Stürme im Forenglas
Eine Kolumne von Jörg Luibl, 09.12.2014

Von drauß‘ vom Forum komm ich her; ich muss euch sagen, es wütet sehr.

Entschuldigung, ich wollte den Storm nicht knechten. Gerade jetzt, wo es doch bald weihnachtet. Aber so besinnlich geht’s im digitalen Wald von heute ja tatsächlich nicht zu. Man könnte fast meinen, da wird nur noch gepöbelt, geschrien und geflucht.

Und das hat zumindest Tradition. Auch in den alten Geschichten tobte es über zwölf Tage in einer Wilden Jagd . Was man sich da alles erzählte von alten Königen, unheimlichen Kreaturen und grausigen Toten, die in den Nächten zwischen den Jahren umgingen. Das war damals auch zum Fürchten.

Trotzdem interessierte die Leute, was da wohl Sagenhaftes, Schreckliches oder vielleicht nur Peinliches passierte, während es draußen laut stürmte oder an den Türen polterte. Also spähte man mal kurz aus dem Fenster, um zu sehen, ob da wirklich ein fürchterliches Heer von Untoten durch die Gassen galoppierte. Ob sich der besoffene Nachbar mal wieder in den Schnee übergab. Vielleicht würde man zumindest den lallenden Fleischer dabei ertappen, wie er der  kichernden Bäckerin unter den Rock langte - oder umgekehrt.

Menschliche Neugier im Angesicht des Mythos. Ich will den alten Kumpel ja nicht mit Gewalt in diesen modernen Zeiten nachhallen lassen, aber diese Beschreibung der Wilden Jagd könnte auch unerschrockenen Forenreitern bekannt vorkommen:

"Wer das Heer provoziert oder ihm spottet, wird unweigerlich Schaden davontragen, und wer absichtlich aus dem Fenster sieht, um das Heer zu betrachten, dem schwillt etwa der Kopf an, so dass er ihn nicht zurückziehen kann."

Na, klingelt da was? Zack, hat man also - gegen alle Vernunft- kommentiert und reitet mit. Heute macht man nicht das Fenster auf und lauscht vor Neugier, sondern klickt ins Forum. Trotz der supermodernen Technik erkennt man da vor allem allzu Menschliches. Und nichts ist interessanter! Gelockt wird man nur nicht mehr von oraler Tradition, sondern digitaler Kommunikation - also Tratsch 2.0.

Schaut mal, was da wieder abgeht: Da brennt die Hütte - auf Holz. Da tanzen die Trolle - im Kreis. Das halbe Internet steht Kopf - ohne Anstand. Es wird im Sekundentakt geposted, geflamed, gelolt, gezetert, getextet, gejammert, geschrien, gekontert, geflucht, gebannt. Würde man aus den Threadvorlagen eine Geräuschkulisse komponieren, könnte man der chaotischen Wilden Jagd vielleicht sogar nahe kommen.

Es könnte ein feineres Gehör aber auch schrecklich schmerzen. Denn das digitale Feedback gibt es nicht nur zur Wintersonnenwende, sondern 24/7 - es wird jeden Tag künstlich aufgeblasen. Als würden zig Leute gleichzeitig in eine Talkbox mit Verstärker brüllen. Was für ein diabolischer Lärm - egal ob Fußball, Politik oder Spiele. Selbst so mancher Arsch geht nicht mehr ohne digitales Gezwitscher an den Leuten vorbei.

Aber egal auf welchem Portal man gerade dieser oder jener Entrüstung lauscht, säuselt es bald nur noch vor sich hin. Dann wird es irgendwann nahezu totenstill – der Thread wird wie eine Leiche begraben. Aber diese besinnliche Ruhe trügt. Hunderte dieser Untoten warten dann nur darauf, dass irgendjemand wieder buddelt. Schon einen Tag später stürmt es wieder in zig Forengläsern.

Wenn man sich die Gläser mal genauer anschaut, zeigt sich, wie viel Lärm da um nichts gemacht wird. Und wie maßlos das Wüten von außen überschätzt wird. Die Wahrnehmung von Foren als glaubwürdiges Stimmungsbild einer Mehrheit beruht auf virtueller Illusion, der modernen Feedbacküberschätzung und manchmal auch gezielter Manipulation, die professionell Meinungen fälscht .

