iPhone: Ernüchterung nach Euphorie
Ein Kommentar von Julian Dasgupta, 22.05.2009

Alle Jahre wieder erscheint ein Produkt, welches mit gewohnten Paradigmen bricht und den Markt gehörig durcheinanderwirbelt - manch Analyst nennt das 'disrupting the market'. Einen solchen Moment konnte man im Frühjahr 2006 erleben, als Nintendo einen kleines weißes System enthüllte, das sich weigerte, beim Wettrennen um die schnellste Hardware der Generation mitzumachen, sondern stattdessen einen neuen Steuerungsansatz bot. Und genau so wurden Nutzer angesprochen, die bis dato als potenzielle Zielgruppe ignoriert worden waren.

Den traditionellen Handhelds war schon vor Jahren harte Konkurrenz durch Mobiltelefone prophezeit worden - ein Versprechen, das weder Software noch Anspruch bisher einlösen können. Zwar gibt es durchaus ein paar interessante Titel, insgesamt ist der Markt jedoch zu unübersichtlich, die Bildschirme sind zu klein und die Steuerung ist bei den meisten Geräten zu schlecht. Die Spielebibliothek wird - das ist zumindest der Eindruck, den man gewinnen kann - von Remakes oder kostengünstig entwickelten Ablegern 'großer' Spiele dominiert.

Einige Hersteller, auch deutsche, haben es sich in dieser Nische bequem gemacht, aber bei den großen Publishern sind Handy-Spiele derzeit eher ein Zubrot. Das Mobiltelefon ist zwar theoretisch ein System, aber praktisch sind es immer noch viele kleine Plattformen, bei denen gerätespezifische Anpassungen notwendig sind - Java hin oder her.

Den ersten ernsthaften Versuch, einen markanten Fußabdruck im Spielebereich zu hinterlassen, unternahm Nokia mit dem N-Gage. Trotz aller Erfahrung im Mobilbereich schafften es die Finnen jedoch, eines der unattraktivsten Geräte seiner Generation zu entwickeln, das bei manchen Nutzern aufgrund der Handhabung beim Telefonieren auch spöttisch als 'Taco am Ohr' bezeichnet wurde. Es bleibt auf ewig ein Rätsel, wie ein System durchgewunken werden konnte, bei dem man den Akku herausnehmen musste, wenn man ein anderes Spiel einlegen wollte. Das später nachgeschobene N-Gage QD konnte auch nichts mehr retten, erschien es doch zu einem Zeitpunkt, als die meisten potentiellen Kunden bereits ihr Interesse verloren hatten.Vor einiger Zeit hat der Hersteller die Marke wieder aus der Mottenkiste geholt und das Konzept geändert - statt eines speziellen Geräts bezeichnet man damit jetzt eine Reihe von Handys, die bestimmten Kriterien entsprechen. Als Konkurrent für gängige Handhelds kam das Ganze allerdings nicht mehr in Frage.

Vor knapp zwei Jahren kündigte Apple ein Produkt an, das von vielen Spielern vermutlich gar nicht oder nur am Rande wahrgenommen wurde: Das iPhone. Ob Nintendo und Sony intern etwas besorgt die Stirn gerunzelt haben, ist nicht überliefert, nach außen hin gibt man sich seit jeher gelassen: Das Gerät spreche doch einen anderen Kundenkreis an als die eigene Hardware.

Heute gehört das iPhone aber zu den heißesten Gesprächsthemen in der Branche; man trifft selten Entwickler, die nicht irgendwelche Pläne für die Hardware haben oder dies zumindest behaupten. Der Stellenwert als Spieleplattform wurde auch auf der Game Developers Conference 2009 deutlich, denn dort wurde Neil Young, Gründer der iPhone-Spieleschmiede ngmoco, die Ehre zuteil, eine der drei Grundsatzreden der Veranstaltung zu halten.

Heute besitzt das iPhone als Spieleplattform einen Stellenwert, den man so schwerlich voraussagen konnte. Zum einen hatte Apple selbst bei der Enthüllung des Gerätes vor allem die drei Funktionen Telefonieren, Musik und Videos herausgestellt, zum anderen hatte gerade dieser Hersteller bisher keinen Spieleschwerpunkt. Vom missglückten Konsolenunterfangen Pippin mal abgesehen, steht im PC-Bereich fest: Wer spielen möchte, kommt mittelfristig um Windows nicht herum. Gelegentlich ließ der Hersteller zwar verlauten, eine neue Spieleinitiative in Gang zu bringen, um das Betriebssystem-Monopol aufzubrechen - den Worten folgten jedoch für gewöhnlich keine Taten. Firmen wie Valve nahmen die Bemühungen schon lange nicht mehr ernst , zumal Spieler mit Apple-Hardware seit dem Umstieg auf Intel-Chips ohne Umwege und Emulatoren auch Windows als zweites Betriebssystem nutzen können.

Mittlerweile haben sich iPhone und iPod Touch jedoch über 30 Millionen Mal verkauft und können somit von keinem Dritthersteller ignoriert werden. Das iPhone-SDK ist problemlos verfügbar, mit 99 Dollar ist die Teilnahme am Entwicklerprogramm auch für Hobbyisten problemlos erschwinglich. Der Umsatzanteil, den Apple einbehält, ist mit 30 Prozent durchaus fair - wer seine Software über Plattformen wie Xbox Live oder Steam verkauft, muss prozentual gesehen mehr abgeben.

