The Witcher (Netflix) - Special, Filme & Serien, Spielkultur
Nun gehört Geralts Geschichte (eine Romanreihe mit durchgehendem Namen gibt es ja nicht, nur eine der vielen Kurzgeschichten hatte Sapkowski „The Witcher“ genannt“) nicht zur eloquentesten Literatur, hat manche Längen und für mich auch Schwächen in der emotionalen Entwicklung des Protagonisten. Sie stellt aber eine Welt dar, die angenehm greifbar scheint – spielt etwa mit interessanten Parallelen zu realen Zuständen sowie historischen Ereignissen, ohne mahnend darauf hinzuweisen, nutzt Magie nicht als übermächtiges Allheilmittel und erweckt Charaktere zum Leben, deren Leid und Leben ebenso nachvollziehbar wie allgegenwärtig sind. Dazu zählt besonders Ciri, die ich mehr als fast alle anderen literarischen Figuren ins Herz geschlossen hatte. Umso gespannter, aber auch skeptischer war ich, ob die Serie meine Erwartung erfüllen würde.
Magie ohne Allheilmittel
Und tatsächlich fällt es ihr zunächst nicht leicht, diese vertraute Welt auf den Bildschirm zu bringen, denn sowohl erzählerisch als auch visuell wirkt gerade die erste Folge noch wie ein Fremdkörper in der Saga. Viele Charaktere agieren in Nahaufnahme vor unscharfen Hintergründen, während das Bild zwar in ausgewaschene Farben getaucht ist, gleichzeitig aber seltsam glatt wirkt – wie Schnipsel aus Hochglanz-Postern auf einer Collage.
Ein Collage aus Hochglanz-Schnipseln
Grandios ist hingegen vom ersten Ton an der Soundtrack! Dabei hätte er kaum besser sein können als die Mischung aus Folks- und Filmmusik in The Witcher 3 – und so ist es vermutlich kein Wunder, dass die von Sonya Belousova und Giona Ostinelli geschriebene Untermalung ebenso frappierend wie wohltuend an das dritte Spiel erinnert. Sie ist der Grund, dass ich manche Abspänne mehrmals geschaut habe, in die Belousova und Ostinelli zusätzlich einen Hauch moderne Unterhaltungsmusik einbringen.
Yens Bogen
Und wie gesagt gilt das auch für Geralt selbst, dessen wortkarges Grunzen oft an die Spiele erinnert, die ihrerseits ja den Hexer schon sehr originalgetreu eingefangen haben. Dabei ist der Monsterjäger gar nicht der Star der ersten Staffel; für mich stiehlt ihm vielmehr die Zauberin Yennefer die Show, gespielt von Anya Chalotra. An Cavill liegt es nicht! Yennefers Geschichte schlägt einfach einen deutlich größeren Bogen als die aller anderen Hauptfiguren, weshalb Chalotra auch eine größere Bandbreite an Emotionen zur Verfügung steht, die sie auf beeindruckende Art widerspiegelt. Einige der stärksten Momente der ersten Staffel gehören ihrem getriebenen Alter Ego. Alleine ihr im Feuer glühender Blick der letzten Folge spricht Bände!
Auch das ist etwas, das die Serie sehr überzeugend einfängt: Zauber passieren in dieser Welt nicht einfach, sondern werden durch das Übertragen von Energie erzeugt. Und das wird nicht nur erklärt, sondern auch erzählerisch mehrfach verwendet und teils eindrucksvoll visualisiert. Schön, dass The Witcher solche und andere von Sapkowski beschriebene Details ernst nimmt!
Wie bearbeitet man ein Mosaik?
Überhaupt überträgt Schmidt das erste Buch sehr geschickt ins Serienformat – ohne der Vorlage aber sklavisch zu folgen. Vielmehr spinnen ihre Autorinnen und Autoren von Beginn an einen roten Faden, der später nahtlos in die Erzählung der zusammenhängenden Romane übergehen könnte. Sapkowski erschuf ja kein geradliniges Epos, sondern stellte Geralt zunächst in Kurzgeschichten vor, um erst später in zusammenhängenden Romanen eine große Saga zu entwickeln. Es dürfte nicht einfach gewesen sein, sein Mosaik in eine einheitliche Serie umzuwandeln.
Manche Einzelheiten hatte er z.B. nur angerissen, darunter Yennefers Vergangenheit – und genau die erzählt die Serie jetzt mit dem Segen des Erfinders. Interessanterweise passiert all das fast über die gesamte Staffel hinweg nicht in chronologischer Reihenfolge. Ganz im Gegenteil sogar: Selten agieren die Teilnehmer verschiedener Handlungsstränge zur gleichen Zeit und oft finden sie sich in einer späteren Folge in einem ganz anderen Jahr wieder.
Zwölf statt acht!
Wem die genaue Abfolge der Ereignisse wichtig ist und die Bücher nicht kennt, fühlt sich deshalb womöglich verloren. Mitunter wusste ich ebenfalls nicht, was gerade geschieht, da The Witcher das Bekannte zu allem Übefluss nicht nur erweitert, sondern stellenweise erstaunlich stark verändert. Schmidt und Co. machen damit klar, dass sie nicht einfach nacherzählen. Aber ein perfekter Einstieg sind diese acht Folgen eben nicht. Ich hätte mir zudem gewünscht, dass sich die erste Staffel ein wenig mehr Zeit nimmt. Zwölf Folgen hätten ihr vom Gefühl her durchaus gutgetan. Vielleicht darf die zweite Staffel nach dem Erfolg der ersten ja etwas länger sein.
Emotionen statt Stichpunkte
Vor allem aber forciert Schmidt durch den Verzicht auf eine chronologische Abfolge wohl nicht das faktische Verständnis, weckt dafür aber ein tiefes Verständnis für emotionale Zusammenhänge. Man kann Motive und Handlungen nachvollziehen – viel mehr, als es mit einer "korrekten" Stichpunkt-Sammlung der Fall wäre. Und so hat mich die erste Staffel einmal mehr mit großer Empathie für diese Charaktere zurückgelassen; die Pause zur zweiten wird viel zu lang sein. Denn nach diesem gelungenen Einstieg werde ich auch weiterhin den Spuren von Geralt, Yennefer, Rittersporn – und ganz besonders denen von Ciri folgen!