Tunic - Special, Action-Adventure, PlayStation4, PlayStation5, PC, Switch, XboxSeriesX, XboxOne
Andrew Shouldice (oben mittig) ist der Mann, ohne den es dieses Spiel sicher nicht gegeben hätte: Sieben Jahre lang hat der schüchterne sowie smarte Kanadier seine Vision eines modernen Abenteuer-Spiels verfolgt – mit beeindruckendem Ergebnis. Lange Zeit an seiner Seite war Audio Director Kevin Regamey (oben rechts) von der externen Firma Power Up Audio. Wir haben mit den beiden über den Entstehungsprozess, das interaktive Handbuch, die vielen Geheimnisse und das Sounddesign von Tunic gesprochen
Andrew Shouldice: Und dabei hatte ich gedacht, wir hätten das wirklich gut verborgen! Aber im Ernst: Natürlich werden wir in jedem Interview danach gefragt, und die Verbindung gibt es ja auch. Zunächst einmal sind da natürlich ein paar oberflächliche und ästhetische Parallelen, aber die Essenz, die ich aus A Link to the Past oder auch dem allerersten Zelda mitgenommen habe, ist das reine Gefühl der Erkundung. Man wird in eine fremde Welt geworfen und dazu ermutigt, diese zu erforschen – ja, man wird geradezu genötigt. Und dann zieht man eben los und erlebt sein eigenes Abenteuer, an einem Ort den man zunächst nicht wirklich versteht.
4Players: Wie oft wurdet ihr schon nach Zelda als Inspirationsquelle gefragt – und seid ihr überhaupt Fans der Serie?
Kevin Regamey: Endlich ist es passiert, du bist der Erste! (lacht)
Andrew Shouldice: Die Kernaussage ist: Es hat sehr lange gedauert. Vom Start bis zur Veröffentlichung vergingen sieben Jahre. Und obwohl ich quasi allein damit begonnen habe, bemerkte ich recht schnell, dass ich überhaupt nicht wusste, wie man z. B. Soundeffekte oder Musik ins Spiel bringt. Deshalb habe ich mir Hilfe bei Kevin und seiner Firma Power Up Audio geholt. Auch der Publisher Finji hat mir an vielen Stellen unter die Arme gegriffen. Es war also beileibe keine Einzelleistung. Sieben Jahre an diesem einen Projekt zu arbeiten, dessen Umrisse zu schärfen, während man es immer besser kennenlernt – puh, ich war durchaus von der Größe überfordert. Kurz vor der Fertigstellung habe ich für das Testerteam zusammengeschrieben, was alles im Spiel steckt, welche Geheimnisse es gibt. Und da habe ich wirklich bemerkt: Wow, da steckt mittlerweile echt viel drin.
4Players: Andrew, wir haben dein Spiel durchgezockt. Und es ist nicht nur richtig gut, sondern auch ganz schön umfangreich. Wie zum Henker hast du das, großteils in Eigenregie, auf die Beine gestellt?
4Players: Kevin, wie können wir uns den Prozess vorstellen, wenn man zu einem Projekt wie Tunic hinzukommt und die Sounds erschaffen soll. Wie macht sich mit dem Spiel und dessen Welt vertraut, welche Anhaltspunkte gibt es da, wie funktioniert so etwas?
Kevin Regamey: Das Aussehen und das optische Design der Spielwelt und der darin befindlichen Objekten gibt die Ausrichtung von Musik und Soundeffekten vor. Die Welt von Tunic sieht sehr soft und rund aus, sie ist sanft und anschmiegsam, bunt und einladend. Das nehmen wir Leitmotiv für die Audio-Untermalung, so dass diese dann eben auch weich, sanft und irgendwie elastisch wird. Es ist nicht ganz einfach, über Klang zu sprechen und zu schreiben, also nehmen wir ein konkretes Beispiel: Im Spiel fällt ein Felsbrocken herunter. Der knallt auf den Boden und Geröll verteilt sich – so etwas kann sich hyperrealistisch anhören, nach knarzendem, grobkörnigem Schotter, der über eine harte Oberfläche hüpft oder daran reibt. Aber zu Tunic passt das nicht: Da hat man eher ein weiches, abgerundet "DUFF", also eher eine Annäherung daran wie es klingt, wenn ein Fels herabstürzt. Das lässt sich ganz gut damit vergleichen wie ein Baum im Spiel aussieht – da erkennt man auch keine unterschiedlichen Äste, es ist vielmehr die Low-Poly-Annäherung an einen echten Baum. Und dasselbe gilt für die Soundeffekte.
