Revolution im Anmarsch?
Eine Kolumne von Jörg Luibl, 24.06.2003

Wir können uns frei bewegen, frei drehen, frei zoomen. Es gibt Explosionsorgien, Zeitlupenkicks und Wasser zum Reinlegen. Aber trotz aller Effekthascherei fehlt seit Jahren das gewisse Etwas, der innovative Schub. Sicher hat Hollywood Einzug gehalten, so dass manche Titel filmreif in den Laden kommen - viele Flops allerdings inklusive.

Aber die Spielewelt braucht nicht nur frischen Storywind, sondern einen eiskalten Platzregen, ein technisches Hagelgewitter! Seit der Einführung der dritten Dimension fehlen wirklich umwälzende Neuerungen. Mittlerweile sind Glanz und Gloria des Gütesiegels „3D“ vergangen, denn hinter vielen dreidimensionalen Kulissen verbirgt sich technisch altbekannte Spielekost. Geübte Spieler haben die Welt viel zu schnell durchschaut.

Ein Baum soll eben nicht nur realistisch aussehen, sondern auch korrekt umfallen. Ein Pfeil soll nicht nur Hitpoints abziehen, sondern authentische Wunden reißen. Ganz zu schweigen von virtuellen Charakteren, die bei der ersten Begegnung weniger Natürlichkeit versprühen als eine Holzmarionette. Natürliches Verhalten und lebensechte Emotionen stecken noch in den gleichen Kinderschuhen wie eine realistische Welt, die auf den Gesetzen der Schwerkraft beruht.

Es besteht allerdings Grund zur Hoffnung. Denn wenn man sich die aktuelle Wetterlage der Ankündigungen anschaut, die mit der E3 aufgezogen ist, zeichnen sich herrlich stürmische Tendenzen ab.

Zum einen sind sich die Entwickler des Stillstands im Bereich der künstlichen Intelligenz bewusst und haben das „AI Interface Standards Committee“ gegründet, welches glaubwürdige und lernfähige Charaktere schaffen will. Sehr lobenswert, doch die Früchte dieser Initiative werden Spieler wohl erst in einigen Jahren ernten.

Viel entscheidender könnte auf kurze Sicht ein Titel sein, der noch dieses Jahr erscheint: <4PCODE cmd=DGFLink;name=Half-Life 2;id=1172>. Das Team von Valve weckte mit seinen Trailern so viele Hoffnungen, dass viele Experten gerade im Bereich der Physik und Spielwelt eine kleine technische Revolution prophezeien.

Aber nicht nur im Action-Bereich würde so der Stillstand durchbrochen werden: Adventures, Rollenspiele, Sportspiele - alle würden von neuen Gütesiegeln à la „komplett mit Schwerkraft“ profitieren. Wer hätte vor der E3 noch gedacht, dass ein Shooter diese Vorreiterrolle übernehmen könnte?

Noch ist alles optimistische Spekulation, aber dieser Spielewinter könnte abseits von Konsolendebatten, Filmlizenzen und Nachfolgeorgien endlich mal wieder innovative Zeichen setzen.

Jörg Luibl
4P|Textchef