Metal Slug: Super Vehicle-001 - Special, Arcade-Action, Wii, XboxOne, PlayStation, Spielkultur, NeoGeo, Switch, PlayStation4

Metal Slug: Super Vehicle-001
21.01.2021, Matthias Schmid

Special: Metal Slug: Super Vehicle-001

Das schönste Spiel der Welt

1996 erschien der schrullige 2D-Kriegsshooter Metal Slug für die Luxus-Konsole Neo Geo. Die bildschöne Ballerorgie bot in spielerischer Hinsicht wenig Neues, doch wurde schnell zur Kultmarke - mit vielen Umsetzungen, Nachfolgern und einer treuen Fangemeinde. In unserem PUR-exklusiven Rückblick beleuchten wir einen außergewöhnlichen Klassiker.

Um die Entstehung von Metal Slug einzuordnen und zu verstehen, wie dessen ikonischer Pixel-Look zustande kam, muss man weit vor dem Erscheinungsjahr 1996 einsteigen: Zwischen 1982 und 1986 programmierte und veröffentlichte das japanische Studio Irem mehrere einflussreiche Arcadespiele - Moon Patrol, Kung-Fu Master und natürlich R-Type. In der Folgezeit entwickelte sich das Team zum Experten für rassige Arcade-Action mit außergewöhnlich starker Bitmapgrafik - die Titel wurden, vor allem im Westen, aber nicht zwingend zu namhaften Verkaufsschlagern. Sahen Ninja Spirit (1988) und Hammerin’ Harry (1990) schon klasse aus für die damalige Zeit, festigte sich der Stil einer bestimmten Entwicklergruppe innerhalb von Irem spätestens mit dem Shoot’em-Up Armed Police Unit Gallop (1991), dem Sidescroll-Klopper Undercover Cops (1992) und natürlich der Unterwasser-Ballerei In the Hunt (1993, später für PSone und Saturn umgesetzt). Wer diese Titel spielt, erkennt in den Farbpaletten, den schmutzig-realistischen Pixelobjekten und der Vorliebe für Kaskaden von Explosionen eine eindeutige Handschrift, die schließlich in GunForce II, Irems letztem Arcade-Spiel, kulminiert: Der aufwändig gepixelte Run-and-Gun-Titel fährt berstendes Metall, in Feuer und Rauch verpuffende Feindscharen und einen fliegenden Riesenterminator mit Minigun auf - und wirkt aus heutiger Sicht wie ein allzu deutlicher Vorgriff auf Metal Slug.

Pixelmagier

Tolles Buch: Prächtige Pixel, Artworks und etliche Hintergrund-Infos zur Entwicklung auf dickem Papier findet ihr im Wälzer "Metal Slug: The Ultimate History".
Nach dem Release von GunForce II wird Irems Arcade-Entwicklungsabteilung aufgelöst - mehrere Mitarbeiter aber finden sich unter dem Firmennamen Nazca Corporation wieder zusammen. Mehrere Mitarbeiter? Die damals in Japan nicht unübliche Verwendung von Pseudonymen in den Credits machte nicht nur Konkurrenzfirmen das Abwerben schwer, sondern torpediert auch die Arbeit von Spiele-Archäologen - oft war und ist nur den japanischen Codern und Grafikern selbst bekannt, wer tatsächlich an welchem Spiel arbeitete. Nazca programmierte für den Irem-Konkurrenten SNK und dessen potente Neo-Geo-Hardware nicht nur ein ansehnliches Golfspiel (Neo Turf Masters) sondern auch ein 2D-Ballerspiel für die Ewigkeit: Metal Slug.

Wer sich ausführlich mit dessen interner Entstehungsgeschichte befassen möchte und ein Faible für traumhafte Pixel auf hochwertigem Papier hat, dem lege ich Bitmap Books’ Wälzer „Metal Slug: The Ultimate History“ ans Herz. Darin finden sich natürlich auch die zahlreichen Nachfolger und Handheld-Ableger wieder, doch auch die Arbeiten am Erstling werden beleuchtet. Inklusive Anekdoten zur generell zu knapp kalkulierten Entwicklungszeit, Schlafsack-Crunchphasen im Büro und der Erkenntnis, dass es eigentlich gar nicht geplant war, dass die Soldaten den kultigen Panzer verlassen - eigentlich war Metal Slug: Super Vehicle-001 nämlich als komplettes Panzer-Actionspiel gedacht.

