Der Mainstream-Kniefall
Eine Kolumne von Jörg Luibl, 15.10.2004

Molyneux. Fable. Forum. Welch eine News , welch ein Bild: Da kniet ein Gott nieder und entschuldigt sich öffentlich für seine Fehler. Für die enttäuschten Hoffnungen, für all die fehlenden innovativen Elemente, die vielleicht für ein großartiges Rollenspielerlebnis hätten sorgen können, aber gestrichen wurden.

Wir Tester bewerten bekanntlich nicht die erste Idee, sondern das fertige Produkt. Und am Ende haben wir einem innovativen Action-Rollenspiel sogar einen Award gegeben. Einem, das die Masse befriedigt und im Verkaufserfolg schwimmt. Wohlgemerkt: einem. Fable wurde aus künstlerischer Sicht nicht das Epos, das Erlebnis, das Ausnahmespiel.

Aber unterschlägt unsere Wertung nicht die Ursache für diese Ernüchterung? Lasst uns doch mal abseits vom Hype nach den Gründen suchen, die dafür sorgen, dass Wunsch und Wirklichkeit so weit auseinander liegen. Dass von der üppigen Idee des Designers am Ende so wenig übrig bleibt. Fable ist ja kein Einzelfall; man denke an Anno 1503, Lionheart, Tomb Raider 6 oder Deus Ex 2.

Wir testen jedoch keine coolen Ideen, sondern voll entwickelte Titel - manchmal sind das allerdings nur noch voll zerstückelte Leichen. Wir testen oftmals Spiele, denen im Laufe ihres Entwicklungsprozesses die faszinierende Seele aus dem Leib gerissen wurde, die mausetot und ausgeschlachtet auf unserem Schreibtisch landen. Wir testen Spiele, die in der Anfangsphase noch grandios erschienen und dann klitzeklein geschrumpft sind. Nicht vom Designer, nicht von Fans, sondern von M&M`s.

Wer sind denn die größten Henker genialer Games? Nicht die Bugs, nicht die kurze Spielzeit, nicht die KI-Macken. Auch nicht die schlechte Konjunktur, die sinkende Nachfrage oder die kritischen Reviews. Nein, die beiden Killer heißen M&M, Marktforschung & Marketing. Und sie erledigen ihren Job so professionell, dass sie in keinem Wertungskasten erscheinen. Oder wurde schon mal das Versagen eines Produkt-Managers in einem Test kritisiert? Wie auch? Sie hinterlassen weniger Spuren als Meisterdieb Garret und sind trotzdem tödlicher als der Hitman.

Warum? Weil sie ihre scharfen Klingen sehr früh an der Wurzel möglicher Top-Titel ansetzen: an der Idee, an der Spielspaß-Quelle. Noch vor der ersten Alpha-Fassung eines Spieles, noch bevor die erste Programmzeile geschrieben ist, werden Konzepte vom Geld gebenden Publisher aufs Korn genommen, Gewinnchancen diskutiert - von Analysten, von Beratern, vom Marketing. Wissen wir, wie viele fehlende Fable-Features auf Microsoft-Kosten gehen?

So läuft das Geschäft, ist schon klar. Das Blöde ist nur, dass die richtenden Herrschaften nicht das fehlerhafte Beiwerk einer Idee ins Visier nehmen, damit mehr Spielspaß entsteht - das erledigen später die Patch-Kommandos. Fatal ist vielmehr, dass sie oftmals die kreativen Wurzeln einer Idee herausreißen, damit die große Masse bedient wird. Im ekelhaften PR-Deutsch ist das die "breiteste Zielgruppe", der "Casual Gamer".

Man will möglichst viele Genres abdecken. Man will die grobkörnige Streuung, die die Masse trifft. Denn die feiert in der Regel lieber das Mittelmaß als das Besondere. Das war schon immer so: Van Goghs Bilder wurden noch 1905 vom Amsterdamer Museum abgelehnt, Ibsens heutzutage geschätzte Dramen wurden damals ausgebuht, FIFA Football verkauft sich besser als Pro Evolution Soccer. Stellt euch vor, dass wir per Volksabstimmung über kommende Spiele entscheiden dürften - Pikmin, ICO oder Rez wären nie erschienen.

Aber die M&Ms wollen genau dieses Volk aka Casual Gamer füttern. Deshalb wird über Vermischungen diskutiert, die jedem echten Zocker und Games-Gourmet die Haare zu Berge steigen lassen. Jüngstes Beispiel: Dungeon Lords. Ziel ist hier der "Spagat" zwischen "Diablo und Gothic". Spürt ihr auch diesen Würgereflex tief im Hals? Ziel ist ein Spiel, das sowohl Morrowind- als auch Sacred-Spieler füttern soll…

Rollenspieler, hört ihr die Signale? Wird sich als nächstes Fantasy-Altmeister D.W. Bradley in Foren entschuldigen? Wird man seine persönliche Handschrift, die Seele, den Charakter überhaupt noch wahrnehmen? Wird Dungeon Lords nichts weiter als eine aufgeblähte Skizze der M&Ms, die mal schnell archetypische Bedürfnisse befriedigt: geile Grafik, geile Items, geile Monster. Eine Peepshow für schnelle Level-Orgasmen oder ein Rollenspiel mit intimer Tiefe?

Warten wir`s ab. Aber Molyneux´ Kniefall vor dem Mainstream war ein dramatischer Akt auf der Bühne der Spielewelt. Der Designer ist meist nur eine schillernde Figur mit einer jungfräulich zerbrechlichen Idee. Die Fäden werden hinter den Kulissen gezogen, das Drehbuch entsteht im undurchsichtigen Nebel zwischen Publisher und Entwickler. Schade, dass wir das nicht bewerten können…


Jörg Luibl
4P|Textchef