Keine Angst vor der Episode!
Eine Kolumne von Jörg Luibl, 02.02.2007

Pro7 tut es. Valve tut es. BioWare will es tun. Und Microsoft sowieso. Die Rede ist von der Unterhaltung in Episoden. Was für Leser und Zuschauer schon längst Alltag ist, soll auch für Spieler gang und gebe werden: Der Staffellauf der kleinen Höhepunkte, Games im Serienformat.

Die Pläne dafür sind schon längst aus den Schubladen auf die Schreibtische gewandert. Half-Life 2: Episode 1 war erst der große Anfang, der gerade im kleinen Rahmen mit Penumbra fortgesetzt wird.  Erinnert ihr euch? J. Allard hatte Spielefans schon 2005 darauf vorbereitet, dass die Zeit des 30-Stunden-Epos vorbei sei, weil es Entwicklern und Spielern "nur Nachteile" bringen würde. Er kündigte an, künftige Abenteuer kapitelweise anzubieten.

Daher ist die Nachricht von BioWare, dass man für die kommenden Rollenspiele Mass Effect und Dragon Age episodische Erweiterungen anbieten will, keine große Überraschung. Die wird man à la Steam wohl nur noch boxfrei als reine Downloads bekommen - "digitale Distribution" ist das Zauberwort der Zukunft. Was Marketingstrategen sofort Glanz in die Augen und Analysten zig Millionen in die Umsatzprognosen treibt, sorgt bei Spielern allerdings für Skepsis.

Aber ist die wirklich berechtigt? Auf den ersten Blick ja: Immerhin geht es nicht mehr um die komplette Mahlzeit zum Vollpreis, sondern um kleine Happen in Etappen. Vielleicht geht es in letzter Konsequenz sogar um eine Art Neverending Nachtisch, denn wo die Episode herumschleicht ist die Soap samt Folge 246 nicht weit. Kann man davon satt werden? Und viel wichtiger: Wird der Spieler nicht für weniger Inhalte im Endeffekt noch mehr Geld hinlegen müssen? Virtuelle Unterhaltung ist jetzt schon verdammt teuer. 15 Euro für eine Episode hört sich richtig günstig an. Nimmt man das mal sechs, sind es aber schon 90 Euro - und macht man da eine monatliche Serie draus sind ganz tolle Preismodelle möglich. Warum nicht gleich ein Abo für Halo 3 anbieten?

Natürlich birgt die Episode auch ein dramaturgisches Problem: Da wird der Absacker gleich als Appetizer für die nächste Delikatesse genutzt - Cliffhanger und Heringe inklusive. Das kann gut schmecken, das kann aber auch den roten Faden in dutzende Fasern ausfransen, die keinen Zusammenhang mehr erkennen lassen. Aber warum habe ich damals bei Twin Peaks nicht abgeschaltet? Und warum hänge ich dann jede Woche wie ein Fisch an der Lost-Angel? Weil diese kleinen Happen verdammt gut schmecken!

Deshalb liegt im Episodenspiel auch eine große Chance, eine kollektive Sehnsucht der Spielewelt zu erfüllen. Spätestens das Video zu Heavy Rain hat gezeigt, dass sich Zocker aller Länder mehr emotionale Erlebnisse, mehr Tiefe wünschen. Arcade ist cool, Shooter sind wichtig, aber erst das Epos sorgt für Faszination. Was sagte kürzlich Comic-Autor Gordon Rennie? Spiele brauchen bessere Storys. Und Recht hat er! Ja, es gibt da draußen einige klasse Geschichten, aber sie haben noch längst nicht die Spannungskurven erreicht, in die mich ein talentierter Schriftsteller oder Regisseur treibt.

Und diese Episoden könnten einen weiteren Vorteil haben: Man kann bei verbuggten oder einfach nur schlechten Spielen schon nach Kapitel 1 den Abflug machen und sparen! Wäre das nicht klasse? Man stelle sich vor, von Söldner oder Gothic 3 wäre zunächst eine erste Episode für 14,99 Euro auf den Markt gekommen - wunderbar! Oh, wie viele Gurken würden da auf der Strecke bleiben, wie viele Marketing-Schnellschüsse im Rohr krepieren! Ergo: Die Spiele werden besser, weil die Käufer mehr Macht haben.

Vielleicht würde das endlich dazu führen, dass Publisher und Entwickler nicht nur an die "digitale Distribution", sondern auch an die "digitale Dramaturgie" denken. Stellt mehr Qualitätssicherer und Bugjäger ein, heuert mehr gute Autoren an, die Storys erzählen können! Und irgendwann gibt es Spannung à la 24 oder erzählerisch gewitzte Zeitfresser à la Twin Peaks oder Lost nicht nur vor der Glotze, sondern auch am Gamepad.

Ich habe keine Angst vor dieser Art Episode, ich freue mich darauf!


Jörg Luibl
4P|Chefredakteur