Rainbow Six Siege - Special, Shooter, PlayStation4, PlayStation5, PC, XboxOne, XboxSeriesX, Stadia

Rainbow Six Siege
06.02.2017, Benjamin Schmädig

Special: Rainbow Six Siege

So entstand der Ausnahme-Shooter

Woher kam eigentlich die Idee, die traditionsreiche Rainbow-Six-Serie in einen Online-Shooter zu verwandeln? Diese und andere Fragen brannten mir schon eine ganze Weile auf den Nägeln – nicht nur, weil ich seit seiner Veröffentlichung fast jede freie Minute mit einem der besten Shooter aller Zeiten verbringe, sondern auch weil Ubisoft nur wenig zur Entstehung von Rainbow Six Siege (ab 7,50€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) hat durchblicken lassen. Umso mehr habe ich mich gefreut, Creative Director Xavier Marquis zu treffen und mit ihm über seine große Leidenschaft zu sprechen – und das erste Spiel, dessen Entwicklung er je geleitet hat.

Das ist übrigens mein voller Ernst: Der taktische Anspruch, die extreme Spannung und die unmittelbare Zugänglichkeit dieses übertakteten Herzschrittmachers gehören zum Besten, was dem Shooter – ganz gleich, ob online oder offline – je passiert ist! Ich sehe Siege auf einer Stufe mit den wegweisenden Erstausgaben von Doom, Quake, Half-Life oder Battlefield.

Passion statt Pflicht

Manchmal ärgert es mich deshalb, dass ich diesem Ausnahmetitel nicht eine Wertung oberhalb der 90-er Marke verpasst habe. Wenn ich an Weihnachten 2015 zurückdenke und das ständige Rätselraten darüber, ob ein Ladebildschirm gerade seiner Pflicht nachkommt oder längst in irgendein Datenloch gefallen ist, fällt mir zwar wieder ein, dass ein Onlinespiel gerade in Sachen Netzwerk einfach hätte besser funktionieren müssen. Wenn ich sehe, wie sich Siege seitdem verändert hat, weiß ich allerdings auch, dass es inzwischen Höchstnoten einsacken würde.

Rainbow Six Siege ist das erste Spiel unter der Leitung von Xavier Marquis. In Montreal haben wir uns über die Entstehung des einzigartigen Shooters mit dem Spielemacher unterhalten. Er sollte der Serie einen neuen Anstrich verpassen und vefolgte dabei ein klares Konzept.

Und das verdankt es nicht nur einer pflichtbewussten Fehlerkorrektur. Das verdankt es der Leidenschaft seiner Entwickler, die es von Beginn an als lebendiges, sich ständig veränderndes Projekt wahrgenommen und durch sinnvolle Neuerungen immer weiter verbessert haben. Denn Xavier Marquis wollte einen kompetitiven Shooter erschaffen, der seine Spieler vor immer neue Herausforderungen stellt – er wollte das Spiel erschaffen, das er selbst spielen wollte.

Klingt nach abgedroschener Floskel, ich weiß. Doch ich würde sie nicht hervorkramen, hätte ich Marquis nicht als jemanden kennengelernt, der im Gegensatz zum Großteil seiner Kollegen nicht das einstudierte Marketing-Sprech der PR-Maschinerie zitiert. Sein gefühlt übergroßes T-Shirt hat mit dem kalkulierten Understatement eines Phil Spencer nichts gemein und anstatt auf markigen Slogans zu balancieren, antwortet er wie ein Fan, der ebenso ruhig wie begeistert von seinem Lieblingsspiel schwärmt.

Vom Fan zu Fan

Und wovon ist Marquis, der vor seiner Zeit als Spieleregisseur als Grafiker an Fahrenheit, Killzone: Liberation und Ghost Recon: Future Soldier gearbeitet hat, so überzeugt? Es ist das Konzept einer Belagerung (Engl.: Siege), dem sich der frisch gebackene Creative Director von Beginn an so sicher war, dass sein anfangs 25 Mann schmales Team gerade mal zwei Monate brauchte, um einen funktionierenden Prototypen zu erstellen.