Lesestoff

 

Schon im ersten Level geht es hoch her - ein Taucher schießt aus dem Wasser hervor, mit den gelben Kisten oben können wir den halben Bildschirm hochjagen.
Vielleicht kennt ihr das gute Gefühl, man könnte es vielleicht sogar Stolz nennen, das man damals (also in der Zeit vor allgegenwärtiger Internet-Berichterstattung) hatte, wenn man ein Medienprodukt - sei es Comic, Film oder Buch - ganz allein von sich aus entdeckt, lieben gelernt und erst später erfahren hatte, dass das Teil ein echter Geheimtipp war oder doch noch zum Verkaufsschlager wurde. Mir ging das mit Metal Slug so. Ich mochte Videospiele seit meiner Kindheit immer schon gern, nannte Atari VCS, C64, Game Boy und NES mein Eigen - doch Anfang bis Mitte der 1990er hatte ich, Baujahr 1981, weder die Kohle noch den spielerischen Horizont, mir Gedanken über PC-Engine- und Neo-Geo-Importe zu machen. Den Metal-Slug-Automat entdeckte ich in der etwas abgeranzten Mini-Arcade des Campingplatzes nahe Venedig, wo meine Familie alljährlich Urlaub machte. Mein damaliger Zockerkumpel und ich pilgerten jeden Tag zur Sala Giochi und warfen unsere 500-Lire-Münzen in Final Fight, Golden Axe oder eben Metal Slug. Das brachial über den Bildschirm rauschende Zweispieler-Feuerwerk aus glühendem Metall, berstendem Holz, explodierenden Panzern und zerplatzenden Körpern machte großen Eindruck auf mich!

Ein paar Jahre später entfachte Segas Dreamcast meine Konsolenliebe, ich hatte die PSone- und Saturn-Ära großteils mit PC-Shootern überbrückt, von neuem. Und da fiel mir der Name Metal Slug wieder vor die Füße: Zuerst als Gerücht einer Dreamcast-Umsetzung, dann endlich real als Portierungen für zunächst Sony-Konsolen. Metal Slug X, die aufgemotzte Version des zweiten Serienteils, erschien in PAL-Gefilden extrem spät für die erste PlayStation und versüßte mir eine dröge Reha-Phase nach einer Knie-OP, Metal Slug 3 aus dem Jahre 2000 wanderte 2003 als Import-Disc in meine gechippte PS2 - bis heute halte ich es für das beste Run-and-Gun-Spiel, das je gemacht wurde. Seit dieser Zeit bin ich süchtig nach Metal Slug: Ich holte mir die Episoden 4 bis 6 als Import, plus den überflüssigen 3D-Ableger für PS2, dann das hübsche aber durchwachsene Advance für den GBA, die Teile 7 (DS) und XX (PSP), die grobpixeligen Neo-Geo-Pocket-Episoden, die Anthology auf mehreren Systemen, Metal Slug 3 nochmal für die Xbox in PAL und als Download auf PS4 und Xbox One. Und auch den Erstling auf Switch, als Teil des Neo Geo Mini oder, ganz neu, verbaut im Wohnzimmer-Automat Neo Geo MVS X.

Ohne Worte: Shotgun-Treffer.
Doch was macht das Spielerlebnis Metal Slug aus - abseits von pixeligen Explosionen und dicken Panzern? Nun, erstmal sind die Explosionen und die Panzer tatsächlich ein nicht zu unterschätzendes Anziehungsmerkmal. Das Kaputtschießen von Fahrzeugen, Bossen oder ganzen Häuserfassaden wird hier so detailverliebt in Szene gesetzt wie in kaum einem anderen 2D-Spiel. Holzsplitter fliegen durch die Luft, Feuer und Rauch entstehen und verschwinden wunderschön, Panzern fliegt der Turm weg, Autos werden knirschend überrollt. Das namensgebende Super Vehicle-001, ein grauer Panzer, der immer mal wieder in den Levels herumsteht und bemannt werden möchte, ist ebenfalls ein großer Freudenquell: Das Gefährt kann sich ducken und feindliche Geschosse überhüpfen, das Bord-MG glänzt mit toller Schussfrequenz und die Kanone ballert dicke Löcher in feindliches Metall. Im Panzer ist man als Spieler kurrzeitig sicher - ein Segen in der Arcade, wo ständig der Münznachwurf drohnt - und gibt erst nach drei Treffern klein bei.