4Players: Wer Tunic komplett durchspielt, alle Geheimnisse erforscht, die ganzen Zusatzrätsel löst und Easter Eggs aufspürt, der kommt an vielen Stellen richtig ins Schwitzen – so liebevoll, pfiffig und vielschichtig ist das. Hast du dir den ganzen Kram allein ausgedacht, Andrew?
Andrew Shouldice: Vom Start des Projekts weg wollte ich das Gefühl im Spieler hervorrufen, dass es verschiedene Ebenen gibt, auf denen man das Spiel erforschen kann. Es ging mir darum, dass man glaubt, die Welt ein Stück weit zu kennen, dann aber etwas neues entdeckt – und diese Erkenntnis dann auf viele andere Dinge abstrahlt und in ein neues Licht rückt. Dazu gehören zum Beispiel die geheimnisvolle Sprache, die man am Anfang zwar wahrnimmt, aber noch nicht versteht. Oder das Handbuch, das zunächst wie ein hübsches Collectible wirkt – doch bald erkennt der Spieler, dass darin ganz wesentliche Dinge für das Vorankommen verborgen sind. Und später dann nochmal, dass es im Buch eine Metaebene und mehrschichtige Rätsel gibt.
4Players: Über das Handbuch wollten wir ohnehin sprechen. Wir haben es im Test als Sensation bezeichnet – in zehn Jahren könnten sich Spieler genau daran erinnern, wenn sie an Tunic denken. Hattest du das Handbuch vom Start weg so ersonnen oder sind da im Verlauf der Entwicklung einfach viele Dinge hinzugekommen, um dann am Ende dieses stimmige Ganze zu ergeben?
Kevin Regamey: Eine ganze Weile bestand das Handbuch vor allem aus Text und grauen Platzhalterbildern. "Hier steht dann, wo der Spieler Gegenstand X bekommt" oder "Hier findet man heraus, dass…" Aber ist schon erstaunlich, was letztlich daraus wurde. Wir arbeiten als Third-Party-Entwickler jahrelang an dem Spiel, aber Andrew hat uns natürlich nicht alles verraten. Ich hatte also auch z. B. diesen genialen Moment, wo ich herausfand, was es mit dem goldenen Pfad auf sich hat – und das obwohl ich an dem Ding mitgearbeitet habe. Und tatsächlich war es interessant zu sehen, wie sich das Handbuch letztlich zu einem Ganzen zusammenfügte, als dann eben die fertigen Grafiken des Künstlers dazukamen.
Andrew Shouldice: Das ist eine sehr gute Frage. Puh, 2008 – das ist ja vor Fez, ungefähr als Braid herauskam. Also, viele Spieler sehen ja den Aufstieg der Dark Souls-Reihe als eine Art Wendepunkt in der Gaming-Community, ab dem sich viele Zocker daran erinnerten, dass sie gerne herausgefordert werden. Und dass sie es mögen, wenn man ihnen nicht sagen, was zu tun ist. Aber ich glaube eigentlich nicht, dass das ein neues Gefühl ist. Jedoch schon eines, das von einem gewissen Trend befeuert wurde – nämlich dem, den Spieler an der Hand zu nehmen und ihn einen festen Pfad entlangzuführen. Von daher wäre Tunic vermutlich ein sehr seltsames Spiel für die Zeit um 2008 herum gewesen, aber eines, das wahrscheinlich dennoch sein Publikum gefunden hätte.
4Players: Meint ihr, dass ein Projekt wie Tunic schon im Jahr 2005 oder 2008 ein Erfolg hätte werden können. Ohne den Retro-Indie-Trend und ohne so viele Spieler, die sich nostalgische Spielerfahrungen wünschen…
Andrew Shouldice: Enorm wichtig, um es auf den Punkt zu bringen! Ich komme selbst aus einer kleinen Stadt, und Tunic ist ein kleines Spiel, in dem man einen kleinen Fuchs spielt. Und dann hast du die Gelegenheit, damit auf der E3-Bühne aufzutreten – das war schlicht überwältigend. Dass jetzt über 20 Millionen Game-Pass-Abonnenten Zugriff auf dein Spiel haben, das ist unglaublich. Und es gibt auch eine inhaltliche Verbindung: Stell dir vor, es sind die 90er und du gehst in eine Videothek, die Videospiele hat. Und deine Eltern sagen dir, dass du dir genau ein Spiel für das Wochenende aussuchen darfst. Dann lässt du deinen Blick über die Cover schweifen und schaust, was davon besonders cool aussieht. Und der Xbox Game Pass funktioniert ja irgendwie ähnlich – du siehst diese Vielzahl von Spielen vor dir. Nur dass sie quasi alle gratis sind und du sofort loslegen kannst. Also was hält dich davon ab? Und das fängt das Gefühl von damals gut ein, dass du es dir holst und einfach mal startest, ohne dass du wirklich weißt, was für eine Welt dich erwartet.
