Die Kritik & der Fan
Eine Kolumne von Jörg Luibl, 27.02.2004

2004 war Lessingjahr . Und was hat der sächsische Gelehrte aus dem 18. Jahrhundert mit der Spielewelt zu tun? Ganz einfach: Er ist der Vater der deutschen Kritik - und damit auch der Urahn der Spielekritik!

Ja, da müssen auch die Ikonen der Power Play und PC Player ehrfürchtig zurückweichen: Nicht Boris Schneider-Johne, nicht Heinrich Lehnhardt, nicht Jörg Langer, sondern Gotthold Ephraim Lessing hat die Saat der kritischen Tests gesät. Er ist der erste engagierte Verfechter schonungsloser Besprechungen und harter Rezensionen - egal ob Buch, Drama oder Komödie.

Sein Verdienst ist es, die Kritik als journalistische Darstellungsform etabliert und ihren Stellenwert gefestigt zu haben. Denn schon anno 1770 gab es jede Menge Gegenwind aus den Reihen der empörten Fan-Masse, der Leser und Theatergänger, wenn Lessing mit spitzer Feder Schauspieler tadelte oder den Stil anprangerte.

Was hat das mit 4Players zu tun? Ein Blick in die Foren genügt, um zu wissen, dass die Kritik an der Kritik quicklebendig ist. Also muss auch ihr Recht zur Sprache kommen, wenn die größten Feinde mal wieder Zeter und Mordio schreien.

Doch Vorsicht: Es geht hier nicht um den aufgeklärten Leser. Nein, es geht um die besondere Spezies des Fans. Und in der Spielebranche gibt es sie überall, sie lauern hinter jedem Genre, hinter jeder Kultserie - egal ob CounterStrike, Tomb Raider oder Fifa.

Und der Fan war schon immer ein Weichei, wenn es um seine Lieblinge ging. Er ist eben nicht nur Anhänger, Bewunderer und Lobhudler, sondern auch eine Heulsuse, die vor lauter Tränen den Blick für Verhältnismäßigkeit verliert:

"Nur 81%? Achh, ihr habt doch keinen Plan! Das Teil hat mindestens 82% verdient!"

Oh, wie würde sich ein Eiskunstläufer über acht von zehn Punkten freuen! Wie würde der 1. FC Köln bei acht von zehn Punkten jubeln! Und der Spiele-Fan? Jammert und nörgelt selbst dann um mickrige Pünktchen, wenn ein Spiel nicht verrissen, sondern für gut befunden wurde! Ganz schlimm wird`s, wenn er gleichzeitig den Patrioten raushängen lässt. Denn dann gesellt sich zur Andy Möller-Mentalität auch noch die nationale Beschränktheit:

"Gerade deutsche Entwickler sollte man etwas wohlwollender behandeln!"

Natürlich nicht! Schlecht ist schlecht, und gut ist gut. Es muss dem Kritiker vollkommen egal sein, ob ein Titel in Tokyo, Washington, Prag oder Flensburg produziert wurde. Mal abgesehen davon, dass fast alle guten Teams der Welt international besetzt sind.

Aber hier geht`s nicht um Vernunft, sondern um Emotionen: Der Fan fühlt sich im Recht, wenn es um sein Baby geht. Er sehnt sich wie eine fürsorgliche Mutter nach Anerkennung, wenn es um seinen Spielspaßnachwuchs geht. Ist ja auch verständlich: immerhin hat oder will er ja ein Schweinegeld dafür bezahlen. Und was sollen die Kumpels sagen, wenn man sich ein Game kauft, das gerade als Gurke bezeichnet wurde? Das schmerzt nicht nur den Geldbeutel, das beißt ins Ego.

Dabei kann das Leben so schön sein: Einen freundlichen, überschwänglichen und euphorischen Test zu lesen, ist wie das sanfte Hinabgleiten in eine dampfende, mit duftenden Kräutern lockende Wanne. Vor allem, wenn das gelobte Baby gerade sanft auf der eigenen Festplatte schlummert. Ach, wie das entspannt! Wie da die Spielerseele baumelt!

Doch der Kritiker sollte kein Heilpraktiker, sondern die kalte Dusche sein! Natürlich nur, wenn die Qualität der Erwartung nicht gerecht wird, wenn man gute Gründe für die Abschreckung hat. Und insbesondere, wenn sich schon lange vorher diese schwüle Atmosphäre einschleicht, die die Fans langsam in Wallung bringt, bis sie kurz vor dem Release schwitzen und röhren wie Elche in der Brunft  im Fachjargon Hype genannt:

"Hurrraaaaa! Es ist gooooold! Boah, das musss geil sein, das Teil!!!"

Wer in diesem Zustand äußerster Erregung schon mal nüchterne Bemerkungen wie "Warte doch erst mal ab" oder "Ist nicht mein Fall" in die erhitzte Hofnung eingeworfen hat, weiß, dass die Ultras unter den Fans recht boshaft sein können. Sie sind eben nicht nur hochschwanger, sondern bereits in den Wehen.

Diese emotionale Hysterie kann und muss dem Kritiker schnurzpiepegal sein. Es geht nicht darum, das weiche Gefühl der Masse zu bedienen, sondern den eigenen Eindruck scharf zu formulieren. Ein Spieletester hat das Recht und die Pflicht, negative Urteile zu fällen. Und viele vergessen: In dieser Kritik liegt keine Bosheit, sondern der Wunsch nach besseren, spannenderen und vollkommeneren Spielen!

Daher lasse ich Altmeister Lessing noch mal, leicht modernisiert, zu Wort kommen:

"In der Tat kann keine Spielekultur auf Dauer ohne Kritik bestehen."


Jörg Luibl
Chefredakteur