Villagers - Special, Brettspiel, Spielkultur

Villagers
03.12.2019, Jörg Luibl

Special: Villagers

Ein Dorf der Spezialisten

Lust auf Kartentaktik und den Aufbau eines mittelalterlichen Dorfes? Dann könnte Villagers interessant sein, das dieses Jahr über Kickstarter finanziert wurde. Und das mit großem Erfolg: Über 14.000 Brettspielfans sorgten immerhin für über 480.000 Britische Pfund. Was Sinister Fish Games daraus für zwei bis vier Spieler gemacht haben, verraten wir im Test.

Moment mal, war das Mittelalter nicht finster? War da nicht alles, braun, grau und düster? Villagers pfeift auf das Klischee und präsentiert sich wie ein frischer Obstkorb auf weißer Tischdecke: Das Artdesign von Haakon Gaarder ist hell, klar und voller bunter Farben, so dass das Ganze nach ein paar Runden eher wie eine moderne als historische Kulisse anmutet. Aber diesem reinen Kartentaktikspiel steht diese Illustration hervorragend, zumal auch die Figurenzeichnungen sehr ansehnlich sind.

Kunterbunte Kartentaktik

Noch wichtiger ist allerdings der coole Spielfluss samt seiner schönen Kombos: Denn hier legt man irgendwann flott seine Karten an, um seine Handwerker in mehreren Stufen immer weiter zu spezialisieren. Man baut also kein Dorf aus Gebäuden auf, sondern aus Berufen wie Strohdachdecker, Geflügelhändlerin & Co. Und wer diese am besten kombiniert, platziert und entwickelt, bekommt dafür am Ende die meisten Siegpunkte. Wer also gerne sammelt und aufbaut, wird hier seinen Spaß haben. Wie funktioniert das Spiel? In zwei Phasen reihum, bis zweimal auf einem Markttag abgerechnet wird.

Villagers ist komplett auf Deutsch bei Kosmos erschienen. Es kostet knapp 20 Euro und ist für 2 - 4 Spieler ausgelegt.
Zu Beginn hat jeder der bis zu vier Mitspieler acht Goldmüzen sowie eine Gründerkarte ausliegen, die den Kern des Dorfes bildet. Außerdem hat man fünf Karten auf der Hand, so dass die anderen Spieler nur die Rohstoffe wie Erz, Leder oder Heu auf der Rückseite sehen, aber nicht den damit verknüpften Beruf. Dieses Verdeckte sowie das Erkennen gehört zum Spielprinzip, denn auch in der Auslage liegt eine Reihe an Figuren offen und dahinter einige verdeckte Kartenstapel, die nur die Rohstoffe anzeigen.

Die Gründung des Dorfes

Das bedeutet: Wenn ich einen Tischler oder Ähnliches brauche, den ich nicht auf der Hand habe und der nicht offen ausliegt, könnte ich mein Glück im verdeckten Stapel Holz versuchen. Da das Spiel auch einen klares Farbschema wie Grün (Holz), Schwarz (Erz), Lila (Heu), Rosa (Wein) etc. für alle Berufszweige und Sonderfunktionen besitzt, findet man auf einen Blick schnell das Richtige. Nachdem sich alle in der "Draftphase" abwechselnd zwei oder mehr Karten genommen haben, wird in der "Bauphase" ausgelegt.

So entsteht neben der Gründerkarte ein Dorf aus Berufen, die jeweils in vertikalen Reihen zu Spezialisten weiter wachsen, indem man sie wie beim klassischen Solitaire aufeinander legt. Die erste Karte zeigt an, ob man eine oder mehrere Reihe anlegen kann: An den Holzfäller darf ich z.B. links eine Radmacherin und rechts einen Tischler anlegen - und an diese vielleicht weitere, so dass die Einnahmen steigen. Aber ich darf nicht beliebig nach Farbe oder Rohstoff weiter anlegen, sondern nur in der Reihenfolge, die auf der Ursprungskarte angegeben ist. Ordnung muss sein! Was dafür sorgt, dass man verzweifelt nach diesem einen Lückenfüller Ausschau hält.

Solitaire mit Kombos

Auf dem Holzfäller steht z.B. die Kette aus Holzfäller, Radmacherin und Wagner. Letzterer gibt zwar satte neun Gold, aber für ihn muss ich erst den Weg bereiten, indem ich die beiden anderen schon engagiert habe. So entsteht ein wunderbarer Wettstreit um die passenden Karten, die man den anderen natürlich aus der Auslage stibitzen kann.

Zumal auch die Beobachtung der anderen Dörfer taktisch hilfreich ist: Wenn ich sehe, dass da schon zwei ordentlich Holz hacken und Berufe dazu bilden, sollte ich mich vielleichtauf Erz, Wein oder etwas anderes konzentrieren. Auch wenn gerade nichts offen ausliegt: Es gibt ja drei jederzeit zugängliche Berufe, darunter auch Bergarbeiterin sowie Heuwender, so dass man zumindest in den ersten Runden weniger stark auf das Glück angewiesen ist - irgendwas kann man also immer bauen.