4Players: Wie wichtig war für Tunic die Einbindung in den Xbox Game Pass und die große Microsoft-Bühne vor ein paar Jahren auf der E3?
4Players: Tunic ist fertig, die Reviews sind raus, Spieler-Feedback ist da. Wie wichtig ist für euch als Spielemacher da der oft zitierte Metacritic-Schnitt. Und welche Note würdet ihr eurem eigenen Spiel geben?
4Players: Man passieren viel schlimme Geschichten rund um das Thema Crunch in der Spielebranche. So manche Indie-Entwickler schätzen zwar ihre kreative Freiheit, müssen aber teils noch mehr Extraschichten fahren als beim großen Studio, weil nun alles von ihnen abhängt. Wie lief das bei Tunic?
Andrew Shouldice: Überraschend entspannt. Tunic war mein erstes großes Projekt, das veröffentlicht wurde – ich habe also wenig, womit ich es vergleichen kann. Aber alle Beteiligten, wie eben z. B. Microsoft, waren entgegenkommend und hilfreich. Mein Partner zuhause hat mich ebenfalls sehr unterstützt und es gab nie im gesamten Verlauf nie jemanden, der gesagt hat: „Hey Andy, zum Ende vom zweiten Quartal muss das Ding fertig sein – die Uhr tickt.“ So ist das echt nicht gelaufen und ich denke und hoffe, dass es am Vertrauen lag, das wir in uns gegenseitig hatten. Natürlich gab es lange Arbeitstage, aber ich glaube, dass keine Beziehung oder Familie wegen Tunic in die Brüche ging – und das macht mich froh.
Kevin Regamey: Für uns als Audio-Team war natürlich das letzte Jahr das stressigste. Ihr könnt euch ja vorstellen: Bei einem Haus kann man auch nicht die Wände streichen, bevor sie hochgezogen wurden – und das ist mit den Sounds bei einem Videospiel ähnlich. Weil wir warten müssen, bis eine Gegend im Spiel designt wurde, bis die Feinde fertig sind, bis alle Animationen stehen. Wir waren also relativ lang im Experimentier-Modus und wussten dann irgendwann: Okay, jetzt haben wir noch ein Jahr – jetzt müssen wir abliefern. Aber dafür hatten wir dann eben auch einen konkreten Plan und es war auch eine spannende Phase, weil wir eben wussten, dass wir jetzt von der Theorie zum Umsetzen kommen und so langsam alle Punkte in der Checkliste abhaken müssen.
Andrew Shouldice: Der Fuchs ist eine Art Chiffre für den Spieler in der Welt. Unser Fuchs hat eigentlich keine eigene Geschichte, vielmehr ist er dafür da, dass wir über ihn mit der Spielwelt in Kontakt treten können. Daher ergab die Entscheidung für eine Art antropomorphe Spielfigur einfach Sinn. Für einen Charakter, der dir als Spieler ähnlich sieht, reichten meine 3D-Modeling-Skills am Anfang auch einfach nicht aus. Da lag ein Fuchs irgendwie auf der Hand – die gelten als gewitzt oder schelmisch, sind derzeit recht beliebt und – auch wichtig – sie haben eine Art Pfeilform, so dass man beim Navigieren und Kämpfen sehr gut sieht, in welche Richtung die eigene Figur blickt. Und das hat alles ganz gut funktioniert.
4Players: Letzte Frage: Warum ein Fuchs, und warum einer ohne Stimme?
Kevin Regamey: Ich hatte mit Andrew wegen der Stimme schon nach dem E3-Trailer 2018 diskutiert: Der Fuchs erwacht und gähnt lautstark. Aber eigentlich hatten wir schon beschlossen, dass er keine Stimme hat – also warum zur Hölle gähnt das Vieh im Trailer? Aber gut, letztlich blieb es dabei – der Gähn-Sound am Anfang ist der einzige Stimm-Effekt im ganzen Spiel. Im übrigen meine Stimme, ein paar Tonlagen hochgedreht. Aber zum Thema: Wie Andrew sagte, wollten wir, dass der Spieler schon sich selbst im Spiel sieht und nicht einen bestimmten Fuchs-Charakter. Außerdem passt es auch zum Thema des Spiels, dass man sich fremd in der Welt fühlt, nicht auf die Bühne tritt und eine kraftvolle Stimme erschallen lässt. Der Fuchs macht auch sonst keine Geräusche – man kann z. B. nicht seine Rüstung oder Waffen klappern hören, einzig seine Schritte sind zu vernehmen.