Der Spieler & die Lust
Eine Kolumne von Jörg Luibl, 05.03.2004

Der echte Zocker ist eigentlich ein asexuelles Wesen mit bescheidenem Balzverhalten. Vor allem der vergebene, verheiratete oder sonstwie in einer Beziehung verhedderte Homo sapiens levelus zwischen Ende 20 und Anfang 30. Alle verliebten Turteltauben unter 20 können jetzt übrigens getrost wegklicken – das ist eine Kolumne für gestrandete Mannsgamer.

Spätestens nach der Erfüllung der biologischen Hauptquest, also wenn der freigespielte Nachwuchs zwischen Controllern und Kabeln krabbelt, herrscht Funkstille im Wohnungsnest. Aus feuchtfröhlichem Techtelmechtel und lustvollem Gekicher wird eine staubtrockene Schreibtisch-Couch-Beziehung - mit kribbelnden Dialogen à la:

Er: “Was guckst du heute Abend?“
Sie: “Ach, mal sehen. Spielst du denn was?“
Er: “Wenn du nichts gucken willst.“
Sie: “Ich muss sowieso Mails checken…“

Das eingespielte Zockerpärchen setzt also auf Hitzfelds Rotationsprinzip: Er am PC, sie vor der Glotze. Sie am PC, er an der Konsole. Während sie sich durch die bunte Ebay-Angebote wühlt, kämpft er sich durch Deus Ex 2. Wenn er vor den Rechner schlurft, schaut sie Frauentausch. Wenn etwas röhrt, dann sind es die Lüfter; wenn es irgendwo funkt, dann ist es der entmagnetisierte Monitor.

Zittrige Hände? Fiebriger Blick? Gerötete Wangen? Klar gibt`s das auch noch. Aber immer nur dann, wenn der Amazon-Mann klingelt! Da rast der Puls, da glühen die Backen: Tür auf, und man steht stramm wie eine Eins! Denn der Anblick des jungfräulichen Päckchens lässt dieses süße Kribbeln in den Nacken schleichen, das die Vorfreude entfacht.

Während der Postbote bereits sichtlich nervös an der Wand lang davonstolpert, streichelt man zärtlich über das Objekt der Begierde, kann nur noch an eines denken: ZOCKEN. Und ist euch mal aufgefallen, dass dieses schöne jiddische Wort auf den hinteren Plätzen eine verblüffende Ähnlichkeit mit diesem obszönen F-Wort hat? Biologisch befindet man sich jetzt jedenfalls im Endstadium der Balz.

Ist die Tür endlich geschlossen, übernehmen nach dem Anfass- sofort der Auspack- und Spieltrieb die Kontrolle über den bebenden Kreislauf. Aber Blut zirkuliert schon lange nicht mehr zwischen Hirnstamm und Schädelrinde – und schon gar nicht da, wo`s beim Roberto Carlos-Freistoß besonders weh tut. Nein, der Lebenssaft schießt zielgenau in die sensiblen Gliedmaßen, die den lustvollen Spaßverkehr garantieren: die Hände!

Ein Rest bleibt reserviert für Beine und Füße, damit man nicht wie ein Trottel sabbernd ins Wohnzimmer taumelt – der Spielehengst ist gierig, aber kein Tier. Doch Vorsicht: Vor die ungezügelte Lust haben die Götter die nervigen Mitmenschen platziert – Frauen, Kinder, Verwandte. Welch ein Glück, dass die Evolution den Zocker wiederum mit einer Geheimwaffe ausgerüstet hat, auf die selbst Alex D. und Sam Fisher neidisch wären: den Tunnelblick – im zweiten Waffenmodus irre glasig.

Wenn man mit dieser rot umrandeten Fieberpupille mechanisch Richtung Wohnzimmer marschiert, haben selbst die härtesten familiären Bossmonster keine Chance mehr: Sie greifen nach Jacken, schreien hysterisch nach Frischluft und nehmen Reißaus!

Oh, du herrlicher Funken der Freiheit: Plötzlich kommt Zunder in die muffigen Schlappen und man geht wieder ab wie eine Rakete! Zur Couch, zum Schreibtisch, dahin, wo die wahren Paläste der Lust warten, der ganze Harem aus gut gebauten Plattformen. Was ist schon ein pralles Babe gegen einen High-End-PC? Gegen Xbox, PS2 und GameCube?


Jörg Luibl
4P|Textchef

Aber wir sind keine Unmenschen. Und schon gar keine Frauenhasser. Also gibt`s noch einen asiatischen Link , damit die Trennung von Spiel und Lust wieder verschwindet!