In der Bauphase werden weitere Handwerker ausgelegt.
Zudem punktet Villagers dann mit seiner Vielfalt, denn es gibt nicht nur über 100 Karten in diversen Berufszweigen mit tollen Kombos, sondern auch einige zusätzliche Spielmechaniken, die über den reinen Anlege- und Sammelreiz hinaus für Unterhaltung sorgen. Man kann z.B. Schlösser freischalten: Auf der Karte des Brauers ist so eines abgebildet, so dass er nur gespielt werden kann, wenn er durch einen anderen Beruf, in diesem Fall ein Böttcher, freigeschaltet wird. Hat man den Böttcher selbst schon im Dorf, bekommt man sogar zwei Gold; ist er in einem anderen Dorf zahlt man zwei Gold an den Spieler. Erst wenn beides nicht der Fall ist, darf man ihn für zwei Gold einfach so freischalten.

Schlösser und Spezialisten

Der Schmied kann sich beim Öffnen der Schlösser etwas dazu verdienen.
Das Schöne an diesen Schlössern ist, dass der freischaltende Beruf zwar für jeden Erfolg zwei Gold auf seiner Karte sammelt, aber dass diese Einnahmen begrenzt sind: Der emsige Schmied kann besonders viele Schlösser öffnen, aber darf das nur zehnmal - dann hat er sein Limit von zwanzig Gold angehäuft. Für weitere Würze beim Aufbau des Dorfes sorgen die roten Spezialkarten wie Mönch, Schmuggler oder Blechschmiedin: Manche kann man wie Joker nutzen und irgendeinen Beruf damit ersetzen (auch bei einem Mitspieler), andere schalten beliebig Schlösser frei oder stibitzen Gold. Hinzu kommen drei optionale Module "Unterstützung", "Entwicklung" und "Profiteur", mit denen ihr einzeln oder komplett integriert noch mehr Finessen zur Verfügung habt.

Nachdem man sich in den ersten Spielen ohne Schlösser und Spezialisten in das Prinzip reingefuchst hat, gibt es nichts am Regelwerk auszusetzen - vor allem, wenn man verinnerlicht hat, dass nur die Funktionen der jüngsten, also kürzlich gelegten Karte in einer Berufskette zählen. Und dass am ersten Markttag nur das Gold, aber am wichtigen zweiten sowohl das Gold als auch Silber abgerechnet wird; man kann also noch gut für die Endwertung aufholen.

In der deutschen Schactel von Kosmos fehlt die Solovariante des Kickstarter-Originals.
Allerdings finde ich, dass der Aspekt der Ernährung etwas stiefmütterlich integriert wurde: Nach der Bauphase schaut man lediglich, ob man irgendwo ein rotes Tellersymbol hat - dann gilt das komplette Dorf, unabhängig von der Zahl der Bewohner, quasi als satt; hat man keines, dreht man einfach die Gründerkarte um. Vielleicht hätte man diese etwas zu simple Versorgung der Leute etwas besser abbilden können. Zu zweit oder dritt kann man Villagers zwar auch mit angepassten Regeln spielen, aber erst in großer Runde entfaltet es sein ganzes Potenzial. Und es ist schade, dass es die im englischsprachigen Kickstarter-Original enthaltene Solo-Variante nicht in die Schachtel von Kosmos geschafft hat.

Was gefällt nicht so gut?

Kein Wunder, dass dieser Dorfbau auf Kickstarter so ein Erfolg war: Villagers ist ein flottes Kartenspiel mit tollen Kombos! Wer Lust auf taktisches Sammeln, Auslegen und Spezialisieren hat, wird hier richtig gut unterhalten. Das frische Artdesign sorgt für buntes Mittelalter-Flair mit einer klaren Farbensymbolik, die wiederum das durchdachte Spielprinzip mit seinen Berufszweigen und Berufsketten unterstützt. In zwei Phasen baut man ein Dorf aus Handwerkern & Co, während Runde für Runde ein spannender Wettstreit um die passenden Karten entsteht - die man den anderen natürlich aus der Auslage stibitzen kann. Freischaltbare Schlösser und Spezialkarten sorgen für zusätzliche Würze in einem kompetitiven Kartenspiel, das auch nach zig Partien noch für Überraschungen am Tisch sorgen kann. Für knapp 20 Euro bekommt ihr hier taktische Unterhaltung mit hohem Wiederspielwert.

Fazit

Ihr sucht Alternativen im Städtebau? Drei Tipps aus unserem Archiv: Wer es kurzweiliger und exotischer mag, baut in Machi Koro mit Würfelglück und Kartentaktik für knapp 13 Euro. Einen Hauch von SimCity samt Hexfeldflair gibt es in Suburbia für knapp 35 Euro. Wer es kooperativ und etwas "realer" mit Umweltverschmutzung, Verkehr, Kriminalität & Co mag, findet in Cities Skylines - Das Brettspiel für knapp 35 Euro die gelungene Umsetzung des Videospiels von Paradox.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Das ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

Weitere Brettspieltests im Archiv!

Villagers ist komplett auf Deutsch für knapp 20 Euro bei Kosmos erschienen. Es ist für zwei bis vier Spieler ausgelegt.

 
Kommentare
Bomberman82

Sieht ja voll aus wie Machi Koro?!?.

vor 4 Jahren
blackstr

Ich kann jedem auch das Spiel Tiny Towns empfehlen. Geht thematisch in eine ähnliche Richtung und wird derzeit von vielen Kritikern gefeiert.

vor 4 Jahren
Jörg Luibl

Jup, so isses auch.

vor 4 Jahren
Raskir

Auch hier, danke für den Test. Habe ein bisschen reingelesen, hört sich gut an. Die Tage lese ich es zu ende, kurzweilige Spiele sind auch manchmal ein Segen. Hört sich für mich aber nach Solitaire meets Dominion an. Mein ich positiv

vor 4 Jahren