NBA Jam (Oldie) - Special, Sport, PlayStation, SuperNES, GameBoy, Spielkultur
„NBA Jam ist so realistisch - es ist, wie wenn du echten Basketball auf deinem Fernseher steuern kannst“. Das behauptete einer der Werbeslogans vom Original-Arcadeflyer 1993. Doch ich möchte anmerken: Das war gelogen! Denn NBA Jam war besser als echter Basketball und damit besser als die Realität! So wie Rocky geiler als jeder echte Boxkampf war - kein Taktieren, keine Deckung, sondern 12 oder gar 15 Runden volles Mett gegen die Rübe. Analog dazu gab es in NBA Jam keine Schlussviertel voller Freiwürfe, kein langes Passen um die Dreierlinien herum - stattdessen tonnenweise überzogene Dunks, rasante Fastbreaks oder Monsterblocks. Passend zur vielleicht prickelndsten Phase der nordamerikanischen Profi-Liga mit ihrem Weltstar Michael Jordan, dem Hype um das US-Dream-Team, den Pippens, Malones, Millers, Ewings, Shaqs, Stocktons, Barkleys, Robinsons oder Olajuwons programmierte Midway ein Arcade-Sportspiel, das nicht nur unwiderstehlich aussah, sondern auch spielerisch innovative Wege beschritt. Auch in Deutschland erreichte der Ballsport in dieser Zeit ungeahnte Beliebtheitssphären: Via DSF wurden die Spiele oder wenigstens die Zusammenfassungen in heimische Jugendzimmer gesendet und Detlef Schrempf, der beste deutsche Basketballspieler seiner Generation, wurde 1993 zum ersten Mal zum All-Star-Game eingeladen; und zwar zu jenem Ost-West-Wettstreit, bei dem auch dieses Videospiel enthüllt wurde.
Basketball 2.0
Die allermeisten von uns kennen das Kultspiel aber vermutlich vom Mega Drive oder dem Super Nintendo - und kamen allein schon wegen dieses Titels nicht um ein Multitap herum. Denn NBA Jam war im Mehrspieler-Modus tatsächlich unfassbar spaßig. Es ging stets Zwei-gegen-Zwei, Fouls gab es nicht und im Aus landete der Ball auch nur selten. Stattdessen: mutige Dreier, pfiffige Steals (Stockton!), herrlich absurde Dunks. Die simple Steuerung (zwei Buttons für Wurf/Sprung und Pass/Steal) in Kombination mit vereinfachten Regeln (Shot-Clock und Goaltending ja, Freiwürfe und 3-Sekunden-Regel nein) gestaltete den Einstieg denkbar einfach. Zudem galt: Mein Spieler bleibt mein Spieler! Wer allein spielte, forderte vom CPU-Kollegen auf Knopfdruck den Ball, wechselte aber nicht die Sportler. Und zu zweit gab es ohnehin keine Diskussion bei nur zwei Athleten. Doch halt, das stimmt nicht ganz - bei der Teamwahl ging es hoch her: Wer darf Pippen nehmen, wer muss Grant wählen? Wer steuert Robinson, wer den anderen…?
Verwirrte Spieler
Apropos Digitalisierung: Damit war Ende der 1980er, Anfang der 1990er nicht die zunehmende Vernetzung im privaten, öffentlichen und wirtschaftlichen Raum gemeint, sondern die Übertragung von echten Fotos ins Videospiel. Bei Mortal Kombat z.B. wurden die Schläge, Tritte und Sprünge von Schauspielern und Kampfsportlern ins 2D-Spiel übertragen - und das schwebte auch dem Team von NBA Jam vor. Schließlich musste auch die National Basketball Association davon überzeugt werden, ihre kostbare Lizenz erstmals an ein Arcade-Spiel zu vergeben: Dazu drehte Midway eigens einen braven Imagefilm, der die Spielhalle als Ort von Familienausflügen und nicht als rauchige Spelunke inszenierte - aber natürlich half dabei auch die damals sehr fortschrittliche, realitätsnahe Optik. Die Macher engagierten Streetball-Spieler aus Chicago, mieteten für mehrere Tage eine große Halle, pinselten die Wände einfarbig an und filmten die Läufe, Dribblings, Sprünge und Dunks der Athleten. Danach wurde die besten Frames ausgewählt, jeweils einzeln aufwändig freigestellt und als 2D-Bitmapgrafik fertig fürs Spiel gemacht.
