Der G-Man in Dortmund
Eine Kolumne von Jörg Luibl, 21.02.2005

Pssst! Kommt mal ein Stück näher. Noch näher. Habt ihr es bemerkt? In den Hinterhöfen der Republik gibt es derzeit seltsame Allianzen. Überall geht`s bergab. Ganz steil. Wildfremde Menschen treffen sich in dunklen Kneipen, munkeln über die nahende Apokalypse. Da haben introvertierte Rollenspieler, konservative Grüne und fanatische Borussenfans plötzlich etwas gemeinsam: Sie zittern. Sie bibbern. Sie schlottern.

Die Angst geht um. Und was tun sie dagegen? Sie igeln sich ein und spielen World of WarCraft. Stundenlang. Ohne Gnade. Narren! Die Zukunft sieht verdammt düster aus und der deutsche Michel levelt sich in die Lethargie. Immerhin sterben gerade Giganten: Die Fallout-Macher, der Steinwurf-Minister, der Champions-League-Sieger aus dem Pott! Was wird man zuerst bei eBay ersteigern können? Die Büromöbel von Troika Games, die Anzüge von Joschka Fischer oder die Sitze aus dem Westfalenstadion?

Was? Das ist zynischer Quatsch? Unsinn! Das sind alles kleine Vorboten des Untergangs. Und wenn man sie noch etwas gären lässt, bis man sie deuten kann, dann erkennt man sie alle. Wen? Na die Anzeichen! Die des nahenden Unheils. George Orwell hatte Recht: Big Brother is watching us. Wir müssen um unsere Freiheit kämpfen! Wie bitte? Verfolgungswahn? Schaut euch doch um. Ja, hinter euch. Sie sind überall.

Und da: Schon wieder ein Zeichen - habt ihr nicht auch das arme Ubisoft-Häschen gesehen? Wie viele Haken kann es noch schlagen? Es ist gerade über euren Schreibtisch gehoppelt, die Köttel duften noch frisch, der Angstschweiß hängt noch wie ein zartes Wölkchen in der Luft. Kennt ihr Ragnarök? Es reißt die Fessel, es rennt der EA-Wolf! Also tut nicht so, als würde das Ende nicht nahen. Und soll ich euch was sagen? Gestern habe ich etwas Schreckliches erlebt.

Ich war in Westfalen. Ich wollte in mein Stadion, saß wie immer in der U-Bahn. Zwei Männer in abgewetzten Arbeitsanzügen flüsterten sich verschwörerisch etwas zu, schauten mich schräg von der Seite an. Plötzlich gingen die Schiebetüren auf, aus Lautsprechern dröhnten seltsame Gesänge. Die ersten Schritte führten durch eine Halle - überall hingen Wappen und Banner in deprimierendem Königsblau und Schneeweiß.

Alles wirkte fremd, kalt und steril. An den Wänden flimmerten riesige Monitore. Ein Mann mit fetter Zigarre, geleckt gegeltem Schwarzhaar und dicker Nase predigte von Kampfgeist, Kumpeln und Kohle. Dann kam die erste Absperrung: Schwer bewaffnete

Neugierig auf eine Vertiefung des Themas? Die Kolumne ist nur lockerer Aufmacher des aktuellen Spielkulturthemas "Half-Life 2 & die literarische Utopie" :

Gastbeitrag : Lost in Translation
Interview: Dennis Ray Vollmer
Biografie: HL2-Autor im Überblick
Bilderserie: Von Orwell bis Valve
Porträt: Dennis Ray Vollmer
 Soldaten mit Atemmasken und S04-Armbinden wollten meinen Ausweis, meine Dauerkarte und meine Füße sehen.

Schweißperlen quälten sich durch Poren. Meine Stirn war nass. Gleich wäre alles aus. Wie sollte ich mit schwarzen Füßen und gelben Zähnen an den Combine-Schalkern vorbeikommen? Wie sollte ich mich gegen diese totale Überwachung wehren? Wie sollte ich weiterkommen? Aber plötzlich schwenkte die Kamera des Schicksals auf den Boden. Da lag eine Brechstange…

…den Rest kennt ihr.


Jörg Luibl
4P|Chefredakteur