Die Käschuälgäyms kommen
Eine Kolumne von Jörg Luibl, 04.09.2007

Manchmal kommt das Grauen aus dem Nichts. Das ist wie mit der Vogelgrippe oder dem Gammelfleisch. Vor ein paar Jahren gab es sie gar nicht. Vor ein paar Jahren hat auch niemand damit gerechnet, dass sie mal den Spielemarkt überfluten würden. Aber die Schaumkronen ihrer großen Wellen sind bereits sichtbar, die Kassen klingeln lauter als der blanke Hans brüllen kann.

Denn jeder will auf ihnen reiten. Selbst Leute, die vor ein paar Jahren nicht mal im Traum daran gedacht hätten, ein Gamepad anzufassen! Mittlerweile surfen Hausfrauen, Rentner, Beamte und selbst Greise auf ihnen. Sie zocken sich im Büro, daheim am PC oder vor dem Wii ins Gelegenheitsnirwana und sorgen dafür, dass diese Flut kaum noch aufzuhalten ist. Weil die Nachfrage so enorm zu sein scheint, werden diese Dinger immer einflussreicher. Die Frage ist, was dabei alles untergeht...

Wovon ich rede? Potzblitz, ihr trägen Pongskinder, ihr wisst es doch! Wie heißt die Dollar legende Genremutter aller Moorhühner? Dieses Unwort wurde doch auf der Games Developers Conference in Leipzig so oft benutzt, dass ich ab sofort sparsam damit umgehen muss, damit mir nicht schlecht wird. Vor allem, weil ich mich selbst natürlich zur tapferen Spezies der Seniorzocker zähle. Jawoll, Amiga ist Kult, Retro ist cool und früher war sowieso alles besser. Aber diese neumodischen Dinger? Diner Dash, Prime Suspects, Puzzle Pirates, Fairy Treasure, Cooking Mania oder Super Granny 3? Nein, das geht zu weit!

Habt ihr eigentlich Schätzings Schwarm gelesen? Ich will ja nicht paranoid erscheinen, ganz und gar nicht, aber nicht nur die Tierwelt wird irgendwann parallel zur Erderwärmung zurückschlagen: Auch sie werden es tun! Wer? Ich soll endlich Tacheles reden? Na gut. Das Versteckspiel wird langsam albern. Also kommt mal näher. Etwas näher noch. Wisst ihr, wie die eigentliche, die alle großen Epen und Abenteuer fressende Gefahr heißt?

KÄSCHUÄLGÄYMS!

Noch mal deutlicher?

K Ä S C H U Ä L G Ä Y M S ! ! !

Sorry für das Gebrüll, aber das musste mal raus. Ich weigere mich, den handelsüblichen Anglizismus auszuschreiben, sonst wird die Welle noch größer. Schaut euch doch um, klickt euch durchs Netz, sie sind überall: pogo.com, mumbojumbo.com, freshgames.com, iwin.com oder bigfishgames.com - das sind die weltweit größten Syndikate. Und sie werden global expandieren!

Das Ursprungsland des Bösen ist -natürlich- Amerika. Hier werden 70% des weltweiten Umsatzes gemacht! Microsoft spielt auch mit: MSN Games bietet mehr als 600 Käschuälgäyms mit weltweit 14 Millionen Infizierten an. Eine Firma wie Gamelabs macht mit 32 Angestellten mittlerweile vier Millionen Dollar Jahresumsatz - satte 35 Spiele hat man seit Bestehen im Jahr 2000 entwickelt. Selbst Ex-Bioware-Mann Michael Grills ist von Käschuälgäyms infiziert.

Und die Inder kommen: Die Experten von Game Shastra bieten den vollen Service von der Entwicklung bis zur Qualitätssicherung. Analysten der DFC prognostizieren, dass der weltweite Markt der Käschuälgäyms innerhalb eines Jahres von 700 Millionen auf eine Milliarde wachsen wird. Im Zeitalter von YouTube und MySpace können virtuelle Epidemien in null Komma nichts den Erdball umrunden - dagegen ist die Pest gar nichts!

Das Erschreckende daran: Jeder will sie machen, ganze Heerscharen an jungen Kreativköpfen stürzen sich darauf. Als es in Kiew letztes Jahr eine Käschuälgäyms-Konferenz gab, hatten 90% der Teilnehmer noch nie eines dieser Dinger entwickelt. Und was heißt das? Na? SIE WERDEN DEMNÄCHST WELCHE ENTWICKELN! Auch im Osten ist man sich bewusst, dass man mit kleinen Spielen großes Geld machen kann.

Das Schlimmste ist: Früher waren nur Frauen und ältere Büromenschen von Solitaire, Hexic & Co infiziert - jetzt gibt es angeblich auch tausende Opfer unter uns, unter guten alten Joystickveteranen und Hardcorezockern! Angeblich zocken wir Käschuälgäyms vor allem über Xbox Live. Jungs, was ist los mit euch? Das ist ja wie eine virtuelle Vogelgrippe. Wisst ihr gar nicht, was euch droht, wenn ihr so weiter macht? Ihr mutiert zu anspruchslosen Ab-und-zu-Spielern, zu skillfreien Nie-den-Abspann-Blickern und elenden Frühaufgebern - zu KÄSCHUÄLGÄYMERN! Reißt euch zusammen!

Wie bitte? Ich übertreibe? Sie sind gar keine Gefahr? Diese kleinen miesen Gelegenheitsspiele sollen auch Spaßmonster oder gar Kunstwerke sein? Nein, nein und nochmals nein! Gibt es etwa Casual Books? Oder Casual Films? Na also! Es beruhigt zu wissen, dass man mit seiner Abscheu vor dem Käschuälgäym als solchem nicht allein ist: Großschleichmeister Hideo Kojima will sie weder selbst spielen noch entwickeln. Da sage ich: Bravo! Für ihn sind die komplexen Spiele die wahren Spiele. Es sind die packenden Abenteuer, die die Faszination dieses jungen Mediums ausmachen!

Das beruhigt. Das tut gut. Der Mann hat ja so Recht! Obwohl sich diese Plage ja auch in Japan ausbreitet. Er will doch nicht heimlich auch? Nein, nein. Es ist auch weniger Konami als vielmehr Nintendo genau so böse wie Microsoft! Nix gegen Mario, aber: Ist der Wii nicht das Trojanische Pferd für all die Käschuälgäymfaszination? Und ganz im Vertrauen: Ist nicht auch World of WarCraft eines? Ich seh schon Gespenster. Man fühlt sich heutzutage ja fast schon umzingelt von der Euphorie über diese kleinen Gammelgames. Die ganze Branche wird ja regelrecht unterwandert! 4Players auch? Jetzt reicht`s aber - ihr seid ja paranoid! Es sind doch EA und Ubisoft, die sogar eigene Divisionen aufstellen, damit euch nächstes Jahr ein ganzes Arsenal an Käschuälgäyms überrollt!

Das ist doch alles kaum noch zu ertragen. Ich muss jetzt erst mal entspannen. Am besten bei einer Runde Texas Hold' em...


Jörg Luibl
Chefredakteur