Silent Hill - Special, Action-Adventure, PSP, PS_Vita, PlayStation, PlayStation3

Silent Hill
31.01.2019, Jörg Luibl

Special: Silent Hill

Die Mutter der Verstörung

Auf den Tag genau vor zwanzig Jahren erschien ein ebenso verstörendes wie faszinierendes Spiel. Am 31. Januar 1999 feierte Silent Hill (ab 138,63€ bei kaufen) seine Premiere auf der PlayStation. Konami veröffentlichte diese außergewöhnliche Interpretation von Survival-Horror noch vor Japan und Europa zuerst in Amerika. In einer Zeit als Resident Evil längst mit zwei Teilen etabliert war, sorgte das japanische Team Silent um Director Keiichiro Toyama für einen Meilenstein des Spieldesigns, der einen bis dato unbekannten psychologischen Terror inszenierte.

Was war so besonders an diesem Silent Hill? Dazu muss ich etwas ausholen. Ich war schon 26 Jahre alt und meine zweite Tochter war gerade geboren, als ich mit Harry Mason in diese vernebelte Stadt zog. Ich hatte Alone in the Dark, Resident Evil 1 und 2 sowie zig andere Varianten des Survival-Horror gespielt. Obwohl sie alle gruseln und schockieren konnten, schlich sich keines so unheimlich durch die Haut - und: selbst nach dem Ausschalten der PlayStation so ins Hirn. Nicht die Gewalt oder das Blut, sondern Schreie und Schritte, Angst und Ahnungen sowie ein Gefühl des Verlassen-, Ausgeliefert- und Alleinseins sorgten für eine bis dahin fast unbekannte Art des digitalen Unheimlichen. Ich habe von der Geschichte, aber auch von Stimmungen und Geräuschen geträumt.

Psychologischer Terror

Silent Hill konnte mich als erwachsenen Mann auf emotionaler Ebene verstören, aber gleichzeitig auf eine düstere melancholische Art so faszinieren wie die besten Kurzgeschichten von E.A. Poe oder H.P. Lovecraft - es gehört für mich neben Soul Reaver zu den Spielen, die mich nach dem Finale am längsten beschäftigt haben. Es gab natürlich auch ausgleichende,

Harry Mason sucht in der Kleinstadt Silent Hill nach seiner verschwundenen Tochter.
nostalgische und wenn man so will "glückliche" Momente, die ähnlich wie die Logik- und Schieberätsel für wichtige Ruhephasen sorgten. Aber selbst diese waren im Vergleich zu jenen in Resident Evil, wenn man endlich den Raum mit der Schreibmaschine erreichte und im warmen Licht bei lieblichen Akkorden durchschnaufte, irgendwie trügerisch.

Im Gegensatz zum expliziten Horror wirkte vor allem nach ein paar Stunden die Kraft des paranormalen und psychologischen Terrors, der auch ohne die Fratze des Monsters auf schonungslose Art ins Unterbewusstsein sickerte. Natürlich gab es die auch! Scheiben klirrten und Monster tauchten auf, in Gassen wurde man von Hunden angegriffen. Aber hier flossen Normalität und Grauen besser ineinander. Ein Symbol dafür war auch das Radio, das bei nahender Gefahr zu rauschen begann. Da stand man dann im Nebel und schaute sich nervös um. Während Videospiele eigentlich in andere Welten einluden, war das hier wie eine Warnung, die jede Stunde auf der Couch noch lauter dröhnte: Geh nicht weiter!

Silent Hill war spielmechanisch nicht revolutionär und trotz der in Echtzeit gerenderten 3D-Kulisse keine Grafikbombe. Aber hinsichtlich der filmisch inszenierten Zwischensequenzen sowie der neuen dynamischen Kamera, die sich plötzlich um den Helden drehte oder in die Höhe stieg, schlug es damals die komplette Konkurrenz - selbst heute ist der Einstieg stimmungsvoll. Team Silent bediente sich ansonsten weitgehend etablierter Interaktionen und baute auf einem bekannten Fundament à la Resident Evil, auch hinsichtlich Inventar, Waffen, Items & Co - und natürlich gab es auch Schwächen wie die für heutige Verhältnisse statischen und teilweise naiven Dialoge, das steife Bewegungs- und Kampfsystem oder klischeehafte weibliche Nebenfiguren, die wie Ladys ex machina wirken. Aber Director Keiichiro Toyama sowie seine Producer Gozo Kitao und Michael Gallo präsentierten ein Spieldesign, das wie eine Zwiebel aufgebaut war. Unter der harmlosen Schale eines
Man konnte auch mit diversen Waffen kämpfen, um die zahlreichen Kreaturen zu besiegen - in diesem Fall eines der wenigen humanoiden Monster.
scheinbar typischen Abenteuers in Schultersicht, in dem ein Mann seine verschwundene Tochter in einer Kleinstadt suchte, während er Monstern begegnete und Rätsel löste, verbargen sich mehrere Schichten, die einen visuell, erzählerisch emotional, spielerisch und - ganz wichtig - auch akustisch in einen psychologischen Strudel voller Verstörungen zogen.