Soldaten, Knarren & Panzer

Bosskampf mit zwei Gegnern: Die Panzer in Metal Slug sehen hinreißend aus.
Ist man als Soldat (Marco oder Tarma) zu Fuß unterwegs, fühlt sich jeder Contra-Kenner sofort zuhause: Man rennt und hüpft durch horizontal scrollende 2D-Stages, liest Extra-Waffen auf und bringt am Levelende einen riesigen Boss zur Strecke. Metal-Slug-Soldaten ballern eigentlich nur nach rechts, oben, links oder unten - nur mit dem MG fliegen Salven auch mal schräg durch die Luft. Die reichlich verteilten Knarren-Power-Ups machen einen großen Reiz der Actionsause aus, auch wenn ausgefallene Varianten wie explodierende Metallflitzer, der Laser oder Hüpf-Bomben erst in späteren Teilen dazu kommen, sind die Flinten schon in Teil 1 eine Wucht: Der Raketenwerfer ist formidabel gegen gepanzerte Boote und Geschütztürme, die Shotgun verwandelt Soldaten in Blutwolken und kriegt sogar Panzer rasch klein, der Flammenwerfer grillt feindliche Fallschirmspringer oder Dschungelkämpfer schon in der Luft bzw. in den Büschen.

Hört sich alles ziemlich martialisch an, oder? Ist es einerseits auch - und andererseits irgendwie nicht. Soll heißen: Ja, Feinde werden von Schüssen blutig getötet und von Panzergranaten sogar in Stück gerissen, dazu kommen in der Tendenz realistische Schauplätze wie ein Dschungel, ein Flugzeugträger oder eine zerstörte Stadt. Andererseits besitzen alle Hintergründe, Objekte und vor allem die Figuren einen deutlichen Comic-Touch, eine Art Knautschigkeit, was die Gewalt letzlich weniger grob erscheinen lässt. Dazu gesellt sich eine erstaunliche Vielzahl an komischen Figuren und drolligen Animationen: Hier entdeckt man eine alte, schimpfende Frau, dort eine Katze, die das Weite sucht. Feuert man auf ein hölzernes Klohaus, kommt hinter der zerberstenden Fassade ein erschrockener Soldat zum Vorschein, der sich selbst herunterspült. An anderer Stelle bringt man feindliche Schiffe zum Sinken: Zuerst sonnt sich auf dem Vorderdeck ein Hauptmann, doch ist das Boot am Untergehen fängt ein Soldat mit dem Pumpen an, während seine Kameraden mit zugehaltener Nase ins Wasser springen.

Schlachtplatte?

Cola trinken auf dem Sonnendeck? Gleich versenken wir das Schiff des Faulenzers.
Kurzum: Metal Slug kleidet ein sehr ernstes (aber im Videospiel nur selten ernst genommenes) Thema in ein so schrullig und stimmungsvoll animiertes Pixelgewand, dass man unweigerlich grinsen muss. Dazu passen auch überzogene Feindfiguren wie Allen O’Neill, der MG-Mann mit freiem Oberkörper aus Level 3, oder General Morden, dessen Design an eine Mischung aus Saddam Hussein, Hitler und Stalin erinnert. Ein Antikriegsspiel wird Metal Slug dadurch freilich nicht, auch wenn im Abspann zu melancholischer Musik ein Papierflieger über die ausgebombten Schlachtfelder gleitet und nach den Credits der Sprung „Peace Forever“ erscheint.

