Zeit für „Miramax Games“
Ein Kommentar von Benjamin Schmädig, 07.03.2008

Warner Bros., Paramount, 20th Century Fox auf der einen, Electronic Arts, Activision, Take 2 auf der anderen Seite. Was haben diese Namen gemeinsam? Es sind Namen großer Studios, so genannter Big Player in Sachen Film und Spiel. Und sie haben noch mehr gemeinsam. Denn egal ob Zuschauer oder Spieler: Beide wollen unterhalten werden. Sie wollen spannende, mitreißende oder bewegende Stunden erleben. Manchmal steht intellektueller Anspruch im Vordergrund, meist tun es Spaß und Action. Es geht um Entertainment in all seinen Facetten, und das bedeutet für Spieleindustrie und Filmbusiness vor allem eins: Sie müssen Kunst und Kommerz unter einen Hut bringen.

Dabei stehen beide Branchen in direkter Konkurrenz. EA, Activision und Co. machen mehr Umsatz als Hollywood an der Kinokasse, im Gegenzug blüht das DVD-Geschäft auf. Zum großen Teil ist die Klientel für großes Kino und so genannte "Triple A"-Titel allerdings dieselbe. Spiel und Film bedienen also die gleichen Geschmäcker, erzählen ähnliche Geschichten - und trotzdem gibt es einen markanten Unterschied: Die Big Player in Hollywood stopfen ihre Kassen nicht nur mit den Kröten fetter Blockbuster. Sie unterhalten zusätzlich kleine Label, die oft anspruchsvolle oder experimentierfreudige Streifen abseits des Mainstreams produzieren. TriStar ("Silent Hill") gehört z.B. Sony Pictures, Focus Features ("Tödliche Versprechen") zu Vivendi, Searchlight ("The Hills Have Eyes", "Sunshine") ist eine Tochter der Fox-Gruppe, und Miramax ("No Country For Old Men", "There Will Be Blood") hat sozusagen im Namen von Buena Vista die diesjährige Oscarverleihung dominiert.

Und was tun die Spielepublisher? EA veröffentlicht unter EA Games, EA Sports oder EA Sports Big. Take-Two unterhält Rockstar, 2K Sports, 2K Games usw. Doch das sind große Label, die selten Experimente eingehen - und mit ihnen hört die firmeninterne Vielfalt auch schon fast auf. Dass unterschiedliche Entwicklerstudios ebenso unterschiedliche Titel für ihre Brötchengeber produzieren, spielt da kaum eine Rolle. Wieso? Weil ein Spiel, auf dessen Packung "Activision" oder "Sega" prangen soll, ins Profil des Auftraggebers passen muss. Sprich: Wenn nicht alles nach Big Budget, Triple A und Blockbuster riecht, wird es dem aufgedruckten Namen nicht gerecht.

Einzige nennenswerte Ausnahme sind so genannte "Casual Games", für die es ebenfalls oft ein eigenes Label gibt. Darunter fallen Nintendos Touch Generations, EA Casual Entertainment oder Ubisofts Spiele für mich. Unter diesen entstehen jedoch selten Werke, die für eine breite Masse interessant sind; die Casual-Abteilung großer Supermärkte gleicht eher dem Kurzfilmfestival im Programmkino. Eigene Labels unter dem Dach namhafter Publisher, die einfallsreiche Ideen zu hochwertigen Produktionen machen - wie eben bei Miramax, Searchlight usw. - unterhält allerdings kaum einer der Großen. Das Ergebnis: Unabhängige Entwickler packen als ewiges "Abfallprodukt" der Industrie nur selten den Sprung zum professionellen Studio.

Take-Two gehört zu denen, die es immerhin versuchten - Gathering of Developers sollte die Lücke zwischen namhaften Publishern und den "Indies" schließen, wurde letztlich aber der Take-Two-Familie einverleibt. Und somit fehlt dem prestigeträchtigen Teil der Spielewelt vor allem eins: Innovation, Einfallsreichtum sowie Talente mit Ideen. Activision veröffentlicht Tony Hawk's, Square Enix bringt Final Fantasy, Ridge Racer ist Business as Usual und Halo bleibt Halo. Könnte man dem tatsächlich entgegenwirken, wenn sich eine Tochterfirma unter eigenem Namen auf die Entwicklung von Titeln konzentrieren würde, die den Independent-Stempel tragen?

Klar: Nischentitel machen meist weniger Profit als jeder drittklassige Blockbuster. Solche Spiele wären technisch nie auf Par mit den World of WarCrafts und Call of Dutys dieser Welt. Würden sich Gewinnerwartung und Imagegewinn aber gar nicht erst auf dem Niveau befinden, dass die Big Player von ihren Werken erwarten, könnte ein "Miramax Games" erfolgreich firmieren. Doch wieso sollten EA und Co. überhaupt Interesse an einem solchen Unterfangen haben? Sie fahren schließlich genug Zaster ein, um am Markt zu bestehen - wozu also ein Tochter-Unternehmen?

Nummer eins: EA hat selbst erst vor kurzem eingeräumt, dass viel kreatives Potential unter der Dampfwalze seiner gewinnorientierten Geschäftspolitik zugrunde ging.

Nummer zwei: Sie könnten vor allem ihren Nachwuchs fördern. Was  für beide Seiten Vorteile hätte. Die Spieler müssten nicht länger über das Ausbleiben frischer Ideen meckern, und die Mutterfirmen könnten die von "Miramax Games" neu etablierten Spielmechanismen in ihren Big Budget-Produktionen weiterdenken. Auch ein Need for Speed braucht frische Ideen, wenn es in fünf Jahren noch erfolgreich sein will! Die benötigten Entwickler hätte EA dann immerhin schon längst im Haus...

Nummer drei: Man würde einen neuen Kundenstamm aufbauen: Wenn Spieler einmal wüssten, unter welchen Namen Qualität erscheint, die sich vom Mainstream abhebt, könnten sie diese Namen leicht im Auge behalten. Nischentitel würden den Kinderschuhen erwachsen und sich damit eine Lobby schaffen. Und die bedeutet zahlende Kunden.

Und Nummer vier: Man könnte weiterhin unbesorgt Triple A-Titel produzieren, ohne um den Ruf des Blockbuster-Labels zu fürchten. Im Gegenteil: Dem täte es sogar gut, wenn die sonst nörgelnde Masse das Engagement um Ideenreichtum würdigt.

Um es kurz zu machen: Die Big Player der Spieleindustrie täten gut daran, sich noch stärker an der Filmbranche zu orientieren - sie brauchen Nischen- bzw. Independent-Label. Faktisch wären das natürlich keine unabhängigen Publisher, aber ihre Inhalte würden denen der "Indies" gleichen. Weil sie ihr eigenes Publikum hätten, weniger Gewinne einfahren müssten und damit experimentierfreudiger sein könnten. Der Kauf neuer Entwicklerstudios reicht nicht aus, um Ideen zu fördern. Denn so lange diese für die großen Namen produzieren, müssen sie deren Big Budget-Image nachkommen. Die Konsolidierung der Großen zu noch größeren Big Playern soll bald ein Ende haben - Zeit für eine neue Ära. Die Ära kleiner, aber hochwertiger Geheimtipps. Wenn Hollywood mit all seinen Stärken und Schwächen schon für tausend Spiele Pate steht, sollte es das auch hinter den Kulissen tun!

Benjamin Schmädig,
Redakteur