Der eisblaue Rettungsknopf
Eine Kolumne von Jörg Luibl, 11.06.2014

Habt ihr diesen eisblauen Knopf hinten an der Konsole gesehen? Okay, er ist nicht wirklich groß. Und er ist scheinbar nicht für jeden sofort sichtbar. Aber wenn man von Natur aus neugierig ist und aufmerksam genug tastet, kann man ihn finden. Ja, an der Rückseite, noch etwas weiter…habt ihr ihn? Manchmal hilft es auch, kurz vorher die Veröffentlichungslisten für 2014 zu lesen und sich den Sommerschweiß aus dem Gesicht zu wischen - dann materialisiert er sich fast von selbst.

Oder noch besser: Man quatscht mit einem Kumpel über die kommenden Spiele. Also über die richtig fantasievollen, die großartigen Abenteuer der Marke XXL,  die man als Zocker von Welt einfach haben muss. Nein, nicht über FIFA oder Forza. Ihr wisst schon, ich meine diese Bildschirmepen, die man uns mit dieser hoch entwickelten Power unter den Plastikhauben versprochen hat. Virtuelle Unterhaltung mit Emotionen und Drama, mit Story und Panorama. So zum Abtauchen und Staunen, dass man alleine beim Gedanken daran seine Daddelkiste knutschen möchte.

Was, Sonnenstich? Das ist kein Witz, das hab ich schon mal gemacht! Ich hab erst den Amiga, später die Dreamcast geküsst. Mal unter uns - während ihr bitte weiter den Knopf sucht - ein Bekenntnis: Ganz tief im Inneren sind wir miesmuscheligen Tester eigentlich nur gierige Spielkinder, die sich immer auf irgendetwas Tolles freuen wollen. Wir lieben diese Spiele! Und gerade im Vorfeld von Messen wie der E3 sinkt die kritische Distanz eines Redakteurs gegenüber seinem Spielzeug meist auf das Niveau eines Sechsjährigen, weil ja alles „irgendwie geil“ aussieht  – so mutieren viele Vorschauen schnell zum Tabledance für Vorbesteller. Selbst Far Cry 4 finden knallharte Kritiker wie Ben dann plötzlich vollkommen okay.

Moment, der Schweiß -  so, damit sind wir wieder beim Thema: Bei diesem langweiligen Konsolenjahr 2014, für das es immerhin diesen eisblauen Rettungsknopf gibt! Habt ihr ihn endlich? Ein Tipp: Ihr müsst einfach mal ganz ehrlich über das Angebot reden. Ich habe vorhin z.B. mit Eike über die exklusiven Abenteuer für PlayStation 4 im Jahr 2014 gesprochen  – und zack, war der Knopf da! Und was kommt für Xbox One und Wii U dieses Jahr? Zack, wieder zwei Knöpfe – der letzte sogar noch größer, fast wie ein blauer Daumen! Ja, alle waren komisch gesichert. Aber keine Bange: Lasst euch nicht von diesem transparenten Aufkleber mit dem knallroten „Next-Gen-is-not-yet-here-Exit“ abschrecken. Das Teil einfach abziehen und der Knopf liegt frei!

Ich sage: Drückt ihn jetzt! Gerade in dieser Tropenhitze und in diesem Spielejahr ist das die einzige wirksame Rettungsmaßnahme! Denn er hat zwei wunderbare Effekte, einen kurz- und einen langfristigen: Erstens sprühen winzig kleine Kristalle aus dem Lüfter, so dass man in null Komma nichts von einer wunderbar kühlen Luft umhüllt wird. Das tut verdammt gut. Vor allem im E3-Schichtdienst bei gefühlten 35 Grad, die in Wölkchen über dem PVC-Teppich schwelen, während man im Schweiße seines Angesichts eine knackige, klare Kolumne schreibt, die längst fertig sein sollte.

Noch cooler ist der zweite Effekt, der Eike gerade fast in Ohnmacht versetzte: Die Konsole wird langsam von einer frostweißen Schicht umhüllt und friert nach etwa einer Minute komplett ein. Ja, es knistert dabei ein wenig, aber das ist alles im Rahmen der Marketinganalysen vom TÜV geprüft worden. Sony, Microsoft und Nintendo sind ja nicht doof: Die haben natürlich vorher gewusst, dass sie all die Versprechen von großartigen Abenteuern nicht einhalten können. Bei den Startspielen konnte man das ja noch vertuschen, aber jetzt wird die fehlende Qualität an Spielen deutlich.

Ist euch auf der E3 gar nix aufgefallen? Warum verstehen sich alle plötzlich so gut in Los Angeles? Warum gab es weder Zahlengepose oder gar Trashtalk? Immerhin hätte man Microsoft mal fragen können, warum man sich plötzlich so für Kinect schämt, dass man dem ehemaligen Heilsbringer nicht mal ein paar Sekunden Hampelzeit gönnt. Man hätte Sony fragen können, wo genau die PS Vita begraben wird. Direkt neben The Last Guardian? Und man hätte Nintendo fragen können, wie man genau mit „Lebensqualität“ das Dahinsiechen der Wii U aufhalten will. Gibt’s bald Spiele auf Rädern per Notruf?

Aber es gab ja nicht mal Seitenhiebe in LA! Warum nicht? Moment, ich muss mir diesen blöden Schweiß aus dem Gesicht – so, jetzt geht es wieder vollkommen klar weiter: Weil sie alle wussten, dass sie die wirklich großen Abenteuer frühestens 2015 oder 2016 fertig haben! Und weil sie alle wussten, dass ihr irgendwann in diesem miesen Spielejahr 2014 in den Konsumstreik gehen werdet, weil ihr nichts Großartiges für eure Konsolen kaufen könnt – deshalb könnt ihr den blauen Knopf finden! Er ist nicht weniger als der manifestierte Konsens der Unfähigkeit der Big Three, der letzte Rettungsanker vor all den Fadenkreuzen, Fortsetzungen und Fußbällen, der Auslöser des ultimativen Free-to-frost-Modells!

Meine Herren, ist das hier heiß. Weiter im Text: Wenn ihr den Knopf drückt, beginnt ein schnöder Wecker in der Konsole zu ticken – hört ihr dieses Hämmern im Kopf? Und bei Sony, Microsoft oder Nintendo startet natürlich eine highly sophisticated digitale Stoppuhr. Ihr bekommt dann für jede Woche, die eure Konsole komplett eingefroren ist, einen DLC eurer Wahl oder eine von diesen Nintendo-Amiibofiguren  gutgeschrieben. Und obendrauf bekommt ihr all diese kleinen Spiele gratis, die in der Zwischenzeit auf PlayStation Plus oder Xbox Live für Handy- & Free-to-play-flair sorgen.

Ja, da kommt was zusammen, wenn man seine Kiste bis zum Erscheinen von The Legend of Zelda, Halo 5, Uncharted 4, The Witcher 3, Xenoblade Chronicles X, Bloodborne, No Man’s Sky, Everybody’s Gone to the Rapture oder gar Abzû einfriert. Und jetzt wird es auch hier angenehm frisch - ich glaube, Eike hat tatsächlich überall gedrückt.


Jörg Luibl
Chefredakteur