Quo vadis, Nintendo?
Ein Kommentar von Jörg Luibl, 27.05.2008

Die Games Convention ohne Nintendo? Das ist wie eine Weltmeisterschaft ohne Brasilien, wie eine Olympiade ohne die Vereinigten Staaten. Wenn der Rekordhalter fehlt, dann verblasst das ganze Großereignis. Mit einem Schlag fehlen japanischer Glanz und Prominenz. Wie viel Wert hat eine europäische "Leit-Messe" überhaupt noch ohne den weltweiten "Leit-Publisher"? Auf jeden Fall weniger.

Diese Absage ist ein Schlag ins Gesicht für die Veranstalter, die mit ihrem sächsischen Finale noch mal ihr Organisationstalent unter Beweis stellen wollen, bevor die Show an den Rhein wechselt. Angeknackst war das Image der GC aufgrund des Umzugs ohnehin. Und wenn jetzt noch ein weiterer großer Publisher wie Microsoft, Sony oder EA abspringt, dann muss Leipzig sogar den Dominoeffekt befürchten.

Aber viel wichtiger als die nicht immer nachvollziehbare Verbands- und Messepolitik ist zum einen die nachvollziehbare Enttäuschung bei den Besuchern. In vielen Foren sind Ärger sowie Verwunderung bei denen zu spüren, die sich vielleicht auf die Mariomacher gefreut haben. Schließlich haben diese Fans mit ihren Euros dafür gesorgt, dass Nintendo so unglaublich erfolgreich ist. Nintendo reitet auf einer Siegeswelle durch ein ganzes Spielejahr, dominiert die Verkaufscharts und die Werbespots, erobert immer neue Zielgruppen und lässt die Konkurrenz so alt aussehen, dass viele Publisher in einer hysterischen Goldgräberstimmung mit ihren Casual Games-Labels noch schnell die Claims der Zukunft abstecken. Alle äffen Nintendo nach, weil der Erfolg den Japanern Recht gibt.

Wäre nicht Leipzig der ideale Ort, um sich für die phänomenale Kauflust und Treue in Form eines coolen Messestandes zu bedanken? Hätte ein so wichtiger Mann wie Miyamoto, den die New York Times kürzlich als "Walt Disney" einer neuen Generation bezeichnete, seine Vision der Spielezukunft nicht auf der europäischen Leitmesse verkünden können? Hätte man nicht wenigstens ein paar Yoshis unters Volk werfen können? Mal ein Mario Kart-Turnier veranstalten? Ein paar übergroße Zeldafiguren auftreten lassen? Pikmin-Kuchen verteilen? Fitnesstrainer synchron auf einer Bühne performen lassen? Irgendwas.

Stattdessen will man mit einer Roadshow durch ganz Deutschland tingeln, um die eigenen Spiele "direkt erlebbar" zu machen. Hoffentlich macht man mit dem Tourbus nicht nur vor Arztpraxen und Altersheimen halt, um Gehirne und Gelenke der Senior Gamer fit zu machen. In Leipzig hat sich vor allem die Jugend getroffen - die Gänge waren immer rappelvoll mit Kids, Teens und jungen Erwachsenen. Hoffentlich denkt Nintendo noch an all die Zocker, die ihre Konsole auch noch für etwas anderes als den IQ, die Schule oder den Body Mass Index gebrauchen wollen. Ich denke da an Spaß, Spannung und Nervenkitzel.

Nintendo muss aufpassen. Aus der virtuellen Erstfaszination der Anfangszeit, in der Nunchuk und Remote auch bei mir für ein neues Spielgefühl sorgen konnten, ist für viele Hardcore-Zocker eine späte Ernüchterung geworden. Vor allem bei jenen Vollblutzockern, die nicht mit buntem Kleckerkram und WiiWare für die ganze Familie abgespeist werden wollen. Alle jene, für die Spiele wie Zelda, Eternal Darkness, Metroid Prime, Golden Eye & Co die wahren Spiele sind. Man sehnt sich auch auf Wii nach diesen Spielen. Man vermisst die großen Abenteuer. Und man wartet auf neue Helden, die Mario & Co mal mit frischen Impulsen zur Seite stehen. Sadness? MadWorld? Lediglich Zack & Wiki konnten das bisher leisten - und die kamen nicht von Nintendo.

Es gibt für mich keine nachvollziehbare wirtschaftliche oder organisatorische Begründung für diese überraschende Absage an Leipzig. Ist es Sparsamkeit? Ist es Arroganz? Oder ist es tatsächlich die Angst vor der eigenen Schwäche - also dem eigenen Spieleangebot in der zweiten Jahreshälfte? Hat Nintendo nix? Wenn die Super Smash Brüder Ende Juni auch endlich in die deutsche Arena steigen, dann erscheint hierzulande immerhin das letzte interessante Spiel.

Für uns auf Presseseite ist das Thema Nintendo schon lange durch - es kommt nichts mehr. Ende Juni klafft auch ein schwarzes Loch für alle Zocker da draußen. Es gibt noch keine große Ankündigung. Man weiß von nichts. Oder ist das alles Teil der Strategie? Quo vadis, Nintendo? Die große Schweigsamkeit hat laut Satoru Iwata tatsächlich taktische Gründe:

"Wenn neue Informationen zu früh veröffentlicht werden, habe ich schon gar keine Lust mehr auf ein Spiel, wenn es dann irgendwann erscheint. Darum versuchen wir diese Neuigkeiten für uns zu behalten, bis es wirklich nicht mehr anders geht."

Natürlich muss man den Japanern diesen kalifornischen Joker zutrauen. Nicht erst nach dieser Absage schaut alles gebannt auf die wahre Leitmesse dieser Branche: Auf die E3. Denn dort will Nintendo nicht nur das komplette Line-up mit "großartigen neuen Inhalten" enthüllen, sondern auch dieses eine "große Spiel" ankündigen, das "Ende des Jahres" erscheinen soll und das laut Reggie Fils-Aime "jeder haben will".

Hoffentlich wird es nicht Wii Sports 2.


Jörg Luibl
Chefredakteur


PS: Wir nehmen übrigens gerne Tipps an. Was glaubt ihr, steckt hinter jenem großen Spiel, das alle begeistern wird? In der Redaktion werden folgende Titel favorisiert: Nintendogs Wii, Star Fox Wii, F-Zero, Pokemon Wii, 1080: Avalanche mit Waffen und Balanceboardunterstützung. Es gibt nur einen einsamen Zelda-Jünger, der tatsächlich auf die frühe Wiederkehr der Zipfelmütze hofft. An Mario und Metroid glaubt niemand.