Virtua Tennis - Special, Sport, Dreamcast, PC, Spielkultur

Virtua Tennis
03.08.2020, Matthias Schmid

Special: Virtua Tennis

Spiel, Satz & Sieg für Sega

Dieses Sportspiel ist Kult: Virtua Tennis war ein zu seiner Zeit herausragendes Tennisspiel, dem der perfekte Spagat zwischen Arcade-Action und Sim-Anspruch gelang. Für kurze Zeit wurde die virtuelle Nischensportart zum Star des Center Courts - und rief eine Sega-Serie ins Leben, die auch heute noch viele Fans hat.

Virtua Tennis - das ist für mich Emotion pur! Epische Duelle im Freundeskreis und in der Redaktion. Dazu eine langjährige Freundschaft, die ihren Ursprung in einem Games-Convention-Match bei Virtua Tennis nahm. Und natürlich meine zwei Interview-Treffen mit Mie Kumagai, der ehemaligen Hitmaker-Chefin - sie ist die Mutter der Virtua-Tennis-Serie, natürlich selbst Tennisfan, war im Jahr 2003 die erste weibliche Studio-Chefin bei Sega und auch noch so freundlich, mir meine sämtlichen Virtua-Tennis-Packungen mit ihrer Unterschrift zu veredeln. "Sämtliche" heißt im Fall des ersten Virtua Tennis bei mir natürlich: dreimal die Dreamcast-Version. In wunderschönem blauem PAL, amerikanischem NTSC und japanischem Jewel Case, auf dem „Power Smash Sega Professional Tennis“ prangt; so heißt der Titel nämlich in Japan. Aber ich schweife ab, bevor ich überhaupt begonnen habe…

Aus Liebe zum Spiel

Bild-im-Bild-Einblendungen, Nahaufnahmen, tobendes Publikum - die Präsentation in Virtua Tennis war topmodern.
Passend zum 20-jährigen 4Players-Jubiläum und unserem PUR-Talk zu den Meilensteinen des Jahres 2000 haben wir uns dieses Kultspiel als Retro-Klassiker des Monats ausgesucht. Virtua Tennis erschien zwar bereits 1999, natürlich auf Naomi-Hardware in der Spielhalle, wurde aber im Jahr 2000 für die damals aktuelle Sega-Konsole Dreamcast umgesetzt. Der offizielle Arcade-Flyer pries die „realistischen Spielerbewegungen basierend auf Motion-Capturing-Aufnahmen“ und das pompöse Drumherum mit Schiedsrichter und vollen Zuschauerrängen an. Und tatsächlich können sich Teilaspekte dieses 20 Jahre alten Spiels optisch noch sehen lassen: Während grob modellierte und texturierte Spielergesichter heutzutage ein wenig gruselig wirken, sind der griffig aussehende Court-Boden inklusive der Spuren darauf, die Punkteanzeigen oder die Arena generell ziemlich ordentlich gealtert.

Virtua Tennis leistete sich nicht die Lizenzen von Wimbledon, US Open & Co. - demzufolge schlägt man zwar nicht im All England Club oder in Flushing Meadows auf. Trotzdem sind alle wesentlichen Bodenbeläge dabei, von Gras und Hartplatz bis Teppich oder Asche. Volle Lizenzpower gab es dafür auf Spielerseite: Acht männliche Topspieler waren dabei (Courier, Haas, Henman, Kafelnikov, Johansson, Moya, Phillippoussis, Pioline), Racket schwingende Damen gab es hingegen erst im Nachfolger. Alle acht Athleten besitzen besondere Talente: Haas hat eine top Vorhand, Henman brilliert am Netz, Philippoussis schlägt brutal auf und Kafelnikov feuert seine Rückhand härter als alle anderen.

