Nintendo World Cup - Special, Sport, NES, GameBoy, Spielkultur

Nintendo World Cup
09.10.2020, Matthias Schmid

Special: Nintendo World Cup

Fußball mit Rüpel-Einlagen

Passend zu unserem nächsten PUR-Talk, der sich den Meilensteinen der Sportspiel-Geschichte widmet, haben wir uns beim Klassiker-Bericht für einen Fußball-Titel entschieden. Der kommt nicht von EA oder Konami, sondern stammt aus dem Hause Technos, das sonst für Double Dragon bekannt ist. Nintendo World Cup war eines der prägenden Arcade-Sportspiele und ist berühmt für brutale Bodychecks und Super-Fallrückzieher.

Willkommen zu unserem Sportspiel-Klassiker "Nekketsu High School Dodgeball Club: Soccer". Wie, kennt ihr nicht? Wie wäre es dann mit Nintendo World Cup, dem kultigen NES-Kick mit Kickbox-Flair? Schon besser, oder? Dabei beschreiben beide Namen im Grunde dasselbe Spiel. Nekketsu High School Dodgeball Club: Soccer erschien in Japan im Jahr 1990 für die Erfolgskonsole Famicom - und inszenierte den Fußball-Wettkampf verschiedener japanischer Highschools mit gedrungenen Sportlern und sogar Story-Sequenzen. Falls euch die Männeken bekannt vorkommen, ist das kein Wunder: Bei der Bande handelt es sich um Kunio-kun und seine Kumpels - jene pixelige Rabaukentruppe von Entwickler Technos, die schon im NES-Titel Street Gangs (US-Name: River City Ransom) die Fäuste fliegen ließ und in weiteren Sidescroll-Kloppern und Action-Sportspielen auftrat.

Fußball aus Japan

So sah das europäische NES-Cover von Nintendo World Cup aus. Viele Spieler kamen aber auch über ein 3-Spiele-Modul (mit Super Mario Bros. und Tetris) mit dem Titel in Berührung.
Für den westlichen Release im Folgejahr wurden die Dialoge entfernt und die Schulmannschaften durch 13 Nationalteams ersetzt: USA, Holland, Japan, Frankreich, Russland, Mexiko, England, Spanien, Brasilien, Deutschland (damals noch als W. Germany im Spiel), Argentinien, Italien und natürlich Kamerun. Warum natürlich Kamerun? Weil der afrikanische Überraschungs-Viertelfinalist der WM 1990 im Spiel als erster Widersacher und Prügelknabe herhalten musste und sich deshalb als Standardgegner ins Gedächtnis vieler NES-Kicker eingebrannt hat. So ein 16:0 in gerade mal acht Minuten Spielzeit (allerdings ticken die Sekunden im Spiel etwas langsamer) ist halt was für die virtuellen Fußballgeschichtsbücher. Nintendo World Cup litt wie so mancher Titel seiner Zeit unter unschönem Sprite-Flackern, war spielerisch aber Champions League: Der Arcade-Sport hielt sich nur an wenige Regeln (Einwurf, Abstoß, Anstoß), ließ das Abseits aber im…äh… Abseits stehen und schickte den Schiri in Frührente. Es konnte (und sollte) nach Herzenslust gerempelt und getreten werden. Warten die zwei Knöpfe des NES-Controllers im Angriff für Pass und Schuss reserviert, wurden sie in der Defensive zu Bodycheck und Blutgrätsche umfunktioniert. Manche Attacke verwandelte den gegnerischen Spieler nur für kurze Zeit in einen bewegungsunfähiges Stück Pixelsalat, andere knockten ihn gleich ganz aus. Dann konnte aus dem 6-gegen-6 für eine Weile ein 6-gegen-3 werden - erst nach dem nächsten Tor erwachten die niedergefoulten Rasenkrieger aus ihrer Besinnungslosigkeit.

Wer die Retro-Treterei heute in scharfem HD erleben möchte, hat auf allen drei aktuellen Konsolen die Möglichkeit dazu - muss aber teils Importhürden nehmen.
Klar, in Nintendo World Cup waren Vierspieler-Matches möglich und auch das Turnier konnte zu zweit angegangen werden. Allerdings beziehe ich mich mit dieser Überschrift auf die Art des Fußballspielens - denn hier lenkte man immer einen fixen Spieler, was erstaunlich gut funktionierte. Auf Knopfdruck passten die KI-Kumpane zu einem, zudem zeigte eine Minimap am unteren Bildrand stets die eigene Position auf dem Feld an - klasse mitgedacht! Über vier Optionseinstellungen konnte man vor Spielbeginn das Verhalten seines Teams justieren: Sollen die Kollegen manndecken oder foulen, der Torhüter mitspielen, durften meine Kameraden selbst den Abschluss suchen und sollten sie im Offensivspiel eher dribbeln oder passen? Diese Einstellungen waren für die damalige Zeit sehr progressiv und verliehen dem Rempel-Fußball mehr taktische Tiefe als auf den ersten Blick ersichtlich.

