Kalifornische Übersättigung
Eine Kolumne von Jörg Luibl, 25.05.2004

Na, heute schon gerülpst? Mahlzeit. Bereits den zweiten Magenbitter intus? Wohl bekomm`s. Aber wundert euch nicht - das geht vielen so. Ist doch klar, dass selbst gestandene Zocker nach dem größten Frühlingsfest der Spielewelt Dampf ablassen und die Verdauung anregen müssen!

Hunderte Filme, tausende Bildern, zigtausende News: Der kalifornische Spaßballon blähte sich Stunde um Stunde auf, schwebte träge über den Branchenhimmel und überschattete sogar das Bundesliga-Finale. Selbst Pro7 & Co widmeten dem Woodstock der Leveljünger kostbare Sendeminuten.

Jetzt ist alles aus und vorbei. Doch trotz einer Woche medialen Alltags liegt diese Messe noch schwer im Magen - wie ein zu gierig verschlungenes Dutzend Burger oder eine altdeutsche Fleischplatte. Das strengt an, das fordert und beansprucht den ganzen Spielefresser. Was soll unser Downloadmeister sagen? Er kollabierte zusammen mit dem Non-Stop-Upstream und konnte nur künstlich beatmet den FTP füttern.

Wir haben gelesen, geladen, gewartet, geschaut, geguckt, gestiert, gelechzt. Aber wie oft hat man wirklich gejubelt? Zweimal? Dreimal? Oder doch nur bei Legend of Zelda? Selbst wenn so manche DSL-Leitung glühte, konnte der wilde Datenstrom nicht so richtig mitreißen: die Augen konsumierten, das Herz blieb seltsam kalt. Selbst Premieren wie der Killzone-Trailer konnten den Puls nicht erhöhen.

Es fehlten die wirklichen Delikatessen, die Knaller, die Blockbuster. Half-Life 2 roch 2003 noch wie ein leckeres Steak und ließ reihenweise Gaumen triefen. Aber ewig in der Pfanne gewendet und verschoben dampft es mittlerweile nur noch wie ein Schnitzel – ein sehr gutes, versteht sich. Genau so wie Resident Evil 4, Doom 3 oder StarCraft: Ghost.

Aber wenn man genau hinschaut: Macht sich nicht eine Übersättigung breit? Eine Abstumpfung gegenüber technisch hochwertigem, aber spielerisch im besten Fall altbekanntem oder oftmals einfallslosem Unterhaltungsbrei? Wird die Branche nicht künstlich aufgebläht? Ab und zu flackerte Begeisterung auf, aber diese E3 glich eher einem konzentrierten Dauerfeuer als einem spektakulären Feuerwerk.

Trotzdem sitzt man in seinem DSL-Schützengraben und lässt sich gierig abfüttern. Manchmal liegt ja in der Tiefe des aufmüpfigen Magens die Wahrheit: Man stopft sich vielleicht nur deshalb so rappelvoll, weil der eigene Biohaushalt bereits die nächste Hungerperiode ahnt, den Schwarzen Freitag der milliardenschweren Videospielindustrie. Aktiensturz? Publisherpleiten? Valvekonkurs?

Der kalifornische Spieleballon war vielleicht nicht nur mit zu viel heißer Luft gefüllt, sondern flog bereits zu hoch. Die neuen Sternchen heißen Phantom, PSP und Nintendo DS. Ist da überhaupt noch Platz für Handheld-Nachtisch? Dazu 1000 Neuankündigungen für PC, PS2, GameCube und Xbox. Und nächstes Jahr schon Xbox 2, PS3 und GameCube 2. Wer hat so viel Geld? Stimmen Angebot und Nachfrage überhaupt noch überein? Die Sonne der Konjunktur kann jedenfalls unerbittlich sein – Kirch, EM-TV und der TSV 1860 München lassen grüßen.

Ich wünsche mir jedenfalls lieber einen kreativen Knall als ein vernichtendes Branchenbeben. Eine kleine Erschütterung, die alles wieder ins Lot bringt; die Branche und den Zockermagen.


Jörg Luibl
4P|T@xtchef