Kinect: Viel Bewegung, wenig Ideen
Ein Kommentar von Julian Dasgupta, 15.06.2010

Mittlerweile hat auch der dritte Hersteller seinen Einstieg in die Welt der Bewegungen und Gesten vorgestellt. Im Gegensatz zu Sony und Nintendo hat sich jener Hersteller auch ein paar Gedanken über durchaus interessante Anwendungsmöglichkeiten außerhalb der Unterhaltungssoftware gemacht. Schaut man sich aber die gezeigten Spiele an, gilt: Einfallslos, einfallsloser, Microsoft.

Im Vorfeld der E3 hatte man noch getönt : Alles wird größer und noch beeindruckender als im letzten Jahr. Jetzt kann man sagen: Große Klappe, Kinects dahinter.

Wo ist die Aussicht auf Emotionen und reaktiver Intelligenz à la Milo and Kate, mit der Peter Molyenux noch vor einem Jahr ein Spiel für Project Natal präsentierte? Kein Wort dazu. Dass sich die Mannen um Don Mattrick mit der Kamera vor allem um die Gelegenheitsspieler bemühen werden, hat sich angesichts der Äußerungen aller Firmenvertreter und der Reputation der Xbox 360 natürlich schon vorher abgezeichnet. Der Absatz des Systems ist trotz der Preissenkungen in den vergangenen Monaten unter den Vorjahresmarken geblieben und Microsoft dürfte bemerkt haben, dass auch das 50. Halo oder Gears of War den Trend nicht umkehren wird. Wer die Action mag, hat sich ohnehin schon vor zwei bis drei Jahren eine Xbox 360 zugelegt. Dass der Hersteller jetzt versucht, ein größeres Publikum anzusprechen, sei ihm nicht vorgeworfen.

Wohl aber das große Maß an Uninspiriertheit, mit dem er dabei zu Werke geht: Schon der Name wirkt ideenlos, stromlinienförmig und so steril, dass man ihn problemlos in einem OP-Saal verwenden könnte. Man spürt förmlich, wie sich das Marketingpersonal bei der Suche nach einem sinnhaften Titel Highfives gegeben hat, obwohl die Kombination zweier Begriffe die billigste aller Kunstwortbildungen ist.

Ähnlich wie bei Sonys Move-Event kann auch hier gesagt werden: Alles schon mal dagewesen - jetzt halt in technisch fortgeschrittener Form. Kinect Sports versucht weder namentlich noch inhaltlich zu verbergen, was da als Vorlage diente. Mindestens zwei von sechs Disziplinen hat Rare gleich mal direkt von Nintendo übernommen - die Welt des Sports bietet ja bekanntermaßen nicht mehr Vielfalt. Kinctimals kommt heraus, wenn man Nintendogs und EyePets kreuzt, Joy Ride hat schon im letzten Jahr lustloser als ModNation Racers gewirkt und wurde jetzt offensichtlich angepasst, weil Microsoft noch den "Mario Kart"-Punkt auf der Kinect-Checkliste abhaken musste.

Kreativ gesehen hat sich der Hersteller gewaltig in den Windschatten Nintendos gehängt und scheint darauf zu hoffen, dass man dank fortgeschrittener Technologie zum Überholmanöver ansetzen kann. Wenn man sich da mal nicht irrt.

Das Kinect-Line-up ist ein geradezu klassischer Fall eines großen Konzerns, der verzweifelt Innovationen hinterher rennt und den zeitlichen Rückstand mit Marktmacht und dickem Marketingbudget kompensieren will. Das mag in manchen Fällen gelingen (Internet Explorer vs. Netscape), aber sehr oft scheitert man damit. Der Zune ist auch in der jüngsten Version nicht so recht aus den Startlöchern gekommen und die im vergangenen Jahr angekündigte Spiele-Initiative für das Gerät hat man prompt wieder abgeblasen, weil man sich auf Windows 7 Mobile konzentrieren möchte. Und kann sich heute noch jemand daran erinnern, dass die recht klaren Klone You're in the Movies und Lips mal einer der Schwerpunkte einer E3-Veranstaltung Microsofts waren und mit reichlich Tamtam vorgestellt wurden?

