Blood & Truth - Special, Shooter, PlayStation5, VirtualReality, PlayStationVR, PlayStation4

Blood & Truth
29.05.2019, Jan Wöbbeking

Special: Blood & Truth

Die blanke Wahrheit hinter Blood & Truth

Kaum ein Entwickler hat so viel an den Möglichkeiten und Problemen von PlayStation VR getüftelt wie das Sony London Studio. Wir blicken hinter die Kulissen von Blood & Truth (ab 27,85€ bei kaufen): Mit welchen Tricks wurde die beliebteste PSVR-Demo „London Heist“ zum vollwertigen Actionspiel?

Sei der Action-Held: Mit dieser Prämisse wollten die Entwickler einen cineastischen Shooter „auf Schienen“ erschaffen – inklusive britischem Gangster-Flair und kleinen Gadget-Spielereien wie dem Schlösserknacken. Sonys „Director of VR Product Development“ Stuart White verriet uns im Gespräch, dass schon das ursprüngliche Team von Anfang an über ein vollwertiges Spiel nachdachte. Anders als bei „The London Heist“ soll sich diesmal aber nicht alles um die typische Cockney-Atmosphäre drehen, sondern man wollte verschiedene Themen aus Actionfilmen aufgreifen. London steht nach wie vor im Mittelpunkt. Das macht sich u.a. dadurch bemerkbar, dass die dramatischen Orchester-Passagen immer wieder dynamisch mit Grime-Musik (eine Art Mix aus Hip-Hop und 2 Step) von Acts wie Kamakaze, JME oder Ocean Wisdom vermischt werden.

Endlich ein komplettes Spiel

Während sie im Stakkato ihre Textzeilen herunterrattern, fliegt im Spiel natürlich alles Mögliche in die Luft - was übrigens für einen der schönsten Aha-Momente des Besuchs sorgte. Eine Partikel-Demo von „Senior VFX Editor“ David Skilton wirkte in ihrer wilden Umsetzung fast schon wie ein grafischer Kommentar aufs Brexit-Chaos. Als ich bei meiner Flucht über ein hohes Baugerüst von gleißenden Details umgeben war, erschuf die Inszenierung ein erfreulich lebendiges Räumlichkeitsgefühl, das auch von der hohen Framerate profitierte. Der Effekt ähnelt dem von glänzenden Oberflächen, die in VR bekanntlich gut zur Geltung kommen.

Jetzt gibt's kein Zurück mehr: „Senior VFX Editor“ David Skilton (rechts) schickt einen britischen Journalist durch sein Partikel-Inferno - inklusive einem weitem Sprung zum Abschluss!


Bling, bling!

Der Funkenregen kommt nicht nur zum Einsatz, wenn es knallt, sondern auch bei Stromschlägen, Blitzen oder beim DJ-Minispiel, bei dem eine Pyrotechnik-Show abgefackelt wird - Rammstein lässt grüßen. Knifflig ist dabei natürlich, den betagten PS4-Prozessor mit seinem physiklastigen Glitzerspielereien nicht zu sehr ins Schwitzen zu bringen. Glücklicherweise lassen sich die aus PopcornFX-Runtime exportierten Ergebnisse aber nahezu in Echtzeit in der hauseigenen Engine anpassen - mit entsprechenden Anzeigen für CPU- und GPU-Last.

Anders als klassische Entwickler muss Skilton zwischendurch natürlich immer wieder das Headset überstreifen, um Ergebnisse aus der Nähe zu betrachten. Ob ihm nach einem langen Arbeitstag die Augen brennen? „Nicht wirklich“, beschwichtigt er, „ich persönlich habe damit keine Probleme. Vielleicht habe ich als Kind zu nah vorm Fernseher gesessen. Das hat mich abgehärtet, denke ich mal.“

Im Gegensatz zum Gangster-Thema erinnert die Studio-Einrichtung der Entwickler eher an Hackerfilme der Neunziger. Überall ragen VR-Headsets über die Schreibtische, die mit fetten Kabelsträngen an die Entwicklerstationen geflanscht sind. Mit ihnen lassen sich z.B. die Charaktere aus der Nähe betrachten, die sich aus rund 40.000 – 50.000 Polygonen zusammensetzen.

Zwischen Hackerman und virtuellem Zahnarzt

U WOT M8? - Schauspieler Gwyn Jones im hauseigenen Motion-Capture-Studio.