Da ist man dem kaum greifbaren, in vielen Facetten ausgefransten, ganz unterschiedlich nachhallenden Mythos der Wilden Jagd fast wieder ähnlich, den ja auch jeder gerne für seine Zwecke deutet - oder missbraucht. Dann wird falsch oder unzureichend zitiert, es wird politisiert oder in Threads nach Verstärkung der eigenen Meinung gefiltert. Irgendwann fallen auch Sätze wie diese: „Eure Leser denken, dass (…)“ oder „Die User sind ganz anderer Meinung, wie man anhand der Postings erkennen kann...!“

Angesichts der tatsächlichen Zahlen ist es erstaunlich, wie ernst das Feedback aus Foren aller Art teilweise genommen wird, wie aus diffusen Meinungen schnell vermeintliche Wahrheiten werden - nicht nur in Spielemagazinen. Wir haben z.B. im Sommer im Schnitt 70.000 Leute, die pro Tag unser Portal besuchen und Videos anschauen oder News und Berichte lesen. Davon nutzen nur 4000 bis 7000 überhaupt das Forum - und zwar passiv, indem sie z.B. mal auf die Kommentare oder in Themen klicken.

Lediglich 200 bis 400 Leute davon tippen wirklich Beiträge an einem Tag. Und davon texten manche 30 mal in einem Thread dasselbe - wie in einer Endlosschleife. Sprich: Die Zahl der aktiv schreibenden User liegt manchmal bei nur etwa 0,3 bis 0,5 Prozent aller (!) Besucher. Das ist eine verdammt mickrige wilde Jagd, die nicht mal als Splitterpartei in den Bundestag einreiten könnte.

Trotzdem sorgt sie für Stimmung und Meinungsbilder in Foren und auch Verkaufsportalen - sie erzählt quasi viele Geschichten gleichzeitig, die einige Leute zumindest unbewusst für bare Münze nehmen. Schließlich ist im chaotischen Stimmenwirrwarr für jeden ein anderes Körnchen Wahrheit dabei. Und die Leute lieben den Mythos.

Das Beruhigende an dieser Statistik scheint, zumindest aus humanistischer und ludologischer Sicht, dass sie den Glauben an die Vernunft im Allgemeinen und normale Zocker im Speziellen bestärken könnte. Denn diejenigen, die im stillen Kämmerlein ganz rational der Wilden Jagd lauschen, sind ja in der absoluten, vollkommen vernünftigen, jederzeit anständigen sowie - natürlich - gute Spiele schätzenden Mehrheit. Und da sind wir uns doch immer einig, welche das sind.

Falls ihr euch doch mal zu weit aus dem Fenster lehnt, wenn es draußen stürmt: Verliert nicht den Kopf dabei.

Ich wünsche forenfrohe Festtage!


Jörg Luibl
Chefredakteur

Kommentare
Sir Richfield

VaniKa hat geschrieben:Wie verbreitet die Probleme wirklich sind, lässt sich leider gar nicht einschätzen.
Doch, läßt sich: Sie sind verbreitet genug, dass die Menge an sich beschwerenden Kunden den Eindruck erweckt, das Spiel würde nirgendwo laufen.
Wenn nun andere bei diesem "Kampf" einer anderen Meinung sind, dann geht es darum, diese möglichst mundtot zu machen.
Jupp, "Bei MIR läuft's ohne Probleme!" als Argument.
Ich weiß, das meintest du nicht, aber...
Das wird dann entweder über (Schein-)Argumente versucht oder aber durch Verunglimpfung ("ihr habt doch keine Ahnung") oder schiere Überlegenheit durch Masse ("du bist in der Minderheit"). Das Ziel ist immer das Gewinnen und die Veränderung der Welt zu den eigenen Gunsten.
Ja... und?
Was ist in dem Kontext da schlimm dran? Immerhin hat man für eine Leistung bezahlt, die man nicht erhalten hat.

Wenn man schon eines an den "Beschwerern" kritisieren möchte, dann dass allem Anschein nach nur wenige von ihnen die richtigen Schlüsse ziehen und das nächste Spiel wieder blind kaufen.

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 9 Jahren
johndoe724410

VaniKa hat geschrieben: Letztlich geht es beim aktiven Mitmischen in Foren vor allem darum, seine eigenen Interessen zu vertreten und meist weniger darum, einen Konsens zu finden. Wenn mein Spiel auf meinem System Probleme hat, will ich, dass es für mich behoben wird. Ebenso ist es beim Wunsch nach Veränderung in bestimmten Spielen
Da hast du prinzipiell Recht.. aber hier posten User bei spielen mit, und greifen meistens irgend wessen Meinungen (meistens negativ) auf und verteidigen diese dann wehement ohne das spiel überhaupt zu besitzen. bestes Beispiel: Dragon Age. Und man erkennt schnell das hier nur persönlicher Frust abgebaut wird, geschützt in der anonymen Umgebung des Internetz.. hier kann man halt mal die Sau raus lassen, was man im RL nicht tut.. dazu ist dann auch jedes Thema recht, ob man dazu ne Meinung hat, oder nicht. es wird halt benutzt

Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 9 Jahren