Knopfdruck-Deckung? Nein, danke!
Ein Kommentar von Benjamin Schmädig, 27.05.2008

Ich bin ja Langsam-Spieler. In jede Ecke schauen, umsichtig vortasten, einen gewiefte Taktik austüfteln - das dauert eben. Vielleicht ziehen mich deshalb neben Ego-Helden vor allem Stealth- und Action-Spione in ihren Bann. Zwei Gegner laufen im Süden Patrouille, einer zieht links von mir vorbei, drei direkt vor mir. Man ist inmitten der feindlichen Linien, nutzt die Umgebung als Deckung, schaut um Ecken, spioniert den Feind Stück für Stück aus, tastet sich behutsam vor - im richtigen Moment dann der Zugriff. Sogar im rasanten Shooter-Alltag plane ich den hektischen Gewaltausbruch, wann immer es geht, im Schneckentempo.

Und irgendwie ist das richtig in Mode gekommen. Spätestens seit Epic die Idee kam, klassische Action mit Taktik und Kinoflair zu vereinen, wird die Grenze zwischen Ego-, Third-Person- und Taktik-Shooter stetig schmaler. Der deutlichste Auswuchs dieser Mode: Auch, was ehemals ein reinrassiger Ego-Soldat geworden wäre, geht neuerdings hinter Wänden, Stahlträgern, Kisten, Plüschtieren, Plastikenten, wasweißichnichtalles in Deckung. Ich kann's nicht mehr sehen! Da reißt selbst die erzwungene Verwandtschaft zu Fisher, Snake & Co. nichts raus. Denn das abgeschaute Prinzip, das Umsehen aus der Deckung heraus, hat in einem rasanten Shooter nichts verloren!

Shooter-Helden wollen sich nicht durch feindliche Linien schleichen - sie machen feindliche Linien schlicht und ergreifend platt. Shooter-Helden wollen sich nicht behutsam umschauen, sie wollen erst schießen, dann fragen. Shooter-Helden wollen nicht eine gelegentliche Salve über eine Steinwand feuern, sie wollen sich ins Gefecht stürzen. Und genau diesen Eindruck sollen Gears of War, Uncharted, Dark Sector oder GTA IV auch vermitteln.

Genau deshalb wirkt es aber so befremdlich, dass deren Helden neuerdings per Knopfdruck in die Deckung geschubst werden müssen. Offene Gefechte erleben sie kaum noch, weil sie dort schneller ihr Leben lassen als Gevatter Tod Aufträge ausführen kann. So werden martialische Supersoldaten am Mauerwerk festgenagelt - von dem sie zu oft nicht schnell genug wegkommen, wenn ein Gegner neben ihnen auftaucht. Man muss ja erst eine Taste drücken, eine Animation abwarten - und wenn's nur eine halbe Sekunde ist - dann darf man zielen. Hätt's früher nicht gegeben. Aus gutem Grund!

Denn wo ist der Vorteil zur klassischen Ego-Action, bei der man sich einfach in die Richtung des Feindes drehen und schießen darf? Was ist veraltet am eigenen, aktiven Deckungsverhalten? Ein Deckungsverhalten, mit dem man nicht dazu gezwungen war, per Tastendruck erst irgendwo hin zu hechten - darauf hoffend, dass das Programm auch die gewünschte Ecke wählt, anstatt einen unvorteilhaften Vorsprung vorzuziehen? Ganz zu schweigen davon, dass man meistens nicht mal schießen darf, während der Held gerade in Deckung rutscht. Die Bewegungen sind zäher, die Steuerung träger als die herkömmlicher Blockbuster.

Das Schlimmste an der neumodischen Unart: Spielerisch versinken die Gefechte im Schlund der Langeweile. Das von Taktik-Shootern abgeguckte Prinzip funktioniert in reinen Shootern einfach nicht. Die Widersacher dürfen nämlich längst nicht so geschickt agieren wie ihre Pendants in Taktik- oder Ego-Shootern. Man ist schließlich in der Deckung gefangen, die schnelle Flucht ist wie gesagt kaum möglich. Wäre ja blöd, wenn die Gegner jetzt so clever wären, ihre Überzahl mit einem schnellen Vorstoß auszunutzen. Oder einen womöglich einzukreisen. Undenkbar! Klar, gelegentlich versuchen sie's. Blöd nur, dass schon ein kurzer Feuerstoß in ihre Richtung reicht, um die theoretisch nervenaufreibende Attacke auszubremsen. Meistens stürmen die Feinde also häppchenweise ein Areal, um den Großteil des Gefechts in irgendeiner Ecke zu verbringen. Packend. Und der Spieler? Sucht sich einen der Langweiler aus, wartet auf den richtigen Moment und wirft im entscheidenden Augenblick ein paar Kugeln in Richtung Fadenkreuz. Spannend. Mir fehlt echte Taktik. Mir fehlt echte Shooter-Action. Das neumodische Zweierlei hat weder noch - DA liegt das Problem.

Der Vorteil des Mischmasch? Wenn der Protagonist bei Schusswechseln aus der Deckung heraus im Bild ist, kracht es wie auf der großen Leinwand. Als würde man die szenischen Eskapaden eines Michael Bay vom Kinosessel aus genießen. Die Kamera wackelt, die Helden ballern ohne Hinzuschauen aus dem Handgelenk - der Hollywood-Effekt hat seit Gears of War spürbar angezogen. Cool! Tatsächlich ist das blinde Feuern sogar eine sinnvolle Errungenschaft.

Aber wieso werde ich dazu in einer starren Position festgehalten? Was beim geruhsamen Taktieren oder Schleichen nicht stört, hemmt doch die flotte Action. Seit ID Softwares Uralt-Klassiker habe ich mir meine Deckung selbst gesucht, konnte mit einem Druck auf die Richtungstasten um die Ecke schießen und habe mich anschließend wieder in Sicherheit gebracht. Hat doch prima funktioniert! Und unterscheidet sich nur dadurch von der aktuellen Unart, dass es schneller und adrenlinhaltiger ist. Überraschende Situationen stehen in Ego-Shootern deshalb auf der Tagesordnung. Wenn ich an die packenden, abwechslungsreichen Fern- UND Nahkämpfe im drei Jahre alten F.E.A.R. denke, kann ich beim Anblick einiger aktueller Gefechte jedenfalls nur gähnen. Überall das gleiche starre Bild. Das heißt: Theoretisch geht es ja anders. Army of Two zeigt zumindest im Ansatz, wie man Third-Person-Shooter spielen kann. Dort darf man nämlich blind über die Deckung ballern, ohne sich per Knopfdruck dort festzunageln oder gar beim Draufzulaufen gleich automatisch dort hängenzubleiben. Geht doch! Wieso ist das die Ausnahme?

Bei der Konkurrenz hingegen reißt selbst der Gedanke an den virtuellen Kinosessel oft nichts raus. So klasse das Geschehen an der filmischen Oberfläche glänzt, so einschläfernd wirkt das eigentliche Geschehen. Im Zweifelsfalle bin ich deshalb lieber aus der Sicht eines Freiheitskämpfers live dabei, anstatt müdes "Über-die-Kiste-Ballern mit wackeliger Handkamera" zu bewundern. Ich bin ja Langsam-Spieler. Aber auf diese Art langsam und spielerisch öde muss es dann doch nicht sein!

Benjamin Schmädig,
Redakteur


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