Es herrscht also Goldgräberstimmung, denn vor allem Erfolgsmeldungen geistern durch die Community; Geschichten über Leute, die mit ihrem kleinen Hobbyprojekt plötzlich binnen weniger Tage so viel Geld einnahmen, dass sie ihren Job kündigen konnten und sich hauptberuflich ihrer einstigen Freizeitbeschäftigung hingeben. Wer hört, dass sich Flight Control  über 700.000 Mal verkauft haben soll, dürfte fix im Kopf nachrechnen, wie hoch die Einnahmen bei einem Preis von 79 Cent ausgefallen sind, wenn man Apples Anteil abzieht: Jackpot! Aber wie beim Glücksspiel gilt auch hier: Die Mehrheit ist nicht mit so viel Glück gesegnet.

Der Grund ist schnell ersichtlich, wenn man mal einen Blick in den AppStore wirft und alle Spiele aufzählen lässt, kommt man dort doch auf zigtausend Einträge. Bis zum Erscheinen dieses Artikels werden noch Dutzende hinzugekommen sein. Bei einer derartig schnell wachsenden Masse fällt es schwer, sichtbar zu sein. Es besteht kein Zweifel daran, dass derzeit mehr Leute und Firmen in den Markt drängen, als dieser eigentlich verträgt. Größere Unternehmen werden entsprechende Fehlschläge wegstecken können, aber mit Risikokapital aufgepumpte Start-ups könnte da schneller die Luft ausgehen als bei einem Ballon, der mit einem Igel Bekanntschaft macht. Wer sich spektakulär verzockt hat und händeringend Mittel und Wege sucht, um auf iPhone und Co. doch irgendwie Geld zu verdienen, wird man wohl spätestens 2010 sehen.

Apple dürfte das wenig scheren, so lange der Gesamtumsatz stabil bleibt. Während die Gewinnbeteiligung an den Musikverkäufen eher gering ist, da man die Label gnädig stimmen will und die Inhalte als Vehikel nutzt, um iPods zu verkaufen, verdient man im AppStore deutlich mehr pro Item. Auch lassen sich Kunden hier wesentlich stärker an die eigene Plattform binden. MP3-Dateien können auf so ziemlich allen erhältlichen tragbaren Playern abgespielt werden, auch iTunes-Inhalte lassen sich mehr oder weniger direkt umwandeln und sind dann nicht zwingend an iPods gebunden - Spiele für iPod Touch oder iPhone hingegen sind nur dann auf anderen Geräten verfügbar, wenn sie von den Herstellern portiert werden und portiert werden können.

Dass Jobs & Co Blut geleckt haben, legt auch die Personalplanung nahe: Vor ein paar Wochen hat man mit John Teversham einen der Strategen aus der Xbox-Division verpflichtet. Mit Bob Drebin verstärkt außerdem einer der Entwickler des GameCube-Grafikchips das Unternehmen. Kürzlich wurde gar spekuliert , dass Apple ein Übernahme von Electronic Arts ins Auge gefasst hat, was man sich auf Basis der derzeitigen Geldreserven durchaus leisten könnte. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt zeugen solche Gerüchte davon, dass die Spielebranche Apple mittlerweile ganz anders sieht als noch vor ein, zwei Jahren - und umgekehrt.

Ein "PSP-Killer" oder gar "DS-Killer" sind iPhone und iPod Touch nicht wirklich. Nicht alle Genres und Spiele lassen sich mit Touchscreen so gut spielen wie mit echten Knöpfen. Die lassen sich zwar auch auf einem Display darstellen, dort jedoch mangelt es an der Haptik und der Präzision. Wer Spiele vom Kaliber eines God of War oder New Super Mario Bros. sucht, wird ebenfalls nicht fündig, da diese sich schlecht für fünf bis zehn Dollar verkaufen lassen und außerdem Präsenz im traditionellen Handel benötigen.

Wahrscheinlich ist, dass sich das iPhone als dritte Säule etablieren, den Markt erweitern sowie Nintendo und Sony einige Kunden abjagen wird. Wer sein Spielebedürfnis mit dem Apple-Gerät befriedigen kann, wird sich kaum einen separaten Handheld kaufen. Auch für kleine Entwickler aus dem Independent-Bereich dürften die Geräte ein interessanter Tummelplatz sein, denn die Einstiegsschwelle ist wesentlich geringer als bei der schwerfälligen Konkurrenz, die erst ihre Devkits bereitstellen muss.

Dem allgemeinen Hype sollte man als Entwickler dennoch mit gesunder Skepsis begegnen, besonders dann, wenn man sich erst jetzt in den Markt wagen möchte. Er wird wird über einzelne Geschichten generiert, und den meisten Lärm machen jene, die bereits ordentlich in diesen Bereich investiert haben. Das Blöken gehört zum Tagesgeschäft von Leuten aus dem Risikokapitalbereich, lässt sich dort doch fast wie bei einem Pyramidensystem am besten schnell Geld verdienen, wenn man mehr Kapital und Investoren in den eigenen Markt zieht und so dafür sorgt, dass der Wert der eigenen Anteile im Windschatten der Aufbruchsstimmung fix steigt. Börsengänge mit lächerlich überbewerteten Unternehmen sind wahrlich nichts Neues, Übernahmen durch größere Konzerne, die in der Panik, einen Trend zu verpassen, wahnwitzige Summen zu zahlen bereits sind, ebenso wenig.

Wie bei allen Blasen gilt jedoch - irgendwann ist auch aus dieser die Luft raus.


Julian Dasgupta
Redakteur