Mit dem mittelalterlichen Stich eines Rammbocks vor den verschlossenen Toren einer Befestigungsmauer hatte der leitende Entwickler allen Beteiligten vor dem Start noch das Prinzip beschrieben: Ein Team hat sich verschanzt, während das andere versucht diese Verteidigung zu durchbrechen. Vermutlich lag es an seiner Entschlossenheit und dem schnellen Beweis, dass die Idee auch aufgeht, dass Ubisoft grünes Licht gab.

Ein anderer Grund dürfte sein Arbeitsauftrag gewesen sein, denn der Publisher verlangte nicht weniger als eine komplette Neuausrichtung der Serie, den oft beschworenen „Reboot“. Nach dem Einstellen des zuvor angekündigten Rainbow Six Patriots sollte sich die traditionsreiche Serie wohl einer neuen Zeit anpassen, was bei Ubisoft derzeit keine Ausnahme zu sein scheint; Ghost Recon Wildlands wurde ja ebenfalls einer starken Verwandlung unterzogen.

Warum aus Patrioten Onlinekämpfer wurden

Trotzdem: ein reiner Multiplayer-Shooter statt Taktik für Solisten? Hat Ubisoft diese Idee ohne Einwand durchgewunken? Der Creative Director überlegt kurz und lacht: „Sie haben nicht sofort Ja gesagt. Sie haben aber auch nicht Nein gesagt.“ Für ihn gab es allerdings nie einen anderen Weg: „Wenn man mit einem Multiplayer-Spiel bestehen will, muss man sich voll und ganz drauf konzentrieren. Es funktioniert nicht, eine Kampagne zu erstellen und dann zu sehen, was man in Sachen Multiplayer noch machen kann.“

Ein Team verschanzt sich, das andere durchbricht die Barrikaden: Marquis hatte konkrete Pläne für die virtuelle Belagerung.

Trotz der klaren Vision musste sich dabei auch Siege erst zu dem entwickeln, was es letztlich wurde. Schließlich wählten die Spieler früher Entwickler-Versionen keine einzigartigen Operatoren, sondern entschieden sich für Soldaten verschiedener Klassen. Tote blieben zudem nicht dauerhaft liegen, sondern schlossen kurz nach ihrem Ablegen wieder zu ihren Begleitern auf.

Ständig in Bewegung

Doch diese aus den meisten Shootern bekannte Schleife war Marquis zu oberflächlich. Er wollte, dass seine Spieler nachdenken, dass sie sich nicht gedankenlos in ein Feuergefecht stürzen, um später sowieso zurückzukommen. Dass jeder Kopftreffer tödlich ist, erhöht dieses überlegte Vorgehen ebenfalls und das Ersetzen der Klassen durch Operatoren mit individuellen Fähigkeiten trägt dazu bei, schon im Vorfeld einer Partie die Kommunikation unter den Spielern zu fördern,

Neue Operatoren sollen die Dynamik der Gefechte immer wieder verändern. "Meine Spieler sollen keine Rhythmus-Maschinen sein", sagt der Creative Director.
die dann auch stärker über ihre Rolle im Team nachdenken.

Das ist auch der Grund, aus dem noch viele weitere Operatoren hinzukommen sollen: Die Dynamik sowohl im eigentlichen Gefecht als auch bei dem Zusammenspiel unterschiedlicher Charaktere des eigenen Teams sowie der Reaktion auf die vermeintliche Zusammenstellung der gegnerischen Trupps soll immer in Bewegung sein. „Meine Spieler sollen nachdenken, anstatt reine Rhythmus-Maschinen zu sein“, beschreibt der federführende Entwickler seine Vision.

Bestehende Charaktere wurden deshalb schon in den vergangenen Montan mehrfach verändert, erhielten neue Fähigkeiten oder wurden an anderer Stelle eingeschränkt, und die Entwickler arbeiten weiter an Neuerungen, während bestehende Operatoren nie an Wert verlieren sollen. Als Spieler von Dota hatte sich Marquis stets über solche Änderungen gefreut – indem er sie jetzt selbst vornimmt, geht für ihn ein Traum Erfüllung.