Fehlten nur noch die Köpfe der echten Basketball-Stars. Die Lösung: Den so fabrizierten Animationssprites wurde die Köpfe abgeschnitten. Dann suchte das Team zu allen im Spiel enthaltenen Spielern jeweils 13 Kopfpositionen (frontal, von schräg vorn, seitlich, etc.) - aus TV-Übertragungen oder von Fotos in Basketball-Magazinen - und klebte sie quasi auf die kopflosen Einheitskörper. Fertig waren Clyde Drexler, Alonzo Mourning, Joe Dumars, Vlade Divac & Co.
Kopflos?
Verrückte Salto-Dunks, ein sich überschlagender Ansager (Boomshakalaka!) und mit etwas Glück ein in tausend Glasscherben zerberstender Korb - das waren die Zutaten für durchzockte Mehrspieler-Nächte vor der Konsole Mitte der 1990er. Ein Gummiband-Effekt im Sportspiel dürfte dazu ebenfalls seinen Teil beigetragen haben: Aus der Sorge, dass Spieler, die zu hoch führen oder zu weit zurückliegen, in der Spielhalle keine 25 Cent nachwerfen, führte das Team um Turmell eine CPU-Hilfe ein: Die sorgte z.B. dafür, dass Drei-Punkte-Würfe eher ihr Ziel verfehlten, wenn man schon in Führung lag. Außerdem wurde aus diesem Bedürfnis heraus das „On Fire“-System geboren: Wer drei Körbe mit demselben Spieler in Folge machte, ohne dass sein Kollege oder der Gegner einnetzten, der wurde nicht nur mit einem euphorischen „He’s on fire“ beglückt, sondern drehte buchstäblich auf: Er konnte Blocks machen, die normal Goaltending wären, traf selbst von außen viel sicherer und hatte eine niemals kleiner werdende Turboleiste. Dieses Feature trug nicht nur dazu bei, große Rückstände aufzuholen, sondern änderte für zumindest wenige Sekunden den Spielablauf komplett: Wer einen feindlichen On-Fire-Spieler die Laune abkühlen wollte, der strebte nicht nach Dreierwurf oder Superdunk, sondern war schon mit einem stinklangweiligen Pass-Spielzug samt Korbleger zufrieden!
Wo ist Michael?
Wer das trotzdem konnte? Michael Jordan natürlich. Über die Connection Gary Payton, der zum Arcade-Release nicht berücksichtigt wurde, aber beim Entwickler um eine eigene Version mit sich als Spieler bat, kam schließlich auch Jordan zu seiner eigenen NBA-Jam-Fassung - natürlich inklusive der einzig wahren Nummer 23. Shaquille O’Neil soll laut Mark Turmell übrigens sogar zwei NBA-Jam-Automaten besessen haben - einer stand zuhause, der andere reiste stets im Flieger seines damaligen NBA-Teams mit. Ich schließe meine Zeitreise zum besten NBA-Videospiel überhaupt und einem meiner liebsten Mehrspieler-Titel mit einer letzten, charmanten Anekdote von Turmell: Weil der aus Detroit stammende, aber in Chicago arbeitende Entwicklungsleiter mit der Dominanz der Chicago Bulls nicht sonderlich glücklich war, versteckte er im Code eine kleine persönliche Racheaktion. Spielt man mit den Bulls gegen die Detroit Pistons und nimmt in den letzten Sekunden der Partie einen entscheidenden Wurf, so geht dieser automatisch daneben!