In der Kürze liegt die Würze!
Eine Kolumne von Jörg Luibl, 09.02.2003

Wir Spieletester können schon ein pedantisches Völkchen sein. Klar müssen wir genau hinschauen, was die Entwickler in Sachen Gameplay, Grafik und Sound abgeliefert haben. Aber manchmal schießen wir zu locker aus der Hüfte und das Kontra-Projektil verfehlt sein eigentliches Ziel.

Eine oftmals schlecht getimte Kritik lautet: „Das Spiel ist zu kurz“. Zu kurz? Was heißt das denn? Wie viel Stunden muss man denn ansetzen? Klar sollte der Abspann nicht nach zwei, drei Stunden seine Aufwartung machen. Aber die Diskussion wird viel zu schwammig, wenn es in Zahlenspielereien à la 10, 12 oder 15 Stunden sind Pflicht ausartet.

Können acht Stunden nicht mehr wert sein als 16? Ist ein Spiel wirklich empfehlenswerter, wenn es doppelt so lange dauert, bis man durch ist? Ich sage nein, denn es kommt einzig und allein auf den erlebten Spielspaß und die Intensität der Unterhaltung an. Und da liegt gerade in der Kürze die Würze! Man denke an Sly Raccoon, ICO, Eternal Darkness, Max Payne - alles unter oder knapp über zehn Stunden.

Als Spieler öden mich künstlich in die Länge gezogene Storys und Levels einfach an. Ich will nicht wochenlang an der Nase herumgeführt werden, mich durch blöd angehäufte Monsterhorden oder riesige Abschnitte Langeweile kämpfen, nur weil Publisher oder Entwickler mit 50 Stunden Spielzeit protzen wollen. Auch Rollenspiele, die gerne mit ihrer Story locken, gleichen oftmals eher aufgeblähten Wälzern, deren Spannungskurve viel zu oft einbricht - z.B. Grandia 2 oder Baldur`s Gate 2. Hier hätte der Kontrapunkt ganz klar „zu lang“, „zu viele Wiederholungen“ oder „sinnlos aufgebläht“ lauten müssen!

Ebenso nervig wie künstlich in die Länge gezogene Storys ist ein künstlich angehobener Schwierigkeitsgrad, um Spiel- oder besser Quäl-Zeit zu schinden. Ich will angenehm unterhalten werden, und nicht zehn Mal dieselbe Stelle zocken! Wenn ein Autor auf Fremdworte und komplizierte Satzkonstruktionen setzt, und ich den Kram gleich drei Mal lesen muss, hat er einfach einen schlechten Stil und ich schmeiß das Buch in die Ecke. Genau so ging es mir mit Stuntman, Herr der Ringe: Die zwei Türme und dem Xbox-Enclave. Hier wurde der Spielspaß schon nach kurzer Zeit durch einen sinnlos hohen Schwierigkeitsgrad im Keim erstickt.

Natürlich adelt die Kürze noch kein Spiel. Und ein ganz schlechter Cocktail besteht aus Riesen-Hype gemixt mit wenig Spielzeit und gewöhnlichem Gameplay. Denn dann bleibt ein schaler Nachgeschmack, weil man für sein Geld einfach mehr erwartet hat; vielen geht es derzeit mit Unreal II so.

Aber wenn ich mir Freitags Eternal Darkness kaufe und Sonntag Nacht den Abspann genieße, habe ich Top-Unterhaltung, innovative Ideen und Spannung pur konsumiert - kurz, aber packend; fordernd, aber nicht zu schwer. War das die 50 Euro wert? Natürlich nicht. Aber wenigstens 49.


Jörg Luibl
4P|Textchef