Das geht auf keine Kuhhaut
Ein Kommentar von Mourad Zarrouk, 22.10.2010

"Phänomen" (gr): Ausnahmeerscheinung; ein mit den Sinnen wahrnehmbares einzelnes Ereignis besonderer Art (Quelle: Wikipedia ).

Eine absolut treffende Bezeichnung für das, was sich hierzulande seit etwa zwei Jahren im Wortsinn "abspielt". Es begann im April 2008 mit der Erstausgabe des Landwirtschafts-Simulator (LWS). Was der eine oder andere Redakteur noch als verspäteten Aprilscherz empfand, entwickelte sich hierzulande zu einer fast schon unglaublichen Erfolgsgeschichte. Der unscheinbare Budget-Titel begründete  ein ganzes Sub-Genre namens "Alltagssimulationen", verkaufte sich in Deutschland allein in der Erstauflage 160.000 mal (was Titel wie Borderlands, Mirrors Edge oder auch NFS: Shift in Ehrfurcht erstarren lässt) und heimste mittlerweile auch zweifelhafte Branchen-Preise wie den Lara Special Award 2010 ein.

Was ist dran an diesem Phänomen? Welche Faszination üben Bus-, LKW- Schiff- oder  Baggersimulationen  auf hunderttausende Käufer aus? Technisch sind diese Spiele allesamt sehr schlicht gestrickt und manchmal sogar unterirdisch schlecht entwickelt. Wieso spielen das so viele Leute?

Die einen machen Berufsgruppen dafür "verantwortlich" und damit einhergehende psychologische Hintergründe: Der Busfahrer möchte halt auch mal Fahrgäste an der Station stehen lassen, der Landwirt auch Traktoren fahren, die er sich momentan nicht leisten kann. Andere reden von "Zen- oder Chill-Out-Gaming": Einfach spielen ohne Hektik, ohne Druck und auch ohne Gewalt. Was immer es ist, es funktioniert scheinbar. Jeden Monat kommen mindestens zwei neue Alltagssimulationen auf den Markt, schließlich lässt sich von der Klofrau zum Müllmann bis zum Moped-Fahrer anscheinend alles unters Volk bringen, wenn man nur "Simulator" daneben schreibt. Es ist und bleibt uns ein Rätsel.  

Vierzehn Monate und 20 Alltagssimulationen sind wir der Antwort jedenfalls noch kein Stück näher gekommen. Im Gegenteil: Eine durchschnittliche Bewertung  von 42% lässt uns ernüchtert, fast schon resigniert zurück. Fassungslos hingegen sind wir ob der jüngsten Ereignisse, wo ein relativ neuer Wettbewerber am Markt die fast schon hysterische Euphorie um das Genre vorsätzlich ausnutzt, um seinen Ramsch unter das Volk zu bringen. Es geht um UIG (United Independent Entertainment GmbH).

Dahinter verbirgt sich ein Münchner Publisher, der sich als "Vertriebspartner für hochklassige und dabei preisgünstige Unterhaltung im Bereich Film und DVD-Video, Musik sowie CD-ROM und Konsolen-Spiele" sieht. Tatsächlich handelt es sich um einen Trittbrettfahrer, wie ihn die Branche noch nicht gesehen hat - normalerweise belebt Konkurrenz das Geschäft, in diesem Fall schadet sie einem ganzen Genre.

Auch wenn man dem Mönchengladbacher Platzhirsch Astragon/Rondomedia bereits vorwerfen kann, mit dem charakteristisch kursiv und in Silber gedruckten "-Simulator"  Schriftzug optisch die qualitativ hochwertigeren Spiele wie MS Flight oder MS Train nachzuahmen, so sucht es seinesgleichen, was UIG seit gut  einem Jahr abzieht. Mit "schöner" Regelmäßigkeit werfen die Münchner Produkte auf den Markt, welche die dürftige Qualität der Mönchengladbacher meist unterbieten. Viele der monatlichen Auswürfe haben wir uns und euch erspart -  egal ob der "Bungee Jumping Simulator", der "Holzfäller Simulator" oder der "Pistenraupen Simulator". Doch was sich dann vorletzten Freitag ereignete, geht auf keine Kuhhaut.

Wohl wissend, dass man qualitativ nicht mit der diesjährigen Neuauflage des Landwirtschafts-Simulator 2011  von Astragon würde mithalten können, schleuderte man schnell noch eine Woche vor Release den Agrar Simulator 2011  in die Regale. Der unfertige Code, der da auf CD gepresst wurde, lässt sich noch bestenfalls als Panorama-Demo bezeichnen, aber keinesfalls als Spiel. Den Kunden dafür 20 Euro aus der Tasche zu ziehen, grenzt fast an Betrug. Nun wäre das ja nicht der Rede wert, wenn es keiner kaufen würde. Doch was viele Leser nicht wahrhaben wollen: Es verkauft sich - und zwar wie geschnitten Brot!

Der Direkteinstieg auf Platz 1 in den Media Control PC-Charts für Titel unter 28 Euro zeugt von tausenden geprellten Kunden, die größtenteils gar nicht wissen, dass auch ein entsiegeltes Spiel bei Mangelhaftigkeit selbstverständlich umgetauscht werden kann. Schadensbegrenzung konnte Astragon im ureigenen Interesse bewirken, indem unmittelbar nach Bekanntwerden des Skandals eine einstweilige Verfügung gegen den Mitbewerber erwirkt wurde - und zwar allein aufgrund der Tatsache, dass tatsächlich keines der angepriesenen Features seinen Weg ins Spiel geschafft hat, abgesehen von den von "Claas" lizenzierten Landmaschinen.

Aufgrund dessen musste UIG den Agrar Simulator bekanntlich vom Markt nehmen, was meines Wissens aus diesem Grund noch nie erwirkt wurde. Tatsächlich geistert der Schrott aber nach wie vor auf vielen Verkaufsplattformen munter umher und ist mittlerweile bei  Amazon sogar noch im Preis auf 24,95 gestiegen! So geht die Rechnung für UIG  einmal mehr auf: Ein negativer Test, aber  tausende Euros an Einnahmen bei minimalen Produktionskosten aufgrund der Erstauslieferung...könnte doch kaum besser laufen!

Das Perfide ist, mit welcher Chuzpe der Kunde für dumm verkauft wird und mit welchem Vorsatz und Kalkül seitens UIG das Phänomen "Alltagssimulationen" ausgeschlachtet wird. Man ist sich weder zu schade, die ungenügende Produktqualität auf den Mitbewerber abzuwälzen, noch die Kundschaft fröhlich zum Fertigstellen des Spiels aufzufordern. So ist  auf der Homepage folgende Stellungnahme zu lesen:

"Unser Produkt wurde aus dem Handel aufgrund einer Abmahnung der Firma astragon zurückgezogen. Wir bedauern, dass ein fairer Wettstreit um unterschiedliche Zielgruppen auf dieser Ebene ausgetragen werden muss. Auch Spiele der Firma astragon wurden Stück um Stück mit Unterstützung einer grossen Community verbessert und erweitert. [...] Quelle: UIG

Dabei wird mal eben unterschlagen, dass Astragon (oder auch Ubisoft mit seiner "Silent Hunter" - Serie) zumindest mal funktionierenden Code ausliefern und ihre Kunden nicht dummdreist bitten, ihnen bei den grundsätzlichsten Dingen wie dem Sound unter die Arme zu greifen! So bittet der Hersteller allen Ernstes am 18.Oktober, also eine Woche nach  Veröffentlichung:

 "Wer hat Sound von einem Traktor? Und weiter (inkl. Rechtschreibfehler) : "Wir suchen Sound für verschiedene Traktoren oder Sonstige Geräte. Sollte da jemand etwas auf seinem Rechner haben und gerne dieses zur Verfügung stellen wollen, würden wir uns da sehr drüber freuen.[...] Quelle: UIG-Forum

Frei nach dem Motto: Wir lassen uns von euch unser Spiel zusammenhobeln, nachdem ihr dafür bezahlt habt! Ja, geht's noch? Überhaupt das Forum: In der ersten Verkaufswoche wurde es  von UIG aufgrund  wütender Proteste von Kunden kurzerhand mit folgender Begründung geschlossen:

"Wir können Euren Unmut völlig verstehen. Es lag uns auch immer fern, Euch zu verärgern. Es ist aber leider so, dass wir von einem Mitbewerber aktiv ausgebremst wurden und werden. Man hat uns in juristische Streitereien verwickelt, die uns zeitlich ganz schön zurückgeworfen haben. [...]" Quelle: Golem )

Als Krönung ist uns zugetragen worden, dass Verantwortliche seitens UIG offensichtlich den Betreiber einer Internetseite, die unseren Test mit der Wertung von 1% verlinkt, unter Druck setzten wollte, dies zu unterlassen, da man so den Ruf der Firma ruiniere. Zumindest da kann ich den Geschäftsführer beruhigen: Größeren Schaden als den, den man sich selbst mit diesem Skandal zugefügt hat, ist niemand Externes im Stande anzurichten. Diese Suppe hat man sich bei UIG höchstselbst eingebrockt!

Bleibt zu hoffen, dass alle Beteiligten ihre Konsequenzen aus den leidvollen Erfahrungen ziehen. Allen voran die Kunden, die wertlosen Schrott erworben haben. Dann die Händler die die berechtigten Rückgaben abwickeln müssen. Die PR-Agentur Koch-Media, die so einen Schund vergeblich "schönreden" muss. Und nicht zuletzt der bedauernswerte Lizenzgeber, der sicher nicht ahnen konnte, für was er da seinen guten Namen hergegeben hat.


Mourad Zarrouk
Redakteur