Der Forenmob lyncht GTA IV?
Ein Kommentar von Jörg Luibl, 05.12.2008

Bestraft sie! Macht sie nieder! Boykottiert sie! Wer gerade durch die Foren wandert, kann schon fast die Fackeln sehen, die sich Rockstar Games nähern. Und 4Players. Und allen anderen Magazinen, die GTA IV seit Tagen national und international auf dem PC feiern. Es wird kurz vor Weihnachten noch mal richtig heiß. Ein aufgebrachter Mob textet seinen Frust ins Netz, angetrieben von der Wut über die schlampige Umsetzung von GTA IV. Und man fordert schnelle Wertungsjustiz: Abwerten! Review zurückziehen! Neu testen! Redakteur feuern!

Wir können diese Aufregung sehr gut verstehen. Wir haben eine grundsätzliche Sympathie für harte Maßnahmen. Wir stehen am liebsten auf Seiten der Zocker. Und wir setzen gerne Zeichen, wenn es nötig ist. Aber in diesem Fall muss man genau hinschauen und differenzieren, denn da wird vieles in einen Topf geworfen, damit die Entrüstung auch möglichst überkocht - GTA IV zieht einen Rattenschwanz an brodelnden Zutaten hinter sich her, die aus ganz unterschiedlichen Gründen für Aufregung sorgen: Kopierschutz & DRM, aufgezwungene Programminstallation, Games for Windows Live, PC-Umsetzungen und natürlich GTA als solches.

Uns interessiert das Prozedere vor Spielbeginn nur am Rande - bei uns beginnt die Spielerfahrung und damit die Kritik erst in dem Moment, wenn wir "Press Start" drücken. Wie bei Half-Life 2 informieren wir natürlich über Dinge wie eine Online-Aktivierung oder auch über die Länge der Ladezeiten bei Crysis, aber all das ist nicht wertungsrelevant. Auch die hitzige Besitzdebatte wie sie z.B. rund um Spore & Co geführt wurde, hat für uns heute und in Zukunft keinerlei Wertungsrelevanz!

Bei allem Verständnis für den Ärger der Spieler, bei denen Rockstars Action nicht oder nur schlecht läuft: Zwischen dem aktuellen Fall GTA IV, das wir trotz seiner Fehler auszeichnen, und Gothic III: Die Götterdämmerung, das wir aufgrund seiner Fehler als mangelhaft eingestuft haben, liegen einfach Welten. Und zwar Welten, was die Art, die Häufigkeit und die Qualität der Fehler angeht. Wer uns Inkonsequenz vorwirft, sollte unsere Ausgangslage wenigstens zur Kenntnis nehmen.

Das Spiel läuft auf unserem nVidia-Rechner sauber, sieht hervorragend aus und setzt im Bereich Open World auf PC einfach Zeichen. Auch auf unserem ATI-Rechner gab es weder Start- oder Installationsprobleme noch derart schwerwiegende Fehler, wie sie anderswo beschrieben werden. Im Gegenteil: GTA IV läuft auch hier! Ja, mit den im Test beschriebenen, aber weder Spielfluss noch Logik hemmenden Grafikfehlern. Die sich aber bei uns in einem Rahmen bewegen, wie man ihn auch bei Fallout 3 zwischen Xbox 360 und PS3 feststellt! Da haben wir auch nicht aufgrund der Flackerschatten oder ein paar Clippings abgewertet, weil das Spielerlebnis davon nicht beeinträchtigt wird. Und genau so ging es Paul unter der ATI-Konfiguration. Selbst unsere Erlebnisse auf diesem PC hätten also nicht mal ausgereicht, um auf "gut" abzuwerten!

Wir können nur beurteilen, was wir erleben. GTA IV hinterließ auf zwei Rechnern einfach nicht den Totalschrott, der jetzt trotz zig internationaler Awards ohne den Hauch einer Kritik an Installation oder Technik durch die Foren scheppert. Wäre dieser Bughaufen bei uns so angekommen, hätten wir sofort den Stempel "mangelhaft" gezückt! Warum sollten wir den zurückhalten? Wenn wir ehrlich und spielbezogen urteilen wollen, können wir aber nur unseren Standpunkt und unsere Erfahrung mit GTA IV als Maßstab für die Kritik nehmen. Wenn wir spektakulär und klickgeil agieren wollten, hätten wir die aktuelle Forenaufregung natürlich als Rückendeckung für die Demontierung dieses starken Namens ausgenutzt: Hey, was gibt es Aufregenderes als einen GTA IV-Verriss bei 4Players.de? Wo wir doch gerade in einem Flow der Kritik sind?

Das wäre allerdings nur möglich gewesen, wenn wir uns selbst und damit unser Verständnis von Fairness betrogen hätten. Wir hätten unsere eigenen Erfahrungen aus billigen Gründen einfach ignoriert und wären mit einer Fackel auf den Zug der Entrüstung aufgesprungen - denn mit dem kann man jetzt ganz bequem fahren. Es gibt sogar Magazine, die erst laut jubeln und nachträglich abwerten, weil sie nach ein paar Tagen bemerken, wie fehlerhaft GTA IV auf einmal ist...

Etwas Forenrummel kann scheinbar schon zu etwas mehr Sorgfalt führen. Man stelle sich das als Redaktionsmaßstab vor: Wenn wir grundsätzlich auf die Stimmung in den Threads "Bugs & Probleme" hören und anschließend darauf reagieren würden, könnten wir die Rubrik PC-Test hier gleich ganz einstellen! Uns sollte die Aufregung in Foren zwar journalistisch interessieren, sie ist uns nicht egal, aber sie darf für die Wertungsfindung keine Rolle spielen. Erst in dem Moment, wo sich der Frust des Testers mit dem Frust der Community deckt, siehe Gothic 3 oder STALKER: Clear Sky, kann man daraus erwiesene Schlüsse und Konsequenzen ziehen! Aber manchmal decken sie sich eben nicht: Ich habe z.B. STALKER 85% gegeben und keine Probleme gehabt!

Aber nachträglich das selbst Erlebte ignorieren? Wenn hier Redakteure durch New York in aller Pracht cruisen? Das machen wir nicht mit. Wir können nicht beurteilen, was andere frustriert. So wichtig die Foren für die Selbstreinigung der Medien sind, und so sehr ich sie als Kontrapunkt in der öffentlichen Meinungsbildung schätze, darf man die Nachteile dieser kollektiven Dynamik nicht vergessen. Wenn Volkes Stimme brüllt, gehen einfach viele Zwischentöne unter und es wird schnell hysterisch. Plötzlich ist z.B. davon die Rede, dass man nur online speichern könne oder dass die Bugs selbst Gothic III-Ausmaße erreichen würden oder dass GTA IV nur auf einem unserer Systeme lief - das ist alles Unfug!

Wir können nur beurteilen, was wir erlebt haben. Und diese Katastrophen, über die sich manche ja zu Recht aufregen, haben wir einfach nicht erlebt. Ich mache gar keinen Hehl daraus, dass es sich für uns gerade besonders bescheuert anfühlt, wie der Anwalt eines Herstellers zu wirken und die Axt der Kritik gegen die Stimmung im eigenen Forum zu richten. Das ist sogar regelrecht zum Kotzen. Aber letztlich ist uns die erlebte Qualität des Spiels wichtiger als die künstliche Befriedigung irgendeiner Abstraferwartung.

Deshalb bleiben wir bei unserer Wertung.


Jörg Luibl
Chefredakteur