtuelle Körper übrigens ruhig auf vorgegebenen Bahnen durch die Welt gleiten. Einerseits kennen wir ähnliche Bewegungen von Fahrzeugen, andererseits lässt sich so ein ruhiges, gleichmäßiges Tempo erzielen, welches von Spielern als sehr angenehm empfunden wird und nur selten Übelkeit hervorruft. Aus diesem Grund erlebt auch das Genre der Rail-Shooter und ähnlicher Konzepte ein kleines Revival: Until Dawn: Rush Of Blood z.B. konzentriert sich komplett auf eine Fahrt in der Horror-Achterbahn. Auch den Einstieg von The Assembly erlebt man stehend an eine Sackkarre gefesselt, die langsam in eine mysteriöse Forschungsstation gerollt wird. Da die Entführer etwas zu nachlässig mit dem Betäubungsmittel waren, kann man das Areal erst einmal gemütlich begutachten und das Gespräch belauschen. Später löst man Adventure-Rätsel in übersichtlichen Räumen, durch die man mit langsamen ruhigen Schritten schreitet. Außerdem kann man sich in andere Ecken der Zimmer teleportieren.
Das A und O
Beamen statt laufen?
Da sich der VR-Bildschirm so nah vorm Auge befindet, kann es am Rande schneller zu Problemen kommen als auf Fernsehern und Monitoren, die meist einen deutlich kleineren Bereich der Sehzellen abdecken. Es kann also sinnvoll sein, das Sichtfeld von vornherein zu beschränken, statt die Konfiguration wie in einem Shooter dem Spieler zu überlassen. Ideal sind demnach schmale 30 Grad. Ein Trick sind künstliche Begrenzungen, die den Bereich einrahmen, z.B. die Ränder eines Cockpits. Das Horror-Spiel Chair in a Room löst das Problem etwas kreativer: Man beleuchtet seine Umgebung nur mit dem schmalen Kegel einer Taschenlampe – der Großteil des Bildes bleibt dunkel.
Gefährliche Nähe
Intel forscht übrigens in einem ähnlichen Gebiet , um die Darstellung von Spielen etwas weniger hardwarehungrig zu machen. Bei einem Messdurchgang wird zunächst der maximale Radius ermittelt, in dem die beiden Augen die Grafik wahrnehmen: Die nicht sichtbaren Pixel daneben werden einfach nicht mehr berechnet, um die Grafikkarte zu entlasten. Ein zweiter, an Astigmatismus angelehnter Ansatz macht sich die Unschärfe der Linsen zunutze, die in HMDs verbaut werden. Intels Daniel Pohl erklärt:
- Erkenntnisse mit anderen Entwicklern teilen, um Standards zu entwickeln„Die HMD-Linse selbst zeigt beim Durchschauen in der Mitte das Bild klar und scharf. Je mehr man von der Mitte abweicht (z.B. Augen nach oben drehen), umso unschärfer wird es. Dieses Verhalten mappen wir aufs Anti-Aliasing. In der Mitte rendern wir mit sehr hohem Anti-Aliasing, am Rand, wo es eh unscharf ist, dann mit niedrigem bzw. keinem AA.“
Noch stärker auf die Augenbewegungen konzentriert sich das Projekt FOVE: Das Headset erweitert den Ausflug in die virtuelle Realität um ein „Eyeball-Tracking“. Alle acht Millisekunden ermittelt laut den Entwicklern ein Infrarotscanner die Bewegungen der Pupille bei einem Qualitätsverlust von nur 0,2 Grad. Neben der normalen Erkennung der Kopfbewegung registrieren die Scanner die Lichtreflektion der Infrarotstrahlen auf der Retina, um daraufhin den Blickwinkel zu errechnen. Die Software soll sogar zwischen dem Fokus auf der unmittelbaren Nähe und dem Blick in die Ferne unterscheiden können – was in Zusammenhang mit einem Unschärfeeffekt eine evidente Minderung der Simulatorkrankheit bedeuten könnte. Auch das bloße Blinzeln könnte das Bedienen der Menüs per Controller überflüssig machen. Neben der Anwendung im Gaming-Bereich zielen die Entwickler auf den medizinischen Sektor: Schon jetzt konnten behinderte Menschen mit Pupillenbewegungen Handlungen ausführen, wie z.B. ohne Hände ein Klavier spielen. Auch in Horror-Spielen könnten schon kleine Blinzler auf dem FOVE-Headset für fiese Schockmomente genutzt werden: Kaum hat man die Augen kurz geschlossen und wieder geöffnet, steht plötzlich ein Monster direkt vor einem.
Die Macht des Augen-Trackings
Die Macht der Psyche darf man auch in anderen Bereichen nicht unterschätzen: Der Großteil der Entwickler ist sich z.B. noch nicht einig, wie ausführlich die Warnhinweise vor einem Spiel ausfallen sollen. Sie können nämlich durch den Placebo-Effekt (bzw. Nocebo, wie es im negativen Fall korrekt heißt) das ungute Gefühl massiv verstärken. Andererseits können sie natürlich auch helfen, wenn man den Spielern z.B. Tipps für Optionen & Co. gibt. Abgesehen vom Sichtfeld sollte es laut Lewis-Evans nämlich möglichst viele Einstellungsmöglichkeiten geben, damit individuelle Eigenheiten der Spieler berücksichtigt werden können. Viele Vorgaben finden sich übrigens bereits in den Entwickler-Dokumentationen zu den Headsets.
Außerdem kann man dann den Blick nicht mehr wirklich abwenden, falls Geister schnell auf die Pupillenbewegung reagieren. Der offizielle Kickstarter-Trailer gibt einen Vorgeschmack auf solch perfide Horror-Tricks.
Psychologische Kniffe