Kampf den kitschigen Spiele-Storys
Eine Kolumne von Jörg Luibl, 22.10.2002

So manche Lagerfeuergeschichte der Bronzezeit war wahrscheinlich spannender als der Story-Kitsch, den uns manche Spiele zumuten. Wie viele Schurken, Bösewichte und Wahnsinnige mussten schon als billige Motivation für stundenlanges Ballern, Leveln und Metzeln herhalten? Wie oft wurde das alte Lied von Gut gegen Böse beschworen?

Die Motive an sich sind gar nicht das Problem, denn sie füllen auch Tausende von Büchern und Kino-Sälen. Aber die dilettantische Umsetzung der Story ist teilweise haarsträubend. Meist bleibt es bei einem linearen Handlungsverlauf mit flachen Figuren, der die Spannung eines Wetterberichts verbreitet.

Wie würden Dramatiker wie Aischylos und Shakespeare, oder Schriftsteller wie E.A. Poe den Story-Gehalt aktueller Spiele bewerten? Vielleicht ähnlich wie Horror-Autor Clive Barker, der auf die Alternative „Bücher oder Spiele“ angesprochen bitterböse spottete, dass Spiele nichts als “the horrible bag of candy-colored garbage” seien - kunterbunter Müll quasi.

Das Vorzeigemedium für packende Geschichten ist und bleibt die Literatur, da hat Mr. Barker Recht; gefolgt vom Kino, das dem Erzählten noch Bilder spendiert. Zur Verteidigung der Entwickler muss man allerdings einwerfen, dass ein Spiel im Gegensatz zu Literatur und Kino aus drei wesentlichen Elementen besteht - Bilder, Interaktion und Story. Nur sind die drei Faktoren bisher ungleich entwickelt:

Im Grafikbereich ist man schon fast lebensnah. Eine glaubwürdige Interaktion dürfte aufgrund der schwachen KI noch Jahre zu wünschen übrig lassen. Und die meisten Erzählungen sind nicht mehr als ein Brei aus zusammengesetzten Klischees - innovationslose und abgedroschene Collagen.

Dabei wurden die einfachen Grundelemente spannender Erzählungen schon im 5. Jh. v. Chr. in den griechischen Tragödien erfolgreich angewandt: Einleitung, Wendepunkt, Finale. Eine gute Story braucht handelnde, lebensnahe und originelle Figuren sowie unerwartete Ereignisse und Wendungen. Ich will etwas Außergewöhnliches, etwas nicht Alltägliches erleben - ein Abenteuer eben. Dabei verzichte ich auch gerne auf Spielzeit, wenn in der Kürze mehr Würze steckt.

Gerade Video- und Computerspiele sollten öfter und selbstbewusster mit der Erzählperspektive spielen. Gute Ansätze gab es kürzlich in Mafia (PC), wo die Ich-Perspektive für einen gespielten Rückblick genutzt wurde. Und richtig kreativ geht`s in Eternal Darkness (GC) zu, wo sowohl Figur als auch Spieler bewusst mit Verfremdungen und Verstörungen konfrontiert werden, um Angst zu verbreiten. Löbliche Ausnahmen findet man außerdem fast durch die Bank bei japanischen Entwicklern, die schon längst auf professionelle Autoren setzen: man denke an Metal Gear Solid 2 (PS2) oder Silent Hill 2 (PS2).

Die Spielewelt hat in Sachen Umsatz schon längst Hollywood überrundet. Es ist vielleicht an der Zeit, dass gelernte Regisseure oder Dramaturgen ebenso selbstverständlich an der Entwicklung eines Spiels beteiligt werden wie Programmierer und Grafiker.

Jörg Luibl
4P|Textchef