Kinect wird das gleiche Problem haben wie PlayStation Move: Viele der Leute, die man ansprechen möchte, nennen bereits eine Wii ihr Eigen. Jahrelang hatten Sony und Microsoft gepredigt, dass die erweiterte Kundschaft, die zu Nintendos Konsole greift, irgendwann 'reifen' und nach optisch knalligeren und inhaltlichen Dinge verlangen wird. PS3 und Xbox 360 bräuchten das Obst dann quasi nur noch von den Bäumen zu pflücken. Dass man sich geirrt hat, ist ebenso offensichtlich wie die ach so überraschende Erkenntnis, die Hersteller von Wii-Software in den vergangenen Jahren gewinnen konnten: Gelegenheitsspieler sind tatsächlich nur 'Gelegenheitsspieler' und geben deutlich weniger aus als die klassische Zielgruppe.

Und ausgerechnet von denen erwartet Microsoft (und natürlich auch Sony), dass sie nochmal Geld ausgeben für etwas, das sie aus ihrer Sicht schon haben. Technisch versierten Naturen ist klar, dass die Erkennung des Körpers bei Spielen wie Dance Central oder Your Shape eine völlig andere und raffiniertere ist und die Kulisse natürlich viel feiner daherkommt. Aber ist das ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal? Gelegenheitsspieler sehen einfach nur weitere Spiele, in denen sie Posen nachahmen sollen - wie eben in Just Dance, Wii Fit, Your Shape, EA Sports Active etc.

Im Herbst aber werden sich sowohl Sony als auch Microsoft um jenen Teil der Kundschaft kloppen müssen, der bereit ist, Konsole UND Zubehör zu kaufen. So der denn nicht - mal gucken, was Nintendo heute auf der E3 noch so ankündigt - sein Erspartes in Wii Vitality oder den 3DS investieren möchte. Da Microsoft sich auf der E3 nicht zum Preis geäußert hat, um einen "599 Dollar!"-Moment zu vermeiden, kann man getrost davon ausgehen, dass der gemutmaßte Kostenpunkt von 150 Dollar stimmen dürfte. Das legten auch (mittlerweile wieder verschwundene) Angebote einiger Händler nahe. Im Bundle mit einer Konsole dürften also immer noch mindestens 250 bis 300 Dollar fällig werden.

Natürlich wird es im Laufe der Zeit auch innovativere Kinect-Titel geben - besonders dann, falls Microsoft die Hardware per XNA Game Studio auch Indie-Entwicklern zugängig machen sollte. Das Start-Line-up ist jedoch unrettbar dürftig. Auch bleibt abzuwarten, wie die Entwickler mit den jetzt schon sichtbaren Einschränkungen des Prinzips zurechtkommen werden. Das Bewegen im Raum ist ohne Controller schwierig, da der Spieler sich selbst nur in einem recht kleinen Bereich bewegen kann.

Das zeigt schon das Star Wars-Spiel - bei dessen Trailer ich die Verzückung einiger Kollegen nicht wirklich nachvollziehen kann. Und damit meine ich nicht mal Geoff Keighley, der sogar anmerkte, er habe angesichts der ach so tollen Qualität zuerst gedacht, es handle sich um vorgefertigtes CG-Material. Was für ein Spiel hat er da bloß gesehen? Die Figur kann sich nur etwas nach links oder rechts bewegen - in die dritte Dimension geht es aber nur durch Gesten ausgelöste Schübe auf Schienen. Für ausgefeilteres Navigieren im Raum wird man letztendlich doch wieder ein Gamepad in der Hand benötigen. Auch der Lag war in einigen Beispielen doch recht auffällig: Ubisofts Child of Eden dürfte sich mit einem Standard-Controller oder Move vermutlich besser spielen - hier warten wir allerdings unsere E3-Spielerfahrungen vor Ort ab.

Trotzdem bleibt festzuhalten: Das bis dato Gezeigte wird bei Nintendo kaum für Schweißausbrüche sorgen - sie sind schon in allen interessierten Haushalten, sie sind das kreative Original. Und wer sich als echter Zocker nicht für Casual/Party-Spiele interessiert, kann Kinect auf absehbare Zeit aus seiner Wahrnehmung streichen, weil weder Molyneux noch sonstwer kreative Visionen gezeigt haben. Dabei hatte Sony mit der ernüchternden Vorstellung des Motion-Controllers vor einem Jahr eine Steilvorlage gegeben. Microsoft hat diese Chance nicht genutzt.


Julian Dasgupta
Redakteur