Twilight Imperium - Special, Brettspiel, Spielkultur
Der Weltraum, unendlicher...
Obwohl "heillos" nicht ganz stimmt, denn die verabschiedeten Gesetze haben ja Vorteile für zwei und es gibt außenpolitische Absprachen, die sich durchaus zu Allianzen entwickeln können. Im Laufe der ersten Stunden gab es einige kleinere Gefechte, aber noch keinen langen Krieg. Wer spinnt da welche Intrige?
Zwischen Gesetzen und Intrigen
Schon vor dem ersten Zug beginnt der Spaß, denn das futuristische Artdesign kann mit coolen Kreaturen und stimmungsvollen Illustrationen überzeugen. Hinzu kommt eine Ausstattung, die selbst innerhalb der üppigen Brettspiele herausragt: Es gibt über 350 Plastikfiguren, dazu 700 Marker, 450 Karten, 50 Spielsteine und drei farbig gedruckte Nachschlagewerke mit Spielregel, Referenzhandbuch samt Index sowie der Galaktischen Chronik. Diese 1997 von Christian T. Petersen konzipierte 4X-Strategie wurde zu einer Science-Fiction-Welt mit Historie ausgearbeitet, in die man durchaus abtauchen kann - nicht umsonst gab es 1999 einen Ableger als Pen&Paper-Rollenspiel. Aber welches Volk soll man wählen?
Zwar besitzen alle 17 Fraktionen ein identisches Layout für ihre Raumschiffe sowie die grundsätzlich gleichen Aktionen, aber es gibt einige interessante Unterschiede. Neben anderen Technologien sowie Flotten zum Start gibt es Spezialfähigkeiten, die auf den Fraktionsbögen erläutert werden: So bekommt der Clan von Zaar z.B. immer eine Handelsware, wenn er einen Planeten integriert und er darf selbst dann eine Aufgabe werten lassen, wenn er nicht alle Planeten in seinem Heimatsystem kontrolliert. Schließlich dürfen sie auch Bodentruppen von einem zum anderen Planeten zurückrufen.
Die Qual der Wahl
Es lohnt sich also, sich mit den Fraktionen zu beschäftigen und nicht nur nach dem coolen Artdesign zu gehen. Die Emirate von Hacan in ihrer prächtigen Löwengestalt sparen Kommandomarker beim sekundären Handel und können z.B. auch mit Spielern handeln, die nicht an ihrer Grenze sind und dabei Aktionskarten tauschen. Die Geister von Creuss dürfen alle Teleporterfelder als benachbart betrachten, ihre Schiffe bewegen sich weiter und sie sind als einziges Volk nicht direkt mit ihrer Heimatwelt außen am Spielfeld verbunden, sondern über ein Dimensionstor. Sekundärer Handel, Kommandomarker, ihr versteht nur Bahnhof? Also rein ins Spiel!
Acht Strategiekarten mit doppelter Funktion
Apropos Kommandomarker: Das ist der zweite richtig gute spielmechanische Kniff, der wohl überlegtes Agieren verlangt; zumal jede Fraktion drei Quellen dafür auf einem separaten Bogen besitzt. Dort gibt es nur begrenzt Marker im Bereich Taktik, Flotte und Strategie. Marker aus dem Taktikpool muss man ausgeben, wenn man während der wichtigen Aktionsphase irgendetwas machen will - egal ob Bewegung, Kampf, Produktion oder Aufbau. Man platziert sie dann auch in dem System, in dem diese Aktion stattfinden soll, was es quasi sichtbar für alle aktiviert und für den aktiven Spieler später nicht mehr zugänglich macht. Marker im Flottenpool bestimmen quasi die maximale Größe der eigenen Armada und Marker aus dem Strategiepool braucht man für die Nutzung der sekundären Aktionen.
Die Macht des Kommandos
Für die Bewegung, Anzahl und Reichweite der Raumschiffe gibt es klare Regeln mit Tabus, so dass man während der Expansion vorausschauen muss (mit welchen Schiffen darf ich wohin?), aber recht schnell in einen Spielfluss kommt - die vorbildliche Anleitung erklärt alles anhand von grafischen Beispielen. Zwar gibt es im Gegensatz zu Eclipse keine neutralen Feinde, so dass man ungestört kolonisieren kann. Aber hat man genug Bodentruppen dabei, um den Planeten zu besetzen? Auf Träger dürfen vier, auf Schlachtschiffe darf nur einer und auf Zerstörer darf gar kein Soldat. Auch Wurmlöcher, Asteroidenfelder, Nebel, Supernovas oder Gravitationsstrudel sorgen dafür, dass man den Weg von A nach B samt Eroberung gut planen muss. Das Universum aus Hexfeldern sieht stimmungsvoll aus und es macht Spaß, die Planetenkarten zu sammeln und sein Imperium auszubauen.
Spannung vor dem Kampf
Hinzu kommen Aktionskarten, die man auf die Hand zieht - mit teilweise sehr nützlichen Effekte bis hin zum direktem Austausch von Einheiten. Man darf sich natürlich nicht nur auf seine Aufgaben konzentrieren. Und plötzlich schaut man sich um und sieht: Der eine Mitspieler ist zwar sehr freundlich und reicht einem stets ungefragt die Gummibärchen, aber er hat bereits seine Zerstörer und Jäger zweimal aufgerüstet. Ähm, wieso zieht er die jetzt alle zusammen? Der andere tut verwirrt, hat gar keine große Flotte, aber irgendwie sortiert er verdeckt seine Aktionskarten und hat schon drei Aufträge erfüllt, so dass er auf der Siegpunkteleiste führt...
Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, sollte man nicht nur produzieren, sondern auch fleißig forschen. Hier greift ein logisches Farbenprinzip mit Technologien, die aufeinander aufbauen: Man zieht Forschungskarten, auf denen rechts unten grüne, gelbe, rote oder blaue Symbole zu erkennen sind. Man legt sie offen aus und kann daraufhin weitere Karten anlegen, falls die bestehenden genug farbige Symbole für die neue Technologie ergeben. Schön ist, dass auch kolonisierte Planeten etwas dazu beitragen können, denn auch sie liefern Farbsymbole. Und schließlich ist die Aufrüstung bestehender Technologie gut gelöst: Man platziert die Karte des Zerstörers der zweiten Stufe einfach direkt auf den Zerstörer seines Fraktionsbogens, der noch die erste Stufe anzeigt. Wer die Fraktion des Nekro-Virus oder die Universitäten von Jol-Nar spielt, bekommt weitere Vorteile in diesem Bereich.
Forschung in vier Farben
Erstere kann man als Ersatz für die beiden Rohstoffe ausgeben, als Bezahlung bzw. Verbrauch während einer Aufgabe oder man kann sie mit anderen Spielern tauschen; dann verwandelt man ein eigenes Massenprodukt quasi bei der Übergabe in eine Handelsware. Aber auch hier gibt es sinnvolle Begrenzungen, so dass man nicht damit um sich werfen kann. Dafür gibt es schließlich Laser, Raketen & Co. Wie funktioniert also der Kampf?
Im Angesicht der Kampfwürfel
Der Bodenkampf funktioniert ähnlich, nur dass man vor der Landung aus der Luft bombardieren darf oder selbst von stationierten Kanonen getroffen wird. Haben danach Einheiten überlebt, geht es mit demselben Kampfwürfelprinzip in die Schlacht, bis ein Spieler die Kontrolle des Planeten übernimmt. Obwohl Twilight Imperium schon so über die ersten Stunden richtig Laune machen kann, wird das Spielgefühl nochmal ergänzt, wenn jemand das Zentrum der Galaxie erobert, indem er sechs Einfluss ausgibt und den Planeten Mecatol Rex mit Bodentruppen für sich beansprucht - das ergibt nicht nur einen Siegpunkt, sondern leitete die neue Agendaphase ein.
Gesetze und Verträge
Aber die Wahl eines Gesetzes funktioniert nicht komplett ausgeglichen - die eigene Macht ist relevant: Denn man hat als Fraktion nicht nur eine Stimme, sondern kann beliebig viele seiner kolonisierten Planeten erschöpfen, um deren Einflusspunkte einzusetzen und zu sagen: Ich stimme mit vier Stimmen dafür! Oder was hast du mir zu bieten, dass ich es nicht tue? In dieser Phase darf man auch tauschen oder etwas versprechen, aber nur eine Transaktion pro Spieler abwickeln. Das kann man alles mündlich machen, sich auch verraten, aber zu den fortgeschrittenen Regeln gehören auch 41 schriftliche Verträge. Aus einem Vorrat an Karten kann man sich dann auf eine verpflichtende Kooperation einigen. Dabei geht es quasi um Bonuseffekte mit Farbkodierung - die sich teilweise gegen andere richten: Die "Waffenruhe" sorgt z.B. dafür, dass der gelbe Spieler nach der Aktivierung eines Systems keine Einheiten dorthin bewegen darf - damit kann er nicht angreifen. Mit "Handels-Abkommen" erhält man alle Massenprodukte des lila Spielers, sobald er seine Vorräte auffüllt.
Auch zu dritt oder viert empfehlenswert
Dass die Zeit der beste Kritiker ist, zeigt sich auch in der Welt der Brettspiele. Denn Twilight Imperium gehört in seiner vierten Edition zum Besten, was die 4X-Strategie zu bieten hat. Auch wenn der Handel nicht so ausgefeilt ist wie in Merchant of Venus und in Eclipse flotter gekämpft wird, besticht das vor über zwanzig Jahren (!) von Christian T. Petersen konzipierte und über vier Editionen deutlich verbesserte Spiel in den Bereichen der Aktionsvielfalt, Technologie, Eroberung und vor allem der Diplomatie. Ihr wollt Kommunikation, Bluffs und Intrigen? Ihr wollt langfristig planen? Dann seid ihr hier richtig. Man braucht zwar eine Gruppe geduldiger Spieler, im Idealfall welche mit Hang zum Rollenspiel, die auch mal über zwei, drei Sitzungen mitmachen. Aber dann steigt der Spaß proportional mit dem "ernsten" Einsatz der Außenpolitik über Verträge & Co., während sich der Tisch in einen bunten, hart umkämpften Weltraum verwandelt, der vor Raumwerften, Jägern, Kreuzern, Portalen und Schlachtschiffen überquillt. Ihr wollt keine abstrakte Schlichtheit, sondern einen Aufbau mit Planeten, Miniaturen und Karten in XXL? Mit vielen Völkern, tollem Artdesign und einer ausgearbeiteten Welt? Dann öffnet dieses Box, teleportiert Freunde herbei und habt futuristischen Spaß für viele Stunden. Twilight Imperium ist ein episches Biest von einem Brettspiel, das nicht nur aufgrund seiner 17 Fraktionen einen hohen Wiederspielwert besitzt und in dieser vierten Edition angenehm entschlackt und erstmals ins Deutsche übersetzt wurde.
Fazit
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Das ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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