Einzelspieler-Modus

Neben den punktgenauen Pässen über 70 Meter und der Option, gegnerische Verteidiger K.o. zu schießen, sorgten zwei Spezialmanöver für coole Momente: Flugkopfball und Fallrückzieher. Ersterer sah besonders knuffig aus (und erinnert heute ein bisschen an Zizous Kopfstoß gegen Materazzi), letzterer sorgte fast immer für einen Superschuss. Dieses Feature war nicht nur damals cool und sehenswert, sondern wurde auch in anderen Spaß-Fußballspielen aufgegriffen: Die fett inszenierten Megaschüsse in z.B. Mario Strikers: Charged Football oder zuletzt Captain Tsubasa: Rise of New Champions sind vom wild über den Rasen surrenden 8-Bit-Fallrückzieher der Argentinier gar nicht weit entfernt. Nintendo World Cup leistete sich sogar den Luxus für individuelle Superschüsse pro Team: Manche davon rasten automatisch in Richtung Tor, andere musste man selbst zielen. Besonders cool war dabei, dass vom Ball erwischte Verteidiger und oft sogar der Torhüter gen Himmel gefegt werden.

Super Schüsse

Der Torhüter in Nintendo World Cup pariert solide - doch seine Verteidiger lassen ihn beim Nachschuss häufig im Stich.
Schon 1991 sorgte ein Passwort-System dafür, dass man das Turnier an beliebiger Stelle fortsetzen konnte - natürlich liegt noch heute in meiner Spielhülle ein von Kinderhand beschriebener Zettel mit den passenden Codes für nach jeder Partie. Und bevor ich mich an diesen Text gesetzt habe, musste natürlich das NES angeworfen werden: Zum Glück funktioniert die 8-Bit-Konsole noch so tadellos wie am ersten Tag. Und der fröhlich dudelnde Chiptune-Soundtrack des Spiels hat mich sofort wieder abgeholt - Kamerun habe ich aus dem Stand mit 14:1 besiegt. Wer kein NES zur Hand hat, muss einen umständlicheren Weg wählen, denn aus unerfindlichen Gründen hat es dieses heute noch launige Fußballspiel nicht aufs NES Mini geschafft. Im japanischen Switch-Store gibt es das emulierte Spiel für 500 Yen (4 Euro), zudem enthält auch die Fernost-Retro-Sammlung Kunio-kun: The World Classics Collection (erhältlich für PS4, One und Switch) den Titel. In Europa greifen PS4-Besitzer zu Double Dragon and Kunio-kun: Retro Brawler Bundle für 35,99 Euro, hier ist der 8-Bit-Klassiker ebenfalls am Start.

Immer auf Kamerun

In Japan hieß das Spiel anders (Nekketsu High School Dodgeball Club: Soccer), hatte keine

13 Nationalteams, sondern warb mit Technos Pixelstar Kunio-kun.In den 1990ern wurde das Spiel unter anderem für Game Boy, PC Engine oder Mega Drive umgesetzt, von diesen Versionen schaffte es allerdings nur den Handheld-Ableger zu uns. Vom Kauf des DS-Nachfolgers rate ich übrigens entschieden ab: Das 2010 erschienene River City Soccer Hooligans fing zwar den Pixelcharme des Klassikers gut ein, verkomplizierte den Spielablauf aber unnötig und steuerte sich hakelig. Dass Nintendo World Cup ein Kind seiner Zeit ist, wird bei einem genaueren Blick auf die klischeebeladenen Aufstellungen deutlich: Hier waren alle Holländer semmelblond und alle Brasilianer hatten dunkle Hautfarbe. Die deutschen Kicker hießen übrigens Klaus, Frank, Rudolf, Jürgen, Carl, Hans und natürlich Jochom (sic!).

 
Kommentare
Assar Bubbla

Toller Rückblick! Tolles Spiel!

vor 4 Jahren
Babelfisch

Das hatte ich auf dem Gameboy.

Wenn man selbst eine gute Mannschaft hatte, konnte man in der ersten Halbzeit mit dem Ball direkt ins Tor laufen, weil die eigenen Spieler schneller waren als die gegnerischen. Alle paar Sekunden ein Tor. Absurd, aber witzig.

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 4 Jahren
Akabei

Ich fürchte, ich habe hier wieder eine der allgemeinen euphorischen Stimmung konträre Meinung.

Ich kenne tatsächlich eine Person, die 1991/92 ihren Amiga verkauft hat, um sich ein NES zuzulegen und die wollte uns dann anhand dieses (und eines Wrestling-) Spiels zeigen, wie toll so ein NES ist.

Das Unverständnis, um nicht zu sagen, Entsetzen war in unseren Gesichtern abzulesen.

99 Tore pro Spiel konnte man aber zugegebenermaßen weder in Kick Off noch in Emlyn Hughes International Soccer erzielen, per Fallrückzieher erst recht nicht.

vor 4 Jahren
Levi 



Er muss dann halt auch hoch zu dir kommen. Flugkopfball ging auch und irgendwie ging das auch aus dem Lauf.
Je nach Mannschaft eine bestimmte Anzahl von Schritte und dann Schuss.

Afair ging das auch entgegen der Fallrückzieher beliebig oft pro Halbzeit.

vor 4 Jahren