Verstörender Strudel

Die Regie war ebenso innovativ wie die düstere Vision. Lange vor The Last of Us oder The Walking Dead ging es auch um eine familiäre Beziehung, um Traurigkeit und tragische sowie emotional intensive Momente. Hinzu kam ein doppelter narrativer und spielmechanischer Boden, der mit der Grenze zwischen Realität und Traum spielte sowie einige Wendungen und mehrere Enden zu bieten hatte. Silent Hill ließ sich zwar wunderbar Zeit für seine verwobene Geschichte und die Geheimnisse der Spielwelt, in der man auch "normalen" Leuten begegnete, aber brauchte nicht lange, bis es einen an der Gurgel hatte: Schon der filmische Einstieg war wie erwähnt klasse, und in der ersten Stunde sorgte die im Nebel lauernde Stadt umgehend für Erinnerungen an den Film "The Fog" aus dem Jahr 1980 von John Carpenter. Apropos: Dass die Japaner reichlich westlichen Horror konsumiert hatten, zeigte sich auch an den Straßennamen wie "Robert Bloch" oder "Richard Bachmann". Obwohl sie wie ausgestorben wirkte, verübte sie eine seltsame Anziehungskraft - in Ansätzen vergleichbar mit so genannten "Lost Places" der Industriegeschichte oder Psychogeografie, die gerade aufgrund des Zerfalls zu sprechen scheinen.

Aber es war gerade beim ersten Silent Hill nicht in erster Linie die visuelle, sondern vor allem die grandiose akustische Kulisse, die dafür sorgte, dass man bei jedem Schritt das Gefühl hatte, eine alptraumhafte Welt zu betreten - sehr schön hat das Ben in seiner Soundtrack-Kritik erläutert. Die Klänge von Akira Yamaoka sorgten im wahrsten Sinne des Wortes für nach hallende Gänsehaut. Bis dato hatte man diese gewagte Komposition aus Industrial und Metal, aus einzelnen Tönen und treibenden Synthesizern nicht gehört. Die Musik war so ungewöhnlich und voller Brüche, dass man sie bei Konami zunächst für fehlerhaft eingespielt hielt. Und gerade dieses "Falsche" oder "Unvertraute" im Ohr verstärkte das verstörende Spielgefühl. Selbst hinter treibenden Beats verbargen sich irre schreiende Chöre, so dass man den Terror fühlen konnte: Hört euch mal dieses kurze Stück "My Heaven " an.

Grotesker Alptraum

Spätestens als man lediglich mit einer Taschenlampe bewaffnet den ersten Monstern begegnete, war auch visuell gar nichts mehr klassisch, denn es handelte sich um missgestaltete Kreaturen, die zwar zombiesk wirkten, aber im weiteren Verlauf zu immer grässlicheren Varianten und skurrilen Alptraumwesen mutierten - in der leicht geschnittenen europäischen Version

Die Karte wurde automatisch ergänzt, so dass man Sackgassen etc. erkennen konnte.
wurden einige kindähnliche Kreaturen übrigens ausgetauscht. Auch wenn man mit "Air Screamer", "Grey Child", "Mumbler", "Split Head" und "Puppet Nurse" noch nicht ganz die extravagante künstlerische Ausdruckskraft eines Silent Hill 2 erreichte, in der der berühmte Pyramidenkopf erstmals auftauchte, spielte das Artdesign bereits mit dem Unvertrauten und Grotesken. So konnte man vor allem die späteren Wesen nicht sofort in eine von Traditionen befüllte Schublade wie "Zombie",  "Vampir" oder "Werwolf" einordnen. Und gerade weil man selbst so gewöhnlich war, verstärkte sich noch die Abscheu: Harry war ja ein ganz normaler Mann, und nicht der typische Held, der militärisch gedrillt war.

Trotzdem war das kein reines Fluchtspiel wie etwa Outlast - und diese Momente des Sieges waren wichtig für die eigene Psyche. Harry konnte kämpfen, nicht nur mit Messer, Eisenstange und Pistole, sondern später auch mit Schrotflinte oder Kettensäge - und damit gegen die Kreaturen gewinnen. Das Gefühl etwas zu schaffen entstand zudem durch die stückweise Erkundung, die einem - ähnlich wie Lovecraft mit seinen recherchierenden Helden - das Gefühl gab, das Grauen irgendwie durchschauen zu können: Es gab in der Kleinstadt einige Areale und Gebäude wie Schule & Co, die mit alptraumhaften Versionen verbunden waren, die man ersteinmal erforschen musste.

Verfluchte Parallelwelt

Das Kreaturendesign überraschte mit alptraumhaften bis grotesken  Wesen. 
Ähnlich wie im fast parallel veröffentlichten Soul Reaver konnte man zwischen Welten wechseln und so Rätsel lösen. Während man im wahrsten Sinne des Wortes Licht ins Dunkel brachte, Wege suchte, Türen öffnete und Hinweise sammelte, wurde auch die Karte automatisch um Notizen zu Sackgassen etc. ergänzt. Obwohl man bereits bekannte Orte nochmal aufsuchen musste, war das keine nervige Lauferei, sondern aufgrund neu zu öffnender Durchgänge meist sehr befriedigend, zumal auch die Architektur und Struktur sinnvoll verwoben waren. Noch befriedigender war aber auch das bzw. eines von fünf Enden: Keiichiro Toyama konnte nicht nur verstören, sondern auch sehr gut erzählen.

Silent Hill wurde zwei Jahre Später auf der PlayStation 2 fortgesetzt - es konnte im Test unser Platin erobern. Der erste Teil erschien noch für PlayStation 3 und PSP (2009) sowie und PS Vita (2012). Außerdem gab es 2006 eine Verfilmung Silent Hill - Movie, die Micha besprochen hat. Den grandiosen Soundtrack hat Ben in diesem Special vorgestellt.

 
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