Die Rennspiel-Frigidität
Eine Kolumne von Jörg Luibl, 02.04.2004

Ein ganz normaler Morgen in der Redaktion. DTM Race Driver 2 ist da. Die Stimmung ist aufgeheizt: Motoren dröhnen, Reifen quietschen, Redakteursaugen glänzen. Eine heitere Menschentraube hat sich vor der Xbox versammelt und fachsimpelt in freudiger Erregung über Speed und Grip, über Sliden und Bremsen:

“Uuiiiiiiieh - schaut euch das an! Cool!“
“Unglaublich. Einfach klasse.“


Während die Kollegen jauchzen, jubeln, ächzen und mit einem Breitmaulfroschgrinsen auf den Fernseher starren, herrscht bei mir vollkommene Gefühlskälte. Kein flammender Genre-Hass, sondern eisige Gleichgültigkeit. Da springt kein Funke, da juckt kein Finger.

Meist verrammel ich mich dann kopfschüttelnd in meinem Büro und warte geduldig auf die ersten Sättigungserscheinungen der gierig rasenden Meute. Jeder sonderbare Hunger ist irgendwann gestillt, dann regiert wieder menschenfreundliches Pro Evolution Soccer 3.

Aber heute, exklusiv für diese Kolumne, versuche ich Interesse zu heucheln. Das geht so: Ich setze einen nicht vorhandenen Kennerblick auf, verschränke die Arme und frage mitten rein ins Genre-Herz unseres hochkonzentrierten Asphaltgurus:

„Besser als Project Gotham Racing 2?“

Die Finger verkrampfen kurz in der Kurve, Blech küsst die Leitplanke. Ein genervter Blick, ein Stirnrunzeln, dann die knappe Antwort:

“Anders.“

Mist, hat er mein Genre-Gebrechen so schnell erkannt? Das war vielleicht nicht die beste Frage. Also mutig weiter:

“Besser als der Vorgänger?“

“Sicher.“

Okay, es hat keinen Sinn. Mehr fällt mir nicht ein, die kreativen Interview-Synapsen sind regelrecht blockiert. Also bekenne ich mich, oute mich: Ich bin absolut Rennspiel-frigide. Ich kann einfach keine emotionale Verbindung zu quietschenden Reifen und Asphaltdonner aufbauen. Es geht nicht. Und je realistischer der Krams, desto unterkühlter mein Verhältnis: Formel 1? Rallye? Haut bloß ab.

Hey, was stimmt da nicht in der Zockerseele? Ein Therapeut hat mal nach Ursachen gekramst und da sprudelte es nur so aus mir raus:

“Ein Auto ist eine verdammte Blechkiste mit vier Rädern! Sie sehen alle gleich aus, fahren auf Straßen von A nach B, sind laut, stinken. Kaum am Lenkrad, mutieren die harmlosesten Spießbürger zu wilden Brüll- und Drängelaffen. Im Berufsverkehr frage ich mich oft, ob die Evolution gescheitert ist...“

Nach diesem emotionalen Ausbruch diagnostizierte die psychologische Fachkraft eine „soziokulturelle Vehikelstörung“. Ach so! Na das beruhigt, bringt alles wieder ins Lot.

Und wisst ihr, was mir der Mann in nasalem Flüsterton mit auf den Weg gegeben hat? Es sei wie bei Arachnophobie, wie bei Klaustrophobie: Man müsse der Gefahr ins Auge blicken.

Ich soll Rennspiele testen…


Jörg Luibl
4P|Textchef