Auf Realismus legt er daher bedeutend weniger Wert als auf spielerische Notwendigkeiten, denn im Vordergrund steht für ihn das kreative Knacken von Herausforderungen. Tatsächlich sei das allzu fantastische Fährtenlesen des morgen hinzukommenden Jackal näher an seiner ursprünglichen Vision als die bodenständigen Werkzeuge anderer Charaktere: „Ich werde immer Kompromisse eingehen, damit Spieler clever und kreativ sein können. Das ist viel wichtiger, als ein Design, das zu 90 Prozent auf der Wirklichkeit fußt“, sagt Marquis und ich kann ihm trotz meiner Skepsis in Bezug auf Jackal nur zustimmen. Siege bietet durch das freie Zerstören etlicher Wände, Decken und Böden eine spielerische Freiheit wie kein anderer Shooter. Wer überlegt mit dem zeitversetzten Zünden von Sprengsätzen oder unerwarteten „Murder Holes“ experimentiert, erwischt Gegner oft auf dem falschen Fuß – aus keinem anderen Spiel kenne ich derart befriedigende Erfolgserlebnisse!

Sci-Fi, wenn’s sein muss

Und immerhin beruhen selbst fantastisch anmutende Gadgets der Operatoren oft auf realen Möglichkeiten. Miras neue Luke, die mit Operation Velvet Shell ebenfalls morgen hinzukommt, ist etwa einer Art Fenster entlehnt, das in Panzerfahrzeugen

Die raffinierte Physik war von Beginn an Teil des Konzepts und die größte Herausforderung der Entwickler nicht die Umsetzung des ungewöhnlichen Konzepts, sondern mit der Darstellung des Geschehens mit 60 Bildern pro Sekunde eine rein technische.
tatsächlich verbaut wird.

Die dynamische Zerstörung war übrigens von Anfang an Teil des Konzepts und tatsächlich hebt Marquis keine kreative Hürde hervor, als ich ihn nach der größten Herausforderung frage. Stattdessen nennt er das Sicherstellen einer Darstellung mit 60 Bildern pro Sekunde. Obwohl die einzigartige Physik im Spiel sein musste, war die stabile hohe Bildrate unerlässlich.

Von Hereford nach Oregon

Die erste Karte, auf der die Entwickler das Zerlegen ganzer Wände übten, war Hereford Base. Der Übungsplatz entstand schon in jenen ersten zwei Monaten - als Angreifer noch mit C4 infiltrierten, während Verteidiger lediglich Stacheldraht auslegen konnten. Dabei waren zunächst nur vorgefertigte Teile zerstörbar. Dass Holz und Metall unterschiedlich auf verschiedene Schläge, Explosionen und Durchschüsse reagierten, kam erst später hinzu. Tatsächlich erweiterte sogar erst ein vor kurzem veröffentlichtes Update die Physik so, dass verschiedene Kaliber unterschiedlich große Löcher in Wände und Decken reißen – auch das ein Indiz dafür, wie sehr Marquis die ständige Weiterentwicklung seines Spiels am Herzen liegt.

Hereford Base entstand schon in den ersten beiden Monaten der Entwicklung.

War Hereford Base außerdem das erste Einsatzgebiet und ein Beweis, dass das Prinzip Belagerung aufgeht, so erinnert sich der leitende Entwickler auch an andere Meilensteine der Entwicklung. Im Eingangsbereich mit den zwei übereinanderliegenden Treppen des Gebäudekomplexes in Oregon wurde ihm nämlich bewusst, dass das vertikale Taktieren über zum Teil zerstörbare Böden und Decken funktioniert. „Als das Gebiet zu Beginn der Entwicklung noch ein grauer Block war, zeigte es uns, dass ein Teil der Action in der Vertikalen stattfinden kann“, erinnert er sich.

Es war unheimlich spannend, mich mit der Person zu unterhalten, die Ideengeber und treibende Kraft hinter einem der besten Spiele ist, die ich je gespielt habe. Ähnlich wie Dean Hall mag Xavier Marquis erst ein Spiel hauptverantwortlich entwickelt haben – für mich gehört er damit allerdings ähnlich wie der Vater von DayZ zu den wichtigsten Impulsgebern seines Mediums. Kein Wunder, dass er und sein Team jeden Abend mit dem eigenen Spiel verbringen – etwas, das Marquis in seiner fünfzehnjährigen Laufbahn als Entwickler zuvor nicht erlebt hatte: Durch das einzigartige Konzept, dessen ständige Verfeinerung und konsequentes Ausbessern kleiner Schwachstellen haben sie ein Erlebnis erschaffen, das seinesgleichen sucht. Und das hoffentlich so wie geplant noch lange Bestand hat!