Auch hier gibt es Besonderheiten, von denen manche an den Arbeitsalltag eines Zahnarztes erinnern: Passt die Beleuchtung nicht zum Winkel des geöffneten Kiefers, durchbricht das in VR besonders schnell die Illusion, einen Menschen vor sich zu haben. Auch das Feintuning der Maße und Proportionen spielt eine wichtige Rolle. Bevor die Entwickler in den (virtuellen) Mündern der Schaupieler Klariza Clayton und Gwyn Jones herumfuhrwerken konnten, standen natürlich erst einmal die „Motion Capture Acting“-Aufnahmen für die Story-Sequenzen auf dem Programm. Zur Belustigung der Studiotour-Teilnehmer sprangen die beiden auch vor unseren Augen durch den schwarz verkleideten Raum, der sich ebenfalls im Gebäudekomplex des Studios befindet. Zunächst einmal musste jede noch so kleine reflektierende Oberfläche überdeckt werden. Dann bekam ein Gast die „Zuschauer-Mütze“ mit ein paar weißen Tracking-Bommeln aufgesetzt und übernahm somit die Rolle des Helden Ryan Marks, durch dessen Augen man das komplette Abenteuer erlebt.

Die T-Pose ist hier kein Meme, sondern die Start-Position der Schauspieler bei jeder Aufnahme, damit ihre virtuellen Extremitäten später nicht wild durch die Gegend glitchen. Außerdem ist es wichtig, dass die Schauspieler nicht einfach durch virtuellen Möbel spazieren, die anhand diagonaler Linien ausgerichtet werden.

T-Pose!

Da der Blickwinkel nur grob vorgegeben ist und der Spielerkopf sich frei umschaut, gibt es hier keine Nahaufnahmen oder Two-Shots wie bei Kinofilmen oder klassischen Zwischensequenzen. Es ähnelt viel mehr dem Schreiben fürs Theater - so die Autoren. Das warf allerdings das Problem auf, dass erste Aufnahmen zu gestelzt wirkten. Die Szenen mussten mehrmals überarbeitet werden mussten, bis das Schauspiel endlich natürlich genug rüber kam.

Und jetzt abdrücken: Jan konnte in London diverse Tonspuren und räumliche Sound-Szenarien austesten.


Theater-Stimmung am Set?

Anders als beim Konkurrenztitel The Invisible Hours war also kein Overacting nötig. Eine Herausforderung war laut „Cinematic Animation Lead“ Gabor Soos aber, den "Zuschauer" stets an einer passenden nahen Position zu platzieren – damit er auch ja keine der für die Story wichtigen Gefühlsregungen verpasst. Die Schauspieler mussten also in entscheidenden Momenten darauf achten, die Aufmerksamkeit des Spielers auf sich zu ziehen – um ihm den Eindruck zu vermitteln, dass er Teil der Unterhaltung ist.

Auch andere Entwickler erklärten uns noch interessante Feinheiten aus ihrem Alltag, die aber den Bericht sprengen würden. Für die Häuser-Texturen der generierten Hintergrund-Ebenen kamen z.B. Vorlagen aus der „The Getaway“-Serie zum Einsatz. London-Heist-Lead-Designer Simon Hermitage zeigte uns zudem, wie die vielen kleinen Tricks beim Halten und Handling der Waffen mit den Move-Controllern umgesetzt wurden. Ein Berater betonte z.B., dass beidhändiges „Akimbo“-Ballern in der Realität völlig ineffektiv sei.

London-Heist-Lead-Designer Simon Hermitage ließ es sich nicht nehmen, Unmengen tödlicher Spielzeuge vorzustellen, die sich mit diversen alternativen Move-Haltungen bedienen lassen.


Realistisch oder cineastisch?

Ins Spiel musste die Technik aber natürlich trotzdem, der Gangsterfilm-Atmosphäre zuliebe. Ähnliche Erkenntnisse ergaben sich beim Abmischen der Soundeffekte: Hier werden stets mehrere Aufnahme-Spuren miteinander vermischt: Mal soll die relativ hohe Lautstärke einer schallgedämpften Waffe Authentizität vermitteln, statt nur leicht zu „zwitschern“ wie in vielen Kinofilmen. In anderen Szenen werden die Schussgeräusche aber für ein cineastische Atmosphäre „satter“ oder dramatischer zusammengemischt. Für eine räumlich korrekte binaurale Wiedergabe können die Entwickler übrigens auf den Hardware-Chip der kleinen PSVR-Breakout-Box zugreifen – ein Luxus, auf den gewöhnliche PS4-Spiele verzichten müssen. Wie das Ergebnis ausfällt, verraten wir euch im Test des VR-Spiels, das seit heute exklusiv im PSN-Store und im Handel erhältlich ist.