Erster Endgegner: Die gigantische Maschine bekommt man mit Handgranaten im Nu klein, und sogar im Panzer duckt man sich unter dem Laser weg.
Metal Slug steuert sich, egal ob mit Arcade-Stick oder Controller, stets hervorragend, hat knackige Soundeffekte, einen ins Ohr gehenden Soundtrack und ein paar denkwürdige Samples („Heavy Machinegun!“). Und es packt reichlich optische Abwechslung in nur gut 30 Minuten Spielzeit - ab und zu geht es sogar vertikal in die Höhe (Schneelevel) oder in Rambo-Manier hinter ein stationäres Geschütz. Von ein paar sehr harten Passagen im Schlusslevel abgesehen, ist Metal Slug aber auch - und das verwundert angesichts der chaotischen Entwicklungsphase - eine wohlkomponierte Geschicklichkeitsprüfung, die von Fairness und vorbildlicher Lernkurve geprägt ist. Mit einem Zockerkumpel, der wie ich die Serie gut kennt, versuchte ich mich einst an einer Ein-Leben-Challenge im ersten Metal Slug: Jeder sollte im Solo-Modus schauen, wie weit er mit nur einem Bildschirm-Leben (nicht Credit!) kommt. Und tatsächlich gelangte ich mit voller Konzentration bis weit ins dritte Level (von sechs), mein Kollege sogar bis ins fünfte. Metal Slug mag seinen Kultstatus zwar vor allem seiner spektakulären Optik verdanken, ist aber viel mehr als ein Actionhappen zwischendurch.

Ein sehr gutes Spiel

Solltet ihr neugierig geworden sein und kein Metal Slug besitzen oder die olle Anthology mit einem Haufen PSP- oder Wii-Spielen entsorgt haben, grämt euch nicht: Für einen niedrigen fünfstelligen Dollar-Betrag könnte das originale US-Modul bald euch gehören. Wer es günstiger will, sogar speichern, Filter einstellen oder zwischen der japanischen und englischen Version wechseln möchte, der wird auf PS4, Xbox One oder Switch fündig. Mit 6,99 Euro seid ihr dabei und beamt das top emulierte ACA NeoGeo Metal Slug auf eure moderne Konsole; PC-Besitzer sind via GOG oder Steam mit fünf bis acht Euro dabei.

 
Kommentare
4P|Matthias

Endlich bin ich zum Lesen gekommen. Hatte den Tab mit dem Artikel jetzt seit VÖ offen und freue mich riesig wie toll das wieder geschrieben ist. Mein Kompliment. Matthias steckt hier so viel Liebe rein, dass es einfach eine Wonne ist das zu genießen. Sehr gerne hole ich mir das jetzt für die Xbox. Freue mich schon richtig drauf, genauso wie auf den nächsten von dir geschriebenen Klassiker. Hoffentlich schon nächsten Monat.
Ich bedanke mich ganz ganz artig. Und freue mich. Und der nächste kommt sicher bald - ich hab große Freude mit diesen Artikeln und bin natürlich happy, wenn das rüberkommt.

vor 3 Jahren
JudgeMeByMyJumper

Endlich bin ich zum Lesen gekommen. Hatte den Tab mit dem Artikel jetzt seit VÖ offen und freue mich riesig wie toll das wieder geschrieben ist. Mein Kompliment. Matthias steckt hier so viel Liebe rein, dass es einfach eine Wonne ist das zu genießen. Sehr gerne hole ich mir das jetzt für die Xbox. Freue mich schon richtig drauf, genauso wie auf den nächsten von dir geschriebenen Klassiker. Hoffentlich schon nächsten Monat.

vor 3 Jahren
Assar Bubbla

Tolle Erinnerungen an die Zeiten in Italien in den Spielhallen. Danke für die die kleine Aufarbeitung der schönen Spiele. Super Vehicle 001!!!

vor 3 Jahren
Auron_81

Ist es also ratsam, sich die Einzeltitel anstelle der Anthology runterzuladen? Wäre für einen kleinen Tipp dankbar.
Ja, heutzutage würde ich auf für die Einzel-Episoden plädieren. Da ist die Emulation einfach top und es sieht halt wirklich pixelgenau aus. Und mit den den Teilen 1, X und 3 ist man auch erstmal gut versorgt als Nicht-Hardcore-Fan
Ok prima, das hilft mir weiter!

vor 3 Jahren
4P|Matthias

Ist es also ratsam, sich die Einzeltitel anstelle der Anthology runterzuladen? Wäre für einen kleinen Tipp dankbar.
Ja, heutzutage würde ich auf für die Einzel-Episoden plädieren. Da ist die Emulation einfach top und es sieht halt wirklich pixelgenau aus. Und mit den den Teilen 1, X und 3 ist man auch erstmal gut versorgt als Nicht-Hardcore-Fan

vor 3 Jahren