Echte Stars

Macht was her aufm Bild, war aber nie so gut spielbar wie in Einzelmatch: Doppel.
Neben überzeugender Technik, Star-Power und simpler Steuerung (nur zwei Tasten für die Schläge) fesselte der damals wie heute fantastische Kompromiss aus Arcade-Zugänglichkeit und variantenreichem Spiel an die Konsole. Virtua Tennis war mehr als ein modernes Polygon-Pong, wo allein der gewinnt, der besser die Schlagrichtung des Gegners antizipiert. Es war wegen seiner grandiosen Spielbarkeit nicht nur ein Meilenstein im Tennisgenre, sondern generell ein Sportspiel, das seinen Namen in die Geschichtsbücher eintragen durfte. Neben dem variablen Standardschlag gab es nur die Lob-Taste - ein Konzept, das angesichts späterer Serienteile und Top-Spin-Episoden spartanisch anmutet. In der Tat verhindert es perfekte Stopbälle, die hinter dem Netz wie Blei zu Boden fallen. Davon abgesehen ist aber alles enthalten, was den echten Sport so reizvoll macht: wuchtige Asse durch die Mitte, knallharte Longline-Returns, lange Angriffsbälle zur Vorbereitung des Netzspiels, punktgenaue Volleys und unerreichbare Schmetterbälle.

Wer gut zum Ball steht, nicht zu früh oder spät schlägt und die volle Beweglichkeit des Analogsticks ausnutzt, zaubert verflucht cross geschlagene Passierbälle oder absichtlich zu kurz gerate Returns auf den Platz. Der Versuch, diese zu erlaufen oder zu erhechten fördert aus heutiger Sicht doch recht holprige Animationen zu Tage - damals fiel das aber nicht weiter ins Gewicht. Speziell im Vergleich mit Virtua Tennis 2 fällt jedoch das zu dominante Netzspiel negativ auf: Oft wirkt der attackierende Spieler wie eine unpassierbare Wand, die selbst härteste Passierschläge sicher und tödlich ins Feld drückt. Überhaupt geht der Ball zu selten ins Aus: Zwar sorgen verzogene Aufschläge oder Netzroller für ein authentisches Tenniserlebnis, im Vergleich zur Realität landet die Filzkugel aber viel zu selten im Netz oder Aus. Das sorgt natürlich vielfach für spannende Ballwechsel, wenn es am Netz zu unrealistischen Ping-Pong-Serien kommt oder selbst Schmetterschläge sicher ins Feld returniert werden. Aber nach echtem Tennis fühlt sich Segas Arcade-Sim dann nicht wirklich an.

Stick ist Trumpf

Henman vs. Courier: Der Brite am Netz gewinnt den Ballwechsel - wie so oft.
Neben dem simplen Arcade-Modus befindet sich eine Exhibition-Variante auf der GD-ROM - die wähle ich heute meist aus, wenn ich Virtua Tennis ab und an in eine meiner beiden Dreamcast-Konsolen lege. Dort kann man dann zwischen Einzel- und Doppelmatch wählen, die KI-Stärken der Gegner und Partner separat einstellen und nach einer angenehm kurzen Ladezeite sofort auf die Courts springen; lediglich das unverständliche Verbot, Partien mit mehreren Sätzen auszutragen, stört kompetitive Konsolensportler. Ein Online-Modus war trotz der Internet-Fähigkeit der Sega-Konsole noch in weiter Ferne, auch Teil 2 musste mit Offline-Matches leben. Erst die dritte Episode auf PS3 und Xbox 360 erlaubte Duelle mit anderen Tennisspielern aus allen Ecken der Welt. Von wegen bis zu sechs Milliarden Spieler bei Teil 1 also…

Um die Welt mit Turnieren und Trainings-Minigames - anno 2000 eine Wucht für Solospieler.
Ein großer Pluspunkt bereits dieser ersten Serienepisode war der Karriere-Modus: Man durfte zig Turniere bestreiten, die sich in Schwierigkeit, Matchlänge und Rundenzahl unterschieden, gewann Preisgelder, kaufte sich in Shops neue Outfits, Tennisplätze und Schläger, buchte Doppelpartner für spezielle Turniere und verbesserte in acht kreativen bis innovativen Trainingsdisziplinen die eigenen Skills sowie den Kontostand: Mal platzierte man die Filzkugel zentimeter genau in farbigen Tonnen, mal drosch man auf spezielle Felder einer Squash-Wand, mal nahm man es mit wildgewordenen Ballmaschinen auf, mal räumte man per Aufschlag Bowling-Pins aus dem Weg. Als Dreingabe zu einem arcadelastigen, kurzweiligen Tennispiel mit hohem Multiplayer-Spaßfaktor war dieser Karriere-Modus im Jahr 2000 eine Wucht - und ein gewaltiges Argument dafür, auch als Solist Stunde um Stunde mit dem Spiel zuzubringen. So lange bis man nicht nur Platz 1 der Weltrangliste erobert, sondern auch den (in langen Hosen spielenden) Endgegner „King“ in die Knie gezwungen hatte; mit gehörig Übung war selbst da ein triumphales 6:0 möglich.

Offline um die Welt

Vorzugsweise natürlich aus der normalen Von-hinten-oben-Sicht - eine noch actiongeladenere Mittendrin-Kamera war zwar ebenfalls enthalten, behinderte das perfekte Spielen aber doch entscheidend. Die KI eurer Gegner war für damalige Verhältnisse ebenfalls sehr gelungen: Nicht nur unterschieden sich die Spielweisen eines Jim Courier, Tommy Haas oder Tim Henman stark, auch war auf höheren Stufen der Kompromiss aus eventuell unfairem Vorausahnen eurer Schlagrichtung und letzlich doch taktischer Unterlegenheit der Computergegner motivierend wie gelungen - Virtua Tennis war gegen die späten Karriere-Gegner oder härtesten KI-Widersacher im Exhibition-Modus fast so spaßig wie im Duell mit echten Menschen!

 
Kommentare
Fox81

Danke Michael,
ich hätte mich genauer ausdrücken sollen. Ich meinte gar nicht grafisch, sondern spielerisch.
Grafisch gehen die Spiele für mich immer noch völlig klar.

Teilweise ist es die Steuerung. Manchmal fehlt mir einfach der zweite Stick der heute standart ist. Und manchmal weiß ich auch nicht woran es liegt. Jet Set Radio habe ich damals gesuchtet und heute bockt es mich gar nicht mehr, wobei ich den Artstyl immer noch feiere.

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 4 Jahren
Fox81

Schöner Rückblick. Lege es selbst auch heute noch immer mal wieder ein.
Schade dass es schon so lange keine guten Tennisspiele mehr gab. Zumindest keines das ich kenne.

Interessant an der Dreamcast ist, das ich bis heute unheimlich gern an früher zurück denke. Wenn ich die meißten Spiele heute einlege finde ich sie aber leider nicht mehr so gut gealtert.
Ausnahmen und bis heute für mich unverändert klasse Spielbar: Virtua Tennis 1+2, Crazy Taxi, House of the D., Tony Hawk's Skateboarding 2, Soul Calibur und Ikaruga.

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 4 Jahren
dunbart

Schließe ich mich an. Absolut klasse Rückblick, der sich mit meiner Erinnerung deckt. Ich durfte bei einem Kumpel zusehen und ab und zu im Doppel spielen. SEGA hat es geschafft, dass selbst ein Sportspielmuffel wie ich fasziniert war.

Ich meine Teil 1 kam auch für PC und habe es dann folgerichtig erworben. Ach was hatten wir doch für miese Controller bzw Schnittstellen dafür. Welcg Wohltat als der 360 Controller am PC ging.

vor 4 Jahren
muecke-the-lietz

Sehr schöner Rückblick.

Ich plädiere auch hier nochmal für das Live Turnier zwischen Jörg und Matthias.